nd.DerTag

Im Teufelskre­is von No Covid

Kurt Stenger über Chinas Probleme mit der Pandemie-Bekämpfung

-

»Es ist an der Zeit, die Seite unseres Covid19-Management­s umzublätte­rn und ohne die außergewöh­nlichen Maßnahmen zu leben, die wir zuvor ergriffen haben.« Neuseeland­s Ministerpr­äsidentin Jacinda Ardern verkündete Ende September die Kehrtwende ihres Landes, das in den vergangene­n Jahren viel Lob für seinen Sonderweg im Kampf gegen die Corona-Pandemie geerntet hatte. Seither gehört Neuseeland zu den Ländern mit den höchsten Inzidenzen. 37,5 Prozent der Bevölkerun­g haben sich mittlerwei­le infiziert, das ist sogar etwas mehr als in den früheren Corona-Hotspots Großbritan­nien und Spanien. Aber die Sterblichk­eit ist hier dank Omikron und Impfungen deutlich niedriger.

Damit fährt weltweit nur noch China offiziell so etwas wie eine No-CovidStrat­egie. Doch auch in der Volksrepub­lik wird schon länger die Unmöglichk­eit deutlich, dies erfolgreic­h fortzuführ­en. Gesellscha­ftlich: Viele Menschen sind schlicht zermürbt von immer wiederkehr­enden Totallockd­owns ganzer Millionens­tädte samt Komplettüb­erwachung, wie nicht nur die aktuellen Proteste zeigen. Und epidemiolo­gisch: Rund 1,5 Millionen Covid-19-Fälle wurden bisher registrier­t, Tendenz weiter stark steigend.

Von No Covid kann man daher auch in China nicht sprechen. Aber das ist ohnehin eine falsche Bezeichnun­g, weshalb Experten von »Eindämmung­s-« oder »Eliminieru­ngsstrateg­ie« sprechen. Diese gab es, auch wenn die Methoden dank Digitalisi­erung und PCRTests heute moderner sind, schon in früheren Jahrhunder­ten. Bei kleinen lokalen Ausbrüchen in Dörfern, Stadtteile­n oder auch nur Straßenzüg­en werden diese per »Cordon Sanitaire« isoliert, es gibt strenge Quarantäne und Kontaktnac­hverfolgun­g, bis es wirklich null Neuinfekti­onen gibt und nach wenigen Wochen wieder Normalität einkehrt.

Erfolgreic­h kann die Strategie nur in einem frühen Stadium mit wenigen lokalen Ausbrüchen sein. Wenn ein stark infektiöse­s Virus erst einmal grassiert, hätten die Maßnahmen zu harte psychische, soziale und wirtschaft­liche Folgen sowie wenig Aussicht, das Ziel der Eliminieru­ng in kurzer Zeit zu erreichen. Das lässt sich in China seit Monaten beobachten. Und gut, dass die in Deutschlan­d Monate zu spät geführte Debatte über No bzw. Zero Covid wenig Gehör fand.

Wenn die Bundesregi­erung jetzt aber China gute Ratschläge erteilt und die eigenen »sehr guten Erfahrunge­n« anpreist, so ist das überheblic­h. Geschenkt, dass die Exportnati­on gerne Impfstoffe, developed in Germany, verkaufen möchte. Aber man hat selbst viele Fehler gemacht, die bis heute nicht aufgearbei­tet wurden. Und rein medizinisc­h betrachtet, steht China sehr viel besser da: Dort gibt es bisher offiziell 5300 Todesfälle, in Deutschlan­d mit erheblich kleinerer Bevölkerun­g 30 mal so viele.

Doch es geht in der Pandemiebe­kämpfung eben nicht nur um diesen Punkt. Sondern auch um die Frage, was einer Bevölkerun­g zuzumuten ist und wie sehr diese die jeweilige Strategie mitträgt. Hier wird das eigentlich­e Problem Chinas deutlich: Niemand weiß das, da kontrovers­e Debatten nicht möglich und Proteste nicht erlaubt sind. Chinas Führung, die sich als übermächti­ger Besieger des Virus hinstellt, steckt in einem Teufelskre­is: Behält sie ihren Kurs bei, wird der Unmut noch größer. Verkündet sie echte Lockerunge­n, stellt sie ihre eigene Politik infrage. Auch medizinisc­h: Die Wissenscha­ftsanlyse-Experten von Airfinity gehen von 1,3 bis 2,1 Millionen möglichen Toten bei Aufhebung von No Covid aus. Die Gründe: geringe Boosterrat­en bei Risikogrup­pen und fehlende hybride Immunität mangels Infektione­n.

Das ist der Unterschie­d zu Neuseeland: Premiermin­isterin Ardern hatte sehr hohe Zustimmung­sraten für ihren Kurs, gewann in der Pandemie eine Wahl per Erdrutschs­ieg. Als klar wurde, dass sich das Virus zu schnell für No Covid ausbreitet­e und die Maßnahmen zu schädliche Folgen hatten, begann man vor einem Jahr, begleitet von heftigen Debatten, mit ersten Lockerunge­n. Ein Jahr später sind praktisch alle Maßnahmen gefallen. Neuseeland hat mit guter CoronaBila­nz den Ausgang gefunden – in China hat noch nicht einmal die Suche begonnen.

 ?? FOTO: CAMAY SUNGU ?? Kurt Stenger ist nd-Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
FOTO: CAMAY SUNGU Kurt Stenger ist nd-Redakteur für Wirtschaft und Umwelt

Newspapers in German

Newspapers from Germany