Komponierte Widerspruchseinheit
Gemalte Philosophie: Werke von Wolfgang Leber sind in der Berliner Galerie der Moderne zu sehen
Die Galerie der Moderne am Berliner Hindenburgdamm hat etwas anregend Unaufgeräumtes. Gebrauchte Bauhausmöbel, Ledersessel und Sofas stehen da. Besucher lagern hier wie Flaneure im Wartesaal einer Kunst, die ebenfalls gern mal Pause macht. Denn Wolfgang Lebers Bilder haben etwas erstaunlich Ausgeruhtes. Sie lassen sich nicht hetzen, schon gar nicht vom daueraufgeregten Kunstmarkt.
Zur Stärkung kann der Bildbetrachter – gegen eine Spende – zu jenen Äpfeln greifen, die in kleinen Kisten nach Sorten getrennt, am Eingang stehen. Berlin-Lichterfelde ist eine auf sympathische Weise vergessene Gegend, kein Tourist verirrt sich hierher. Die wie abgestellt wirkenden Möbel in den Räumen lassen sich dadurch erklären, dass Galerist Max Kattner auch noch mit Möbeln handelt.
In diesem etwas derangierten Salon lassen sich zahlreiche Arbeiten Lebers, auch großformatige Gemälde, besichtigen – und kaufen. Aber, so Leber mit der ihm eigenen Lässigkeit, Möbel gingen besser. Das liegt daran, dass Kunst zwar Anlageobjekt ist, aber aus Kunstliebhabern immer seltener Kunstkäufer werden. Darum kultiviert die große Mehrheit von Malern und Galeristen mit noblem Fatalismus das Prinzip Selbstausbeutung.
Die große Stadtansicht »Der Obelisk von Berlin« (1983) hängt sonst bei Max Kattner in seinem Haus in der Uckermark. Leber betrachtet sie interessiert, als sehe er sie zum ersten Mal. So etwas male er schon lange nicht mehr, sagt er. Die Freiluftmalerei, auch in ihrer reduzierten, flächigen Form, hat er hinter sich gelassen. Was er jetzt malt, sind Bruchstücke von Gegenständen, die er – provisorisch neu zusammengesetzt – im Raum platziert. Leber erschafft lauter vorläufig bleibende Synthesen eines sonst unaufhaltsam Auseinanderfallenden. Geometrie ist wichtig, aber nicht ohne ein träumerisches Element! Er zitiert Wassily Kandinsky, der den entscheidenden Punkt seines Künstlerlebens in den Satz fasste: »Ich wusste jetzt genau, dass der Gegenstand meinen Bildern schadet.« Ist das jener »Formalismus«, gegen den die DDR-Kunstwächter der 50er und frühen 60er Jahre so rabiat vorgingen? Der 1936 in Berlin geborene Wolfgang Leber kennt diese Zeit noch genau. Seine Eltern waren Handwerker und ans Handwerk des Malens hat er sich auch in schwierigen Zeiten gehalten.
Wichtig war für ihn vor allem die Begegnung mit dem Theater. Von 1962 bis 1964 arbeitete Leber als Grafiker an der Berliner Volksbühne. Was er da lernte: Bilder so zu inszenieren, dass sie ihr Geheimnis nie ganz preisgeben und sich auch beim wiederholten Anschauen nicht erschöpfen. Dabei geht es auch immer um den Körper (nicht allein den menschlichen) im Raum. Selten sieht man ihn bei Leber und wenn doch, dann nur angeschnitten. Kommt oder geht er gerade?
Manches, sagt Leber, vergesse man, kaum dass man es ausgedrückt habe. So wie in »Match«. Ein Ballspiel? Vielleicht, jedenfalls der Aufeinanderprall widerstreitender Kräfte, die dabei doch eine gemeinsame Form erzeugen. An den bildgewordenen Widerspruchskompositionen zeigt sich, wie unsinnig eine unreflektierte Rede von der Diversität an sich wäre – denn jeder Unterschied existiert nur in Bezug auf eine Einheit, in der das Viele erst seine innere Spannung entfaltet. So augenfällig wie das Verhältnis von Einheit und Vielfalt stellt sich auch das des Ganzen und seiner Teile in Lebers Werk dar – als Widerspruchskomposition, die vor Einfallsreichtum schier zu bersten scheint, aber dann doch im Kunstwerk zusammengehalten wird.
Ist das hier gemalte Philosophie? Ja, aber auf eine sehr elementare und gar nicht didaktische Weise. Welche Lust an der Imagination, am Spiel mit unerschöpflichen Deutungsmöglichkeiten! So in »Frühstück im Freien nach Manet« von 2017. Die ursprüngliche Impression, Picknick im Freien, gruppiert um eine nackte Frau, ist einer kubistischen Ausdrucksform gewichen. Das bloße Zitat verwandelt sich in eine freischwingende Collage. Die Natur erscheint dabei plötzlich als ein Produkt aus Farbe, Fläche und Linie. Erst im Kopf des Betrachters ersteht das Bild. Vom »Frühstück im Freien nach Manet« hat Leber allein drei Fassungen gemalt. Wenn schon Variation, dann bitte nicht nur eine! Manchmal, so gesteht er, könne er einfach nicht aufhören. Aus einer Möglichkeit ergäben sich immer sofort andere.
