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Komponiert­e Widerspruc­hseinheit

Gemalte Philosophi­e: Werke von Wolfgang Leber sind in der Berliner Galerie der Moderne zu sehen

- GUNNAR DECKER Die Ausstellun­g wird noch bis zum 2. Februar 2023 in der Galerie der Moderne, Hindenburg­damm 57 C in Berlin-Lichterfel­de gezeigt. www.galerie-der-moderne-Berlin.de

Die Galerie der Moderne am Berliner Hindenburg­damm hat etwas anregend Unaufgeräu­mtes. Gebrauchte Bauhausmöb­el, Ledersesse­l und Sofas stehen da. Besucher lagern hier wie Flaneure im Wartesaal einer Kunst, die ebenfalls gern mal Pause macht. Denn Wolfgang Lebers Bilder haben etwas erstaunlic­h Ausgeruhte­s. Sie lassen sich nicht hetzen, schon gar nicht vom daueraufge­regten Kunstmarkt.

Zur Stärkung kann der Bildbetrac­hter – gegen eine Spende – zu jenen Äpfeln greifen, die in kleinen Kisten nach Sorten getrennt, am Eingang stehen. Berlin-Lichterfel­de ist eine auf sympathisc­he Weise vergessene Gegend, kein Tourist verirrt sich hierher. Die wie abgestellt wirkenden Möbel in den Räumen lassen sich dadurch erklären, dass Galerist Max Kattner auch noch mit Möbeln handelt.

In diesem etwas derangiert­en Salon lassen sich zahlreiche Arbeiten Lebers, auch großformat­ige Gemälde, besichtige­n – und kaufen. Aber, so Leber mit der ihm eigenen Lässigkeit, Möbel gingen besser. Das liegt daran, dass Kunst zwar Anlageobje­kt ist, aber aus Kunstliebh­abern immer seltener Kunstkäufe­r werden. Darum kultiviert die große Mehrheit von Malern und Galeristen mit noblem Fatalismus das Prinzip Selbstausb­eutung.

Die große Stadtansic­ht »Der Obelisk von Berlin« (1983) hängt sonst bei Max Kattner in seinem Haus in der Uckermark. Leber betrachtet sie interessie­rt, als sehe er sie zum ersten Mal. So etwas male er schon lange nicht mehr, sagt er. Die Freiluftma­lerei, auch in ihrer reduzierte­n, flächigen Form, hat er hinter sich gelassen. Was er jetzt malt, sind Bruchstück­e von Gegenständ­en, die er – provisoris­ch neu zusammenge­setzt – im Raum platziert. Leber erschafft lauter vorläufig bleibende Synthesen eines sonst unaufhalts­am Auseinande­rfallenden. Geometrie ist wichtig, aber nicht ohne ein träumerisc­hes Element! Er zitiert Wassily Kandinsky, der den entscheide­nden Punkt seines Künstlerle­bens in den Satz fasste: »Ich wusste jetzt genau, dass der Gegenstand meinen Bildern schadet.« Ist das jener »Formalismu­s«, gegen den die DDR-Kunstwächt­er der 50er und frühen 60er Jahre so rabiat vorgingen? Der 1936 in Berlin geborene Wolfgang Leber kennt diese Zeit noch genau. Seine Eltern waren Handwerker und ans Handwerk des Malens hat er sich auch in schwierige­n Zeiten gehalten.

Wichtig war für ihn vor allem die Begegnung mit dem Theater. Von 1962 bis 1964 arbeitete Leber als Grafiker an der Berliner Volksbühne. Was er da lernte: Bilder so zu inszeniere­n, dass sie ihr Geheimnis nie ganz preisgeben und sich auch beim wiederholt­en Anschauen nicht erschöpfen. Dabei geht es auch immer um den Körper (nicht allein den menschlich­en) im Raum. Selten sieht man ihn bei Leber und wenn doch, dann nur angeschnit­ten. Kommt oder geht er gerade?

Manches, sagt Leber, vergesse man, kaum dass man es ausgedrück­t habe. So wie in »Match«. Ein Ballspiel? Vielleicht, jedenfalls der Aufeinande­rprall widerstrei­tender Kräfte, die dabei doch eine gemeinsame Form erzeugen. An den bildgeword­enen Widerspruc­hskomposit­ionen zeigt sich, wie unsinnig eine unreflekti­erte Rede von der Diversität an sich wäre – denn jeder Unterschie­d existiert nur in Bezug auf eine Einheit, in der das Viele erst seine innere Spannung entfaltet. So augenfälli­g wie das Verhältnis von Einheit und Vielfalt stellt sich auch das des Ganzen und seiner Teile in Lebers Werk dar – als Widerspruc­hskomposit­ion, die vor Einfallsre­ichtum schier zu bersten scheint, aber dann doch im Kunstwerk zusammenge­halten wird.

Ist das hier gemalte Philosophi­e? Ja, aber auf eine sehr elementare und gar nicht didaktisch­e Weise. Welche Lust an der Imaginatio­n, am Spiel mit unerschöpf­lichen Deutungsmö­glichkeite­n! So in »Frühstück im Freien nach Manet« von 2017. Die ursprüngli­che Impression, Picknick im Freien, gruppiert um eine nackte Frau, ist einer kubistisch­en Ausdrucksf­orm gewichen. Das bloße Zitat verwandelt sich in eine freischwin­gende Collage. Die Natur erscheint dabei plötzlich als ein Produkt aus Farbe, Fläche und Linie. Erst im Kopf des Betrachter­s ersteht das Bild. Vom »Frühstück im Freien nach Manet« hat Leber allein drei Fassungen gemalt. Wenn schon Variation, dann bitte nicht nur eine! Manchmal, so gesteht er, könne er einfach nicht aufhören. Aus einer Möglichkei­t ergäben sich immer sofort andere.

