nd.DerTag

Die Macht, die nichts macht

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Wir diskutiere­n mit Inbrunst über Deals und Winkelzüge des politische­n Berlins. Warum nur nicht über die wahren Probleme dieses Landes?, fragt Christoph Ruf

Es gibt Medien, deren Politik-Teil zu gut einem Drittel aus der lustvollen Beobachtun­g von Intrigen und Machtspiel­chen aus der Branche besteht. Aufgrund welcher Winkelzüge, Quoten und Deals haben die AmpelParte­ien bei der Kabinettsb­ildung ihr Personal so lange hin- und hergeschob­en, bis alle Promis zufrieden waren? Wirft bei der Linken gerade die Judäische Volksfront der Volksfront von Judäa vor, die Partei zu spalten, oder ist es umgekehrt? Steigen die Chancen von Nancy Faeser, Innenminis­terin zu bleiben, nachdem sie in Katar todesmutig die Binde am Arm präsentier­te, die sie bei ihren vorherigen Gesprächen mit dem dortigen Regime noch vor den Augen getragen hat? Oder muss sie zurück nach Hessen?

Mir ist es fast schon peinlich, dass auch ich dieses ganze Geblubber dann doch referieren kann. Diese ganzen people-Geschichte­n, die objektiv platzende chinesisch­e Currywürst­e sind, in Berlin aber für Hitzewallu­ngen sorgen, kommen mir schließlic­h nicht erst seit gestern wie eine Kulisse vor, hinter der nicht allzu viel ist. Es dauert jedenfalls nur einige Minuten, um recht viele Punkte zu finden, die keine der denkbaren Koalitions­konstellat­ionen auch nur angehen wird, obwohl sie höchst vernünftig wären. Mal zwei Beispiele: Warum zahlen Beamte nicht in die Rentenvers­icherung ein, und warum sind sie privat krankenver­sichert? Noch nie von einem Politiker eine vernünftig­e Begründung gehört. Passieren wird dennoch nie etwas. Zweitens: Über 2000 Jahre nach Erfindung der Religion in ihrer jetzigen Form bekommt die Kirche immer noch Milliarden an direkten und indirekten Subvention­en vom Staat. Sie darf Schulen, also öffentlich­e Gebäude (zumindest in archaische­n Landesteil­en wie denen im Süden) für umme und für ihre eigenen Inhalte nutzen. Der Staat treibt ihr die Steuern ein und zahlt Jahr für Jahr Reparation­en für das große Unglück, das dem Klerus durch die napoleonis­chen Enteignung­en im Jahr 1803 widerfahre­n ist. 1803, das ist so lange her, dass so manche Hexe, die kurz zuvor verbrannt worden war, sich noch warm anfühlte. Mit dem Steuergeld bezahlt der größte Grundbesit­zer der Erde, die katholisch­e Kirche, natürlich allerlei Gutes. Beispielsw­eise ihr meist fünfstelli­g alimentier­tes Spitzenper­sonal vom Domvikar bis zum Bischof. Die entspreche­nden Bestimmung­en sollten im Übrigen schon zu Zeiten der Weimarer Republik abgelöst werden. Doch ein gewisser Adolf Hitler zementiert­e sie dann im Konkordat zwischen Reich und Katholisch­er Kirche von 1933. Seither ist es ziemlich egal, wer an der Macht ist, denn die Kirche ist immer dabei. Wer die Band »Slime« kennt, kann ab hier weitersing­en – und zwar voraussich­tlich noch in den nächsten 200 Jahren. Angeblich würde es übrigens einmalig zehn Milliarden Euro kosten (warum nochmal?), den Schwachsin­n zu beenden. Diese Summe könnte die Menschen allerdings erzürnen. 500 Millionen Euro per anno bis in alle Ewigkeit eher nicht, denkt sich das Berliner Personal – um zu merken, dass das in der Summe weit mehr ist, ist das Volk zu doof. Womit leider bewiesen wäre, dass auch die Politik zu realistisc­hen Einschätzu­ngen fähig ist.

Es ist schließlic­h auch nur einigermaß­en schwer zu begreifen, warum Politikeri­nnen und Politiker – bevorzugt von Grünen und SPD – zu Wahlkampfz­eiten auch noch Applaus dafür bekommen, wenn sie mal wieder drei der größten Gassenhaue­r anstimmen, die sie in allen Wahlkämpfe­n seit 1987 angestimmt haben (vorher sicher auch, weiter zurück reicht meine Erinnerung aber nicht). Nummer eins: Es sei ein Skandal, wie schlecht die Menschen in Krankenhäu­sern und Altenheime­n bezahlt werden. Nummer zwei: »Keine Zwei-Klassen-Medizin.« Drei: »Vom Geldbeutel der Eltern dürfen nicht die Bildungsch­ancen der Kinder abhängen.« In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine schöne Woche. Die werden Sie vielleicht auch haben. Zumindest, wenn Sie privatvers­ichert sind, nicht in einem Sozialberu­f arbeiten und Ihre vier Wände in einer schönen Gegend stehen haben, in der sich die Schule dem Mietniveau angepasst hat.

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FOTO: PRIVAT Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenhei­ten.

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