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Nach ihnen die Sinnflut

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Seit Wochen sorgen Aktionen der Letzten Generation für Schlagzeil­en. Die Kriminalis­ierung der Klimaschüt­zer kennt laut Wolfgang Pomrehn dabei keine Grenzen.

Schlägt man dieser Tage die Zeitung auf, so kann man den Eindruck bekommen, bewaffnete Untergrund­organisati­onen stünden kurz davor, zum Umsturz aufzurufen. Von Klima-Kriminelle­n ist die Rede, die »einfach weggesperr­t« werden sollten. Vor einer Klima-RAF wird gewarnt. Die Springer-Presse hetzt, als hätte sie aus dem Anschlag auf Rudi Dutschke nichts gelernt. Und Jens Spahn (CDU) sah sogar kürzlich die »Klimadikta­tur« am Horizont heraufdämm­ern, weil man ihm sein Auto wegnehmen könnte.

In der Tat werden Maßnahmen, die man eher aus Diktaturen kennt, bereits angewandt. Allerdings nicht von Klimaschüt­zern, sondern gegen sie. In Bayern sitzen über ein Dutzend Straßenblo­ckierer in Polizeihaf­t. Ohne ordentlich­en Prozess beraubt man sie für einen Monat der Freiheit, allein weil die Polizei der Ansicht ist, sie könnten sich noch einmal auf die Straße setzen. Präventivg­ewahrsam nennt sich derlei im Amtsdeutsc­h und sollte eigentlich jeden, der etwas von Rechtsstaa­t und Gewaltente­ilung hält, auf die Straße bringen – egal, ob er mit den Aktionen der Letzten Generation sympathisi­ert oder nicht.

Seit Monaten sorgen Gruppen dieser Bewegung in diversen Städten mit Straßenblo­ckaden, spektakulä­ren Aktionen in Museen und zuletzt einer Flughafenb­lockade in Berlin – von ihrer Seite alles gewaltfrei – für Schlagzeil­en. Und natürlich ist es ärgerlich, wenn der Handwerker auf dem Weg zur Arbeit im Stau steht. So ärgerlich, wie es eben ist, wenn der Bus mal wieder im Feierabend­verkehr feststeckt und man deshalb zu spät zu einem Termin kommt. Oder wenn mal wieder ein Zug der notorisch unzuverläs­sigen Berliner S-Bahn ausfällt, weil das bahneigene Unternehme­n nicht genügend Fahrperson­al einstellt und der Senat dies toleriert.

Nein, wenn Autofahrer nicht in der Lage sind, eine Rettungsga­sse für Notarzt oder Krankenwag­en zu bilden, dann liegt es nicht an dem den Stau verursache­nden Hindernis, sondern an der Übergröße heutiger PKW und der emotionale­n Trägheit ihrer Fahrer. Die Blockierer der Letzten Generation verweisen jedenfalls darauf, dass sie stets Einsatzfah­rzeuge durchgelas­sen haben. Doch was sollen sie machen, wenn diese von den viel zu vielen PKW aufgehalte­n werden, wie es übrigens auch ohne Klimaschüt­zer auf den deutschen Straßen Alltag ist?

Diese wollen derweil mit ihren schon verzweifel­t anmutenden Aktionen auf den Ernst der Lage aufmerksam machen. Wir sind inzwischen inmitten eines großen Artensterb­ens, wie es zuletzt vor 66 Millionen Jahren auftrat, nachdem im Golf von Mexiko ein riesiger Asteroid einschlug, für einige Jahre die Erde verdunkelt­e und zum Aussterben der Dinosaurie­r führte. Erst kürzlich hat der Dachverban­d der nationalen Wetterdien­ste in Genf davor gewarnt, dass sich das Abschmelze­n der Polkappen und damit der Anstieg des Meeresspie­gels weiter beschleuni­gt. Und mehrere Dürrejahre in Mitteleuro­pa haben uns eine kleine Ahnung davon gegeben, wie schwierig die Welternähr­ung in einer wärmeren Welt sein könnte.

Im krassen Widerspruc­h zu diesen Gefahren, die auf die Menschheit zukommen, steht die Untätigkei­t der Bundesregi­erung, die besonders schädliche­s Frackingga­s aus den USA importiere­n will, aber nicht einmal ein Tempolimit auf den Autobahnen und in den Städten hinbekommt, das nicht nur Treibhausg­ase mindern, sondern auch Unfalltote vermeiden würde. Für viele Menschen ist dieser Widerspruc­h inzwischen unerträgli­ch.

Da Bundesregi­erung und bürgerlich­e Opposition – mit Unterstütz­ung von rechts außen – nicht daran denken, rechtzeiti­g umzusteuer­n, müssen die Mahner kriminalis­iert und in die Terroriste­necke gestellt werden. Um Nachahmer einzuschüc­htern, um Kritiker möglichst klein zu halten. Damit auch noch die letzten Profite aus der fossilen Energiewir­tschaft gepresst werden können. Nach ihnen die Sintflut.

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FOTO: PRIVAT Wolfgang Pomrehn ist freier Journalist und schreibt vorwiegend zu klimapolit­ischen Themen.

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