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Das politischs­te Spiel

Im letzten Gruppenspi­el zwischen Iran und den USA geht es um viel mehr als das WM-Achtelfina­le

- FRANK HELLMANN, DOHA

Zwei Länder ohne diplomatis­che Beziehunge­n: Die USA und der Iran treffen bei der WM aufeinande­r – gerade Teheran versucht, die besondere Konstellat­ion für Propaganda­zwecke zu nutzen. Doch ein Trainer hat eine andere Botschaft.

Es ist ein Ritual, das auf fast allen Trainingsp­lätzen in Katar zu beobachten ist. Die Bilder unter brennender Sonne oder strahlende­n Flutlichte­rn ähneln sich: Nach dem Aufwärmen bilden die Spieler einen Kreis und zeigen damit Geschlosse­nheit. Nicht anders ist es bei der iranischen Nationalma­nnschaft, die auf dem Gelände des Al-Rayyan Sport Club diese Prozedur mit dem iranischen Ausruf »Bord! Bord! Bord!« abschließt: »Sieg! Sieg! Sieg!«

Nie schien das bedeutende­r als vor dem dritten Gruppenspi­el zwischen Iran und USA an diesem Dienstag (20 Uhr/ARD). Es geht für beide um den Einzug ins WM-Achtelfina­le, aber eigentlich steht mehr auf dem Spiel. Politisch, das war mit der Auslosung klar, würde keine Partie so aufgeladen sein wie dieses Duell.

Die Entwicklun­g der vergangene­n Monate, Wochen und Tage hat die Brisanz des Aufeinande­rtreffens noch verstärkt. Der Iran bezeichnet die USA als den »Großen Satan«. Die diplomatis­chen Beziehunge­n sind seit 1980 abgebroche­n. Der US-Verband entfernte nun aus der iranischen Flagge in den Posts seiner sozialen Kanäle für 24 Stunden jenes Symbol, das für das Wort »Allah« steht, um Solidaritä­t

mit den Frauen im Iran zu zeigen, hieß es.

»Nach 42 Jahren als Trainer glaube ich noch immer, dass ich Spiele ohne solche mentalen Tricks gewinnen kann«, entgegnete Carlos Queiroz, der als Nationaltr­ainer des Iran am Montag erkennbar bemüht war, Brücken über die Gräben zu bauen. Der Portugiese arbeitete in den 90er Jahren in den USA – und pries nun die »Fortschrit­te des US-Soccer«. Beide Teams sollten einfach eine »große Show« abliefern. Der in Mosambik geborene Queiroz erzählte vor einem für ihn »sehr speziellen Spiel« von seiner Heimat, in der ein Ball genüge, um arme Kinder abzulenken. Darum gehe es: »Wenn wir etwas aus diesem Event lernen müssen, dann die Aufgabe, für 90 Minuten ein Lächeln zu schenken.« Der 69-Jährige bekam in der Pressekonf­erenz Applaus.

Auch sein 20 Jahre jüngerer Kollege Gregg Berhalter möchte partout die Spannungen heraushalt­en, wenn im Al Thumama Stadium der Ball rollt: »Wir werden kämpfen, sie werden kämpfen. Das ist alles.«

Doch so einfach ist es in einer Begegnung voller Gegensätze eben nicht: Beim bislang einzigen WM-Duell besiegte Iran s1998 die USA (2:1), beide Teams hatten für ein gemeinsame­s Mannschaft­sbild posiert. Die Torschütze­n Hamid Estili und Mehdi Mahdavikia stiegen zu Volkshelde­n auf. Hunderttau­sende feierten damals in Teheran, sogar einige Frauen tanzten mit. Doch der erzkonserv­ative Klerus war entsetzt über solche Bilder mitten in einer Phase der Entspannun­g. Nach diesem Ereignis kehrte sich alles wieder um, wurden Politiker verhaftet, Reformen verhindert, Proteste niedergesc­hlagen.

Erneut ist offenkundi­g, dass die Machthaber der Islamische­n Republik die Partie für ihre Propaganda missbrauch­en wollen. Die Nationalsp­ieler werden mit allen Mitteln auf Linie getrimmt. Nachdem sie bei der Nationalhy­mne vor der Lehrstunde gegen England (2:6) noch vor aller Welt geschwiege­n hatten, bewegten die Akteure vor dem Last-MinuteSieg gegen Wales (2:0) wieder die Lippen. In Deutschlan­d lebende Aktivistin­nen, die der Organisati­on Discover Football nahestehen, vermuten einen direkten Zusammenha­ng mit der Festnahme des Ex-Nationalsp­ielers Vouira Ghafouri einen Tag vorher.

Der für seine regimekrit­ische Haltung bekannte 35-Jährige, so der Vorwurf, habe das »Heiligtum Nationalma­nnschaft« beleidigt. Der Vorfall machte auch Profis wie Sardar Azmoun vom Bundesligi­sten Bayer Leverkusen klar, was drohen könnte. Ob Ghafouri freigelass­en wurde, ist nicht gesichert. Den regierungs­nahen Quellen ist zu misstrauen. In der Nacht zum Sonntag wurde zudem der Sportjourn­alist

Mehdi Aminpour in seinem Haus verhaftet. Und er ist längst nicht der einzige. Selbst Berichters­tatter in Katar erzählen von Einschücht­erungen. Vergangene­n Freitag feierte das Regime den Erfolg gegen Wales mit seinen repressive­n Kräften. Die inszeniert­en Jubelposen führten bei der Protestbew­egung zu noch mehr Hass auf die Mullahs.

Fußballanh­änger sehnen sich nach den unbeschwer­ten Tagen zurück, als »Team Melli«, »Mannschaft des Volkes«, wirklich als verbindend­es Element fungierte. Noch während der WM 2018 flogen den Fußballern die Herzen der Nation zu. Statt Anfeuerung­srufen bestimmen heute Protestruf­e das Straßenbil­d: »Zan, Zengedi, Azadi« – Frau, Leben, Freiheit. Bei der WM zeigten einige Fans beim Auftaktspi­el T-Shirts, auf denen »Woman. Life. Freedom« stand. Zuletzt mündeten derlei Bekenntnis­se teilweise in Beschimpfu­ngen im iranischen Lager, das genauso gespalten scheint wie das Land. Auf Twitter tauchten zudem Bilder einer Frau auf, die von WM-Ordnern abgehalten wurde, ein Trikot mit dem Namen der getöteten Mahsa Amini hochzuhalt­en. In ihr Gesicht hatte sie sich blutige Tränen geschminkt.

Das Erscheinun­gsbild prägen in Katar viele Exilanten, die schon in großer Zahl nach Russland gereist waren. Mehr als anderthalb Millionen davon leben inzwischen in den Vereinigte­n Staaten. Auch von ihnen wissen viele nicht, wem sie eigentlich den Sieg wünschen sollen. Bei einem Unentschie­den würden übrigens die USA weiterkomm­en.

»Wenn wir etwas aus diesem Event lernen müssen, dann die Aufgabe, für 90 Minuten ein Lächeln zu schenken.«

Carlos Queiroz Nationaltr­ainer Iran

 ?? ?? Bei der WM 1998 posierten die Fußballer Irans und der USA symbolisch aufgeladen gemeinsam für ein Teamfoto.
Bei der WM 1998 posierten die Fußballer Irans und der USA symbolisch aufgeladen gemeinsam für ein Teamfoto.

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