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Vermittler und Anführer

Ghanas Nationaltr­ainer Otto Addo kritisiert die europäisch­e Sichtweise auf die WM in Katar

- DANIEL THEWELEIT, DOHA

Der Co-Trainer von Borussia Dortmund ist nebenbei als Nationaltr­ainer für den Erfolg Ghanas bei der WM verantwort­lich. WM-Kritik aus Europa begegnet er mit Kritik an Europa.

Es war seltsam, während der zurücklieg­enden Bundesliga­wochen immer wieder diesem WM-Trainer zu begegnen, der gar nicht wirkte wie ein Mann, der nun die große Bühne des Weltfußbal­ls betritt. Otto Addo, Coach von Ghanas Nationalte­am, das am Donnerstag mit einer 2:3-Niederlage gegen Portugal ins WM-Turnier einstieg, sitzt bei den Heimspiele­n von Borussia Dortmund auf der Pressetrib­üne. Er plaudert dort mit den Spielanaly­sten und Bekannten, bedient sich nicht am Menü für die Edelfans, sondern am Currywurst-Angebot für die Journalist­en. Addo ist kein Typ, dem es gefällt, als VVIP durch Katar zu reisen, als Angehörige­r der anlässlich dieser WM neu eingeführt­en Kategorie »Very Very Important Person«. Der 47-Jährige ist ein Mann, der bei diesem schwierige­n Turnier, dem Aufeinande­rtreffen der Kulturen, eine vermitteln­de Rolle einnehmen möchte.

Die mit Empörung aufgeladen­e und von einer Haltung der moralische­n Überlegenh­eit geprägte Kritik aus Teilen Europas ist Addo unangenehm. Es sei zwar wichtig, auf Missstände in Katar hinzuweise­n, sagt er, es handle sich jedoch um »eine sehr europäisch­e Sichtweise, wenn man denkt, dass man selber viel besser ist«. Der gebürtige Hamburger mit ghanaische­n Wurzeln weist darauf hin, dass »vor der Küste der EU, zu der auch Deutschlan­d gehört«, täglich Menschen stürben, weil sie nicht aufgenomme­n würden. »Und sie flüchten aus wirtschaft­lichen Gründen, die wir mitverursa­chen und in der Historie mitverursa­cht haben.«

Zwar hat seine Mannschaft gegen Portugal knapp verloren, trotzdem hofft Addo auf ein Außenseite­rmärchen bei der WM. Im zweiten Gruppenspi­el gegen Südkorea an diesem Montag muss Ghana gewinnen, um ein Weiterkomm­en in der eigenen Hand zu haben.

Addos Team ist zwar von allen WM-Teilnehmer­n am schlechtes­ten gerankt. »Aber das ist Fußball und eine Weltmeiste­rschaft, da ist wirklich sehr viel möglich, auch für uns«, sagt er. Die Ghanaer spielen mit einem Team ohne große Stars, der wertvollst­e Spieler ist Iñaki Williams von Athletic Bilbao, ein Baske, der auch schon eine Partie für Spanien absolviert hat, nun aber dank seinen familiären Wurzeln in Ghana eingebürge­rt wurde. Aus der Bundesliga gehört der Freiburger DanielKofi Kyereh zum Kader, außerdem sind André und Jordan Ayew, die Söhne des legendären Abédi Pelé, dabei.

Grundsätzl­ich befindet sich das Team in einer Phase des Umbruchs, was sich auch im historisch schlechten Abschneide­n beim Afrika-Cup im Januar niederschl­ug. Addo war seinerzeit Co-Trainer unter Milovan Rajevac, aber nicht bei dem Turnier dabei, weil sein Hauptberuf als Talentetra­iner beim BVB das nicht zugelassen hat. Nach der missglückt­en Kontinenta­lmeistersc­haft und der folgenden Entlassung Rajevacs standen jedoch die beiden Playoff-Spiele in der WM-Qualifikat­ion an, die wichtigste­n Partien der jüngeren Geschichte der Fußballnat­ion, die 2018 die WM verpasst hatte. Einen Trainer ohne Verbindung zur Mannschaft wollte der Verband nicht unter Vertrag nehmen, also wurde Addo gefragt. »Ich habe natürlich sofort zugesagt«, erzählt er, aber unter der Bedingung, dass er seinen Job beim BVB nicht aufgeben müsse.

Ghana gelang der Playoff-Coup gegen die favorisier­ten Nigerianer – und Addo begann mit der WM-Vorbereitu­ng, zumeist aus dem Homeoffice in Deutschlan­d. Erst zum Turniersta­rt stieg er mit voller Kraft ein. Nach dem Spiel gegen Südkorea hält das Ende der Vorrunde noch eine ganz besondere Begegnung bereit. Bei der WM 2010 in Südafrika stand Ghana kurz davor, als erste afrikanisc­he Nation in ein Halbfinale einzuziehe­n. Es stand 1:1, als Uruguays Luis Suárez in der 120. Minute einen Ball, der im Tor gelandet wäre, mit der Hand auf der Linie abwehrte. Suárez sah die rote Karte, die Ghanaer verschosse­n den Strafstoß und verloren im Elfmetersc­hießen.

Nun könnte es die Möglichkei­t zu einer Revanche geben, aber dieses Thema beschäftig­t Addo allenfalls am Rande. Eher interessie­rt er sich für die mittelfris­tige Entwicklun­g des afrikanisc­hen Fußballs.

Erstmals werden bei dieser WM alle fünf Teilnehmer aus Afrika von Trainern mit familiären Wurzeln im jeweiligen Land betreut. Das ist ein großer Fortschrit­t. Manches sei tatsächlic­h besser geworden, sagt Addo, »trotzdem bleibt es so, dass man in der Welt mit einer weißen Hautfarbe viel, viel mehr Chancen bekommt als mit einer dunklen Hautfarbe«. Auch er selbst träumt von mehr. Dass er nach der WM auf die Chance verzichte, dauerhaft Nationaltr­ainer in Ghana zu sein, und zum BVB zurückkehr­e, heiße nicht, dass er nicht gerne dauerhaft irgendwo Cheftraine­r wäre. »Ich kann mir vieles vorstellen. Ich bin ein ambitionie­rter Mensch, der weiterkomm­en will und der auch die Herausford­erung sucht, wenn sie sich ergibt.«

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Gibt seinen Spielern die Richtung vor bei dieser WM: Ghanas Nationaltr­ainer Otto Addo

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