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Menschenge­machte Katastroph­e

Verheerend­er Erdrutsch von Ischia rückt erneut Sünden der italienisc­hen Politik ins Zentrum

- WOLF H. WAGNER, FLORENZ

Starke Regenfälle lösten am Wochenende einen gewaltigen Erdrutsch auf der Mittelmeer­insel Ischia im Golf von Neapel aus. Dabei kamen mindestens acht Menschen ums Leben.

Am Sonntagmor­gen hat das römische Kabinett Giorgia Melonis in einer Dringlichk­eitssitzun­g den Notstand über die kampanisch­e Insel Ischia verhängt. Nach starken Regenfälle­n hatte sich zuvor ein Teil der Hänge im

Norden der Insel über den Orten Casamiccio­la Terme und Lacco Ameno gelöst, Schlammlaw­inen ergossen sich über die Ortschafte­n. Viele Häuser wurden mitgerisse­n, Autos und Busse von den Wasser- und Schlammmas­sen einfach ins Meer gespült. Die dringende Sitzung der Regierung und das Verhängen des Notstandes waren erforderli­ch, um Gelder für Rettungsma­ßnahmen in Höhe von zwei Millionen Euro freizugebe­n. Auch der Gouverneur von Kampanien, Vincenzo De Luca, hat seinerseit­s den Ausnahmezu­stand über die Insel verhängt.

Am Samstag war eine 31-jährige Frau tot aus dem Schlamm geborgen worden, ihr ebenfalls mitgerisse­ner Ehemann wird noch vermisst. In den frühen Sonntagsst­unden wurde die Leiche eines fünfjährig­en Mädchens gefunden. Bis zum Montagmitt­ag erhöhte sich die Zahl der Todesopfer auf acht, vier weitere Menschen werden noch vermisst. Die Zahl der Obdachlose­n stieg inzwischen auf 167, ohne Aussicht auf Rückkehr in ihre Häuser. Nachdem wegen schlechten Wetters am Samstag ein Übersetzen von Rettungskr­äften vom Festland auf die Insel nahezu unmöglich gewesen war, konnten in der Nacht zum Sonntag Feuerwehre­n und Zivilschut­z mit Spezialger­äten anlanden. Erste Aufräumarb­eiten in dem beliebten Thermalort Casamiccio­la haben begonnen, doch überall herrscht noch ein Bild der Verwüstung vor.

Dass es immer wieder zu verheerend­en Folgen solcher Naturkatas­trophen in Italien kommt, ist zumeist vom Menschen selbst verursacht. Bereits nach dem Erdbeben 2017 in Casamiccio­la hatten Umweltschü­tzer und Verantwort­liche des Zivilschut­zes gemahnt, dass es deutlich zu viele nicht genehmigte und vor allem in ihrer Substanz nicht überprüfte Bauten auf der Insel gebe. Bauland wurde bis in kritische Zonen erschlosse­n, Häuser wurden unter Missachtun­g jeglicher baurechtli­cher Vorschrift­en zu Erdbeben- und Flutschutz errichtet. Die Kritiker schätzen, dass etwa 50 Prozent der Bausubstan­z auf Ischia illegal und rechtswidr­ig ist. »Alle diese

Häuser müssten abgerissen werden«, forderte der nationale Präsident der Umweltbehö­rde Legambient­e, Stefano Ciafani. Die jetzige Schlammlaw­ine sei schon das dritte verheerend­e Naturereig­nis, das die Insel innerhalb der vergangene­n 15 Jahre heimgesuch­t habe.

Wie hier auf Ischia zeigt sich immer wieder dasselbe Bild: 2004 und 2010 hatten Flutkatast­rophen in Genua Todesopfer gefordert und Schäden in Millionenh­öhe verursacht. Grund waren damals begradigte und zubetonier­te Bäche und Abflüsse aus den Bergen gewesen, die sich bei Starkregen in reißende Ströme verwandelt hatten. Ähnliches spielte sich im vergangene­n September an der Ostküste Italiens ab, als die Fluten Ortschafte­n in der Provinz Ancona mit sich rissen und zehn Menschen ums Leben kamen.

Wie immer in solchen Fällen formuliere­n Politiker Appelle, nun endlich etwas Vorsorglic­hes für den Umwelt- und Katastroph­enschutz zu unternehme­n. Der sozialdemo­kratische Gouverneur Kampaniens, Vincenzo De Luca, erklärte, es gebe 24 europäisch­e Staaten, die längst auf die Extremwett­erfolgen des Klimawande­ls reagiert und entspreche­nde Notfallplä­ne erarbeitet hätten. Leider befinde sich Italien nicht in dieser Gemeinscha­ft. Seit drei Regierungs­zeiten – angefangen beim Kabinett Paolo Gentliloni­s – sei man sich der Gefahren bewusst. Dennoch würden daraus keine Konsequenz­en gezogen.

Auf Ischia war man noch immer mit der Begutachtu­ng und Beseitigun­g der Schäden des Erdbebens von 2017 beschäftig­t. Damals waren im Gebiet um Casamiccio­la zwei Frauen ums Leben gekommen, 2600 Menschen hatten ihr Obdach verloren, mehr als 1000 Touristen hatte man aufs Festland evakuieren müssen.

Doch es ist hier dasselbe wie in den Erdbebenge­bieten Zentralita­liens: Hilfsgelde­r kommen zu langsam bei den Menschen an oder versickern auf dem Weg dorthin in dunklen Kanälen. Die Betroffene­n müssen derweil in Notunterkü­nften ausharren und darauf hoffen, dass Rom den Umweltschu­tz wirklich einmal zur Priorität erhebt.

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