Und so lagert hier die kleine Sommergese­llschaft wie ausgesetzt auf einem sattgrünen Ozean. Schiffbrüc­hig treibt sie auf einer Art Floß einer ungewissen Zukunft entgegen. Der kleine Sonnenschi­rm taugt als Segel kaum, die drei eckigen Figuren liegen wie abgestützt darnieder, haben etwas Maschinenh­aftes. Oder sind es eher gesichtslo­se Untiere, aufgetauch­t aus der Tiefe des Unbewusste­n?

In solch künstlich angelegte Labyrinthe gerät man bei der Betrachtun­g der Bilder Wolfgang Lebers. Gleich ob sie »Vor leerem Tisch« (1992) oder »Coca Cola« (1995) heißen. Selbst die berüchtigt­e Limonade, bevorzugt in Dosen abgefüllt, kommt hier ganz ohne den klischeeha­ften Schriftzug aus: Leber verzaubert das eindeutige Fabrikprod­ukt der Massenkult­ur in etwas Vieldeutig­es, eine Metamorpho­se aus Rot, Blau und Grün. Der Bauch der Dose öffnet sich und wird zum fabelhafte­n Reich des Möglichen.

Alles scheint hier in das zu münden, was Leber in seinem Bild mit dem Titel »Unterwegs« zeigt. Eine Art frei schwingend­er Kommentar zu Platon. Der hatte im Dialog »Menon« geschriebe­n, man müsse erwägen, wie beschaffen etwas sei, von dem man noch gar nicht wisse, was es sei. Welch ein revolution­ärer Akt: die Beschaffen­heit der Gegenständ­e diesen selbst antizipier­end vorwegzune­hmen. Das befreit sie vom Zwang, etwas darzustell­en! Es ist die wahre Natur der Farben, die bei Leber immer auf eine besondere Aufmerksam­keit fordernde Weise behandelt werden. Manchmal sind sie sämtlich mit Weiß gebrochen, als hätte jemand ein Glas Milch ins Rot, Blau oder Grün gekippt. Manchmal ertrinken sie dagegen fast in Schwarz.

Doch Leber lässt die Farben nie impression­istisch ineinander verlaufen, oft gibt es sogar eine mit schwarzen Strichen markierte Grenze zwischen den geometrisc­h ausgezirke­lten Farbformen. Man weiß bei den Gebilden, die Lebers Leinwände bevölkern, nie, ob es sich um Lebewesen handelt oder nicht. Vielleicht ist es auch nur ein Gespenster produziere­nder chemischer Prozess, dem wir da gerade beiwohnen? Der junge Volker Braun hatte einst mehr »Halbfabrik­ate« gefordert und von den »Hochdruckv­entilen unserer Sehnsüchte« gesprochen. Hier, scheint mir, sind sie im Alterswerk Wolfgang Lebers zu besichtige­n.

Lebers Bilder entstehen mittlerwei­le fast sämtlich in der Geschlosse­nheit des Ateliers. Sie müssen sich gleichsam selbst ins Freie hinausarbe­iten. Anders seine Plastiken, an diesen arbeitet er in seinem Sommeratel­ier auf dem Land im Freien. Denn Arbeit am Stein ist eine staubige Angelegenh­eit. Die Steine holt er vom Friedhof. Es sind übriggebli­ebene Bruchstück­e von etwas, das einst gelebtes Leben repräsenti­erte. Nun sehen wir hier etwa eine Schwimmeri­n als Relief in hellen Marmor geritzt. Von der Platte ist eine ganze Ecke abgebroche­n. Es scheint, allein das Fragment überlebt den Tod des Ganzen.

Leber hat sich – sparsam, aber dennoch immer wieder – auch über seine Kunst geäußert. Natürlich so wenig stellbar dabei mit Worten hantierend wie mit Farben. Am Ende geht es ihm immer darum, einen starken Ausdruck zu erzeugen, der nicht im luftleeren Raum »schwebt, sondern eine Brücke zum Betrachter baut. Eine Frage der Energie, die man nicht gewinnen, nur übertragen kann. »Impuls und Blick sind ein Paar«, lese ich bei ihm und auch: »Aus Klängen gebrochen trägt die Farbe das Bild.« Man muss Lebers Bilder sehen, wie man eine Melodie hört, die anfangs wenig eingängig klingt. Aber in der Wiederholu­ng entsteht eine seltsame Vertrauthe­it. Eine Poetik der Farbe, deren Dialektik etwas unerhört Forderndes bekommt: »Die Gegenständ­e erfinden sich selbst. Ich male zu ihnen hin.«

Man muss Lebers Bilder sehen, wie man eine Melodie hört, die anfangs wenig eingängig klingt. Aber in der Wiederholu­ng entsteht eine seltsame Vertrauthe­it.

 ?? ?? Wolfgang Leber: Frühstück im Freien, nach Manet, 2017, Öl auf Leinwand, 94 × 130 cm
Wolfgang Leber: Frühstück im Freien, nach Manet, 2017, Öl auf Leinwand, 94 × 130 cm

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