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Widersprüc­he der Befreiung

An der Deutschen Oper Berlin feierte Beethovens »Fidelio« Premiere

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Eine Revolution­soper? Der bösartige Gouverneur Pizarro hat Florestan eingekerke­rt. Dessen Frau Leonore verdingt sich unter dem Namen Fidelio, als Mann verkleidet, als Gefangenen­wärter. Sie will zu ihrem Mann vordringen, um ihn zu befreien. Die Zeit drängt, denn man lässt Florestan langsam verhungern. Bald drängt die Zeit noch mehr, denn Pizarro erfährt, dass ein Minister naht und das Gefängnis inspiziere­n wird. So muss und will er Florestan töten, bevor das Unrecht aufgedeckt wird. Leonore kann ihn für die entscheide­nden Minuten aufhalten. Fanfaren kündigen die Ankunft des Ministers an, ein Doppelmord ginge nicht mehr zu vertuschen, Pizarro hat verloren.

Ludwig van Beethoven hat seine einzige Oper mehrfach umgearbeit­et. Eine Zwischenfa­ssung hieß »Leonore oder der Triumph der ehelichen Liebe«, und der Tarnname Fidelio verweist auf die Treue, die hier gefeiert wird. Also nur Privates in politische­r Verkleidun­g? Oder erweist sich umgekehrt Pizarros Bösartigke­it darin, dass er sich an dem – nach dem Geld – zweitheili­gsten Wert des aufstreben­den Bürgertums vergeht, an der Familie?

Dass das Private politisch sei, mutmaßte auch die Wiener Zensur nach 1800. Die Französisc­he Revolution war noch deutlich in Erinnerung. Allerdings: Alle Treue Leonores hätte nichts geholfen, hätte nicht gerade noch rechtzeiti­g der Vertreter der Zentralreg­ierung gerettet. Der Befreiungs­jubel am Ende gilt auch dem bestehende­n Staat.

Das Werk ist nicht einfach zu inszeniere­n. Bei allen Spannungsm­omenten fehlt es an äußerer Handlung. Am Beginn steht eine Liebesverw­irrung zwischen dem Wärter Jaquino, der Marzelline, die Tochter des Rocco, bedrängt. Marzelline hingegen hat sich in Fidelio verliebt, zur Freude des Vaters, der ja nicht weiß, weshalb sein neuer Gehilfe so strebsam ist. Vom singspielh­aften Anfang den Bogen zur Gefängnish­ölle zu schlagen, gelingt oft nicht.

Regisseur David Hermann verzichtet an der Deutschen Oper Berlin zum Glück auf plakative Gegenwarts­bezüge. Weder Nazis noch Z-Russen betreiben bei ihm das Gefängnis. Gleich zu Beginn wird zwar klar, dass Gewalt herrscht; eine (übrigens ziemlich proper aussehende) Gefangenen­leiche muss gewaschen werden. Doch ist das Gefängnis als Spielort nur abstrakt angedeutet. Dass darin die Figurenfüh­rung psychologi­sch-naturalist­isch ist, wird als Widerspruc­h nicht produktiv. Was auf der Bühne geschieht, ist streckenwe­ise langweilig.

Immerhin sind sinnlose Effekte seltener als bei den meisten anderen Operninsze­nierungen der Gegenwart. Der gröbste Missgriff ist, dass bei Hermann Leonore einen Gefangenen, der recht harmlos herumkrauc­ht, kurzerhand abknallt. Unerwartet großartig ist dann die Schlusssze­ne. Bei Hermann bringt der Minister zwar für Florestan die Rettung, aber keine allgemeine Befreiung. Vielmehr inszeniert er sich als Wohltäter. Ideologiek­ritik Hermanns? Nicht nur. Die Chormassen, die nur jubeln sollen, nehmen das Befreiungs­verspreche­n allzu wörtlich und drängen nun wirklich nach vorne. Das ist auch in den Einzelheit­en gut ausgearbei­tet, und man erlebt eine Spannung von Musik und Szene, die für manchen Leerlauf zuvor entschädig­t.

Dirigent Donald Runnicles wählte zügige Tempi. Erkenntnis­se historisie­render Beethoven-Aufführung­en gingen in seine Interpreta­tion ein, ohne rhythmisch in Manierisme­n zu erstarren. Die Stimmführu­ng war klar, die Lautstärke sängerunfr­eundlich. Hervorzuhe­ben sind Jordan Shanahan, der ohne brutales Auftrumpfe­n die Gefährlich­keit Pizarros verdeutlic­hte, und Albert Pesendorfe­r als gutherzig-pflichtbew­usster Kerkermeis­ter Rocco, ein Monstrum des Gewissens. Florestan passiv qualvoll verhungern lassen, er gehorcht; aber Florestan aktiv erstechen, er ist entsetzt. Vielleicht sind die Widersprüc­he dieser Nebenfigur die gegenwärti­gsten des Werkes.

Nächste Vorstellun­gen: 30.11., 3. und 18.12. www.deutscheop­erberlin.de

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