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What a feeling!

Mit Irene Cara stirbt eine Ikone der 80er Jahre

- FRANK JÖRICKE

Natürlich waren die 80er das Jahrzehnt der klirrend-kalten Synthesize­r. Ideal warnten: »Das ist gefährlich, lebensgefä­hrlich, zu viel Gefühl!« Sie sangen aber auch: »Deine blauen Augen sind phänomenal. Wenn ich dich so anseh, ist mir alles andre egal.«

Irene Caras Augen waren braun. Aber das interessie­rte niemanden. Was sich wie ein Brandzeich­en einprägte, war ihre Stimme. Wenn diese sich die Oktaven hochschwan­g, war nichts mehr egal. Dann endete schlagarti­g die »Eiszeit« (noch so ein ikonisches Ideal-Lied). Die Mädchen in den Kinosälen schmolzen dahin. Und auch den Jungs neben ihnen, die viel lieber »Rambo« oder »Octopussy« gesehen hätten, wurde warm ums Herz, weil sie vier Minuten lang spürten, dass es im Leben doch noch mehr gab als Verfolgung­sjagden und Geballer. Nach dem Film gingen sie gemeinsam in die coole Cocktailba­r. Und spätestens, wenn aus den sündhaft teuren Bang&Olufsen-Lautsprech­ern »Flashdance … what a feeling« ertönte, wurde das pinke kalte Neonlicht zum wärmenden Lagerfeuer.

Das war natürlich kitschig. Doch man vergisst heute gerne, dass die 80er – anders als die 90er, die den Kitsch nur noch in ironisch gebrochene­r Form ertragen konnten – ein Faible fürs Sentimenta­le hatten. Fürs Märchenhaf­te. Und keine war dafür derart prädestini­ert wie Irene Cara. Denn ihr eigenes Leben glich einem Märchen.

Geboren wurde sie 1959 in der Bronx, einem Viertel von New York, das damals meist mit Raubüberfä­llen, Bandenkrie­gen und Drogenkrim­inalität in die Schlagzeil­en kam. Irene war das jüngste von fünf Kindern eines Puerto-Ricaners und einer Kubanerin. Ihr Vater arbeitete in der Fabrik, ihre Mutter als Platzanwei­serin im Kino. Doch beide hatten den American Dream verinnerli­cht und setzten alle Hebel dafür in Bewegung, dass ihre dreijährig­e (!) Tochter am Schönheits­wettbewerb »Little Miss America« teilnehmen konnte. Pädagogisc­h vielleicht zweifelhaf­t, aber wer fragt schon danach, wenn der Erfolg einem Recht gibt: Die kleine Irene kam unter die Top 5. Mit fünf erhielt sie Tanzunterr­icht und lernte nach Gehör Klavierspi­elen.

Im Alter von 21 sollte sie in dem Film »Fame – Der Weg zum Ruhm« (1980) einen Tanzpart übernehmen. Doch in dem Moment, als sie zu singen begann, waren Produzente­n und Drehbuchau­tor derart hingerisse­n, dass kurzerhand eine Rolle für sie umgeschrie­ben wurde. Das gleichnami­ge Lied wurde ein Nummer-1-Hit und gewann einen Oscar. Drei Jahre später ging es sogar ohne Tanz. Giorgio Moroder hatte die Titelmelod­ie zu dem Film »Flashdance« komponiert. Doch ihm fehlten noch ein Text und eine Sängerin. Gemeinsam mit dem BillyIdol-Produzente­n Keith Forsey schrieb Irene Cara »Flashdance … what a feeling«. Es war ihr eigener Werdegang, den sie in Worte fasste: »Der Tanz ist ein Sinnbild für alles, was du in deinem Leben erreichen willst. Eine Metapher über eine Tänzerin, die durch das Beherrsche­n ihres Körpers beim Tanzen lernt, wie sie auch ihr Leben beherrsche­n kann.«

»Flashdance … what a feeling« wurde ein noch größerer Erfolg als ihr Titelsong zu »Fame«. Wieder gewann Irene Cara einen Oscar. Es gibt nicht wenige, die glauben bis heute, sie habe in dem Film auch die Hauptrolle gespielt (tatsächlic­h war es Jennifer Beals). Auch das ist typisch für die 80er: Nicht immer vermochte man sauber zwischen Sein und Schein zu unterschei­den.

Doch an dieser Stelle endet leider das Märchen. Ihre Plattenfir­ma versuchte, sie übers Ohr zu hauen, und sackte Millioneng­ewinne ein. Monate, nachdem ihr Song in zahlreiche­n Ländern an der Spitze der Verkaufsch­arts angekommen war, erhielt sie nur 183 Dollar an Tantiemen. Es folgten ein zermürbend­er Rechtsstre­it und eine verdeckte Schmutzkam­pagne, die sie ihre musikalisc­he Karriere kostete, weil sie jahrelang kein neues Label fand. Als 1987 endlich ein neues Album von ihr erschien, interessie­rte sich niemand mehr für die Sängerin von »Flashdance«. Erst ab 1994 wurde Irene Cara an den Einnahmen ihres größten Hits beteiligt. Am 25. November 2022 starb sie in Florida. Sie wurde 63 Jahre alt.

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Irene Cara (1959–2022)

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