Und so lagert hier die kleine Sommergesellschaft wie ausgesetzt auf einem sattgrünen Ozean. Schiffbrüchig treibt sie auf einer Art Floß einer ungewissen Zukunft entgegen. Der kleine Sonnenschirm taugt als Segel kaum, die drei eckigen Figuren liegen wie abgestützt darnieder, haben etwas Maschinenhaftes. Oder sind es eher gesichtslose Untiere, aufgetaucht aus der Tiefe des Unbewussten?
In solch künstlich angelegte Labyrinthe gerät man bei der Betrachtung der Bilder Wolfgang Lebers. Gleich ob sie »Vor leerem Tisch« (1992) oder »Coca Cola« (1995) heißen. Selbst die berüchtigte Limonade, bevorzugt in Dosen abgefüllt, kommt hier ganz ohne den klischeehaften Schriftzug aus: Leber verzaubert das eindeutige Fabrikprodukt der Massenkultur in etwas Vieldeutiges, eine Metamorphose aus Rot, Blau und Grün. Der Bauch der Dose öffnet sich und wird zum fabelhaften Reich des Möglichen.
Alles scheint hier in das zu münden, was Leber in seinem Bild mit dem Titel »Unterwegs« zeigt. Eine Art frei schwingender Kommentar zu Platon. Der hatte im Dialog »Menon« geschrieben, man müsse erwägen, wie beschaffen etwas sei, von dem man noch gar nicht wisse, was es sei. Welch ein revolutionärer Akt: die Beschaffenheit der Gegenstände diesen selbst antizipierend vorwegzunehmen. Das befreit sie vom Zwang, etwas darzustellen! Es ist die wahre Natur der Farben, die bei Leber immer auf eine besondere Aufmerksamkeit fordernde Weise behandelt werden. Manchmal sind sie sämtlich mit Weiß gebrochen, als hätte jemand ein Glas Milch ins Rot, Blau oder Grün gekippt. Manchmal ertrinken sie dagegen fast in Schwarz.
Doch Leber lässt die Farben nie impressionistisch ineinander verlaufen, oft gibt es sogar eine mit schwarzen Strichen markierte Grenze zwischen den geometrisch ausgezirkelten Farbformen. Man weiß bei den Gebilden, die Lebers Leinwände bevölkern, nie, ob es sich um Lebewesen handelt oder nicht. Vielleicht ist es auch nur ein Gespenster produzierender chemischer Prozess, dem wir da gerade beiwohnen? Der junge Volker Braun hatte einst mehr »Halbfabrikate« gefordert und von den »Hochdruckventilen unserer Sehnsüchte« gesprochen. Hier, scheint mir, sind sie im Alterswerk Wolfgang Lebers zu besichtigen.
Lebers Bilder entstehen mittlerweile fast sämtlich in der Geschlossenheit des Ateliers. Sie müssen sich gleichsam selbst ins Freie hinausarbeiten. Anders seine Plastiken, an diesen arbeitet er in seinem Sommeratelier auf dem Land im Freien. Denn Arbeit am Stein ist eine staubige Angelegenheit. Die Steine holt er vom Friedhof. Es sind übriggebliebene Bruchstücke von etwas, das einst gelebtes Leben repräsentierte. Nun sehen wir hier etwa eine Schwimmerin als Relief in hellen Marmor geritzt. Von der Platte ist eine ganze Ecke abgebrochen. Es scheint, allein das Fragment überlebt den Tod des Ganzen.
Leber hat sich – sparsam, aber dennoch immer wieder – auch über seine Kunst geäußert. Natürlich so wenig stellbar dabei mit Worten hantierend wie mit Farben. Am Ende geht es ihm immer darum, einen starken Ausdruck zu erzeugen, der nicht im luftleeren Raum »schwebt, sondern eine Brücke zum Betrachter baut. Eine Frage der Energie, die man nicht gewinnen, nur übertragen kann. »Impuls und Blick sind ein Paar«, lese ich bei ihm und auch: »Aus Klängen gebrochen trägt die Farbe das Bild.« Man muss Lebers Bilder sehen, wie man eine Melodie hört, die anfangs wenig eingängig klingt. Aber in der Wiederholung entsteht eine seltsame Vertrautheit. Eine Poetik der Farbe, deren Dialektik etwas unerhört Forderndes bekommt: »Die Gegenstände erfinden sich selbst. Ich male zu ihnen hin.«
Man muss Lebers Bilder sehen, wie man eine Melodie hört, die anfangs wenig eingängig klingt. Aber in der Wiederholung entsteht eine seltsame Vertrautheit.