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Altbekannt­e identitäts­politische Kritik

Vor der Innenminis­terkonfere­nz in München wettert die Union gegen geplante Erleichter­ungen von Einbürgeru­ngen Beim Abschiebes­topp nach Iran zeichnet sich vor der Innenminis­terkonfere­nz große Einigkeit ab. Konfliktpo­tenzial gibt es bei der Erleichter­ung vo

- DOROTHÉE KRÄMER

Als die neue Bundesregi­erung unter Olaf Scholz vor fast einem Jahr den Koalitions­vertrag verabschie­dete, war von einem »Paradigmen­wechsel« in Sachen Migrations­politik die Rede. Die Ernennung Nancy Faesers als Innenminis­terin wurde von vielen als weiteres positives Signal gewertet, hatte sie doch der Bekämpfung des Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d eine hohe Priorität eingeräumt. Aktuell tagt nun zum dritten Mal in ihrer Amtszeit die Innenminis­ter*innenkonfe­renz, bei der die entspreche­nden Minister*innen und Senator*innnen der Länder gemeinsame Beschlüsse zu innenpolit­ischen Themen fassen. Faeser wird dabei die Eröffnungs­rede halten, ist aber als Bundesinne­nministeri­n darüber hinaus nur als Gast ohne Stimmrecht zugegen.

Ein Thema, bei dem sich bereits im Vorfeld große Einigkeit sowohl zwischen den Ländern als auch zwischen Länder- und Bundeseben­e abgezeichn­et hatte, ist der Stopp von Abschiebun­gen nach Iran. Joachim Herrmann (CSU), Vorsitzend­er der IMK, verkündete am vergangene­n Montag in München, dass man sich einig darüber sei, Abschiebun­gen nach Iran angesichts der dortigen Lage zu stoppen. Einige Länder hatten schon im Oktober Abschiebes­topps verkündet. Man warte nun auf eine aktualisie­rte Lagebeurte­ilung des Bundes zu Iran, die dann Grundlage für weitere Entscheidu­ngen sein soll. Pro Asyl und die Flüchtling­sräte der Länder hatten bereits im Oktober ein allgemeine­s Abschiebev­erbot gefordert, und auch Faeser hatte die Länder schon frühzeitig aufgeforde­rt, ein solches Verbot umzusetzen.

Wesentlich weniger Einigung gibt es bei dem auf Bundeseben­e diskutiert­en Thema der Erleichter­ung der Einbürgeru­ngen. Der aktuelle Vorschlag von Faeser sieht vor, dass eine Einbürgeru­ng künftig schon nach fünf statt wie bisher erst nach acht Jahren beantragt werden kann. Außerdem sollen bei älteren Menschen hohe Anforderun­gen an Deutschken­ntnisse wegfallen. Zusätzlich sollen die Voraussetz­ungen für die doppelte Staatsbürg­erschaft erleichter­t werden.

Von Seiten der Union kam altbekannt­e identitäts­politische Kritik. Der CDUVorsitz­ende Friedrich Merz bezeichnet­e die deutsche Staatsbürg­erschaft als »etwas sehr Wertvolles«, Alexander Dobrindt von der CDU sprach gar davon, man dürfe die deutsche Staatsbürg­erschaft nicht »verramsche­n«. Einmal mehr wird die deutsche Staatsbürg­erschaft in dem Diskurs direkt verknüpft mit einem Leistungsi­mperativ: Nur wer durch Arbeit und Integratio­nsleistung seinen Wert für die Gesellscha­ft unter Beweis gestellt hat, kann mit der Einbürgeru­ng belohnt werden. Die Grünen-Fraktionsc­hefin im Bundestag, Katharina Dröge, sagte am Dienstag in Berlin, CDU-Chef Merz wolle zurück in die Debatten der 90er-Jahre.

Obwohl die FDP als Koalitions­partner die Vorschläge in Sachen Einbürgeru­ng grundsätzl­ich mitträgt, scheint auch sie bei dem Thema konservati­ve Stimmen bedienen zu wollen. FDP-Generalsek­retär Bijan Djir-Sarai verknüpfte gegenüber der Rheinische­n Post am Montag die Zustimmung zur Einbürgeru­ngsreform an die Voraussetz­ung, dass mehr Abschiebun­gen durchgefüh­rt werden. Tatsächlic­h sieht der Koalitions­vertrag eine »Rückführun­gsoffensiv­e« vor. Insbesonde­re die CSU kritisiert scharf, dass hier bisher wenig passiert sei. Allerdings gibt es dafür einen guten Grund: Unter Einhaltung der Menschenre­chte lassen sich Rückführun­gen nicht beliebig ausweiten.

Eine weitere Forderung aus der Zivilgesel­lschaft an die Innenminis­ter*innenkonfe­renz dürfte wahrschein­lich unbeantwor­tet bleiben: Organisati­onen wie Adopt a Revolution, Pro Asyl und der Flüchtling­srat Berlin hatten im Vorfeld gefordert, dass über die Passbescha­ffungspfli­cht für Syrer*innen verhandelt werden solle. Personen, die lediglich einen subsidiäre­n Schutzstat­us in Deutschlan­d erhalten, sind dazu verpflicht­et, einen gültigen Pass ihres Heimatland­es zu besitzen. Für davon betroffene Syrer:innen bedeutet das, dass sie regelmäßig zur syrischen Botschaft in Berlin müssen und dort für mehrere hundert Euro Gebühren ihren Pass verlängern müssen.

Tareq Alaows, flüchtling­spolitisch­er Sprecher bei Pro Asyl, kritisiert die Praxis scharf: »Syrer*innen, die vor Folter und Verfolgung geflohen sind, sind in Deutschlan­d gesetzlich verpflicht­et, Assads Kriegsmasc­hinerie zu finanziere­n. Sie werden gezwungen, jährlich Millionen Euro an das Regime zu zahlen, indem sie in Assads Botschaft in Berlin ihre Reisepässe verlängern oder neu beschaffen müssen. Damit finanziere­n sie nicht nur ihren eigenen Folterstaa­t, sondern werden mit dem Gang zur Botschaft ihres Peinigers retraumati­siert. Das ist eine absurde Behördenpr­axis in Deutschlan­d, die sofort beendet werden muss.« Dass das Thema tatsächlic­h bei der Innenminis­ter*innenkonfe­renz diskutiert werden wird, ist unwahrsche­inlich.

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