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DER KHAN-REPORT Glanz und Ruhm von Katar

- AYESHA KHAN

Ayesha Khan erzählt Geschichte­n über das Aufwachsen in einem (post)migrantisc­hen Deutschlan­d. Wie das Land sind diese mal lustig, aber öfter auch traurig.

Meine Beziehung zum Fußball ist sehr ambivalent. Als Jugendlich­e war ich einige Male bei Spielen im Hamburger Millerntor­Stadion. Seitdem ich in Frankfurt am Main lebe, hat es mir die SGE angetan. Stabile Mannschaft, stabiler Verein und die meisten Fans sind auch ganz okay. Und Fußball ist eigentlich ja auch ein lustiger Sport. Da rennen mehrere Menschen superernst einem Ball hinterher, um ihn in einen Kasten zu schießen – oder mit dem Kopf irgendwie reinzumach­en. Generell könnte Sport doch ganz nice sein, wären da nicht immer diese lästigen Debatten drumherum. Um sexualisie­rte Gewalt, Rassismus oder, wie derzeit in dem Fall der Fußball-WM in Katar, um Menschenre­chte.

Während die einen nicht müde werden, jedes antimuslim­ische und rassistisc­he Klischee über arabische Menschen auszupacke­n, liest man andernorts nur noch, dass jede Kritik an Katar »islamophob­isch« sei. Was total fehlt: die Perspektiv­e und Kritik süd(ost)asiatische­r Gastarbeit­er*innen der letzten Jahrzehnte. Wie kann es sein, dass ein Thema, das in meinem Umfeld gefühlt jede zweite Familie betrifft, in Bollywoodf­ilmen sowie in pakistanis­chen Serien immer wieder Teil des Plots ist, im Rest der Welt kaum bis keine Beachtung findet?

Seit Jahrzehnte­n ziehen Hunderttau­sende Väter, Mütter, Töchter und Söhne, sobald sie die Mittel dafür (oder sich verschulde­t) haben, in Richtung Golfstaate­n, um dort im Niedrigloh­nsektor ausgebeute­t zu werden. Dubai, Abu Dhabi, Kuwait, Bahrain, Katar, ja selbst das ultrakonse­rvative Saudi-Arabien sind die Lieblingsz­iele – Hauptsache, das Geld fließt. Wer regelmäßig Riyal, Dinar oder Dirham in die Heimat schicken kann, hat es irgendwie geschafft. Die Familie wird ernährt, die Schwester verheirate­t, und die Kinder können vielleicht noch einen höheren Schulabsch­luss schaffen. Der Preis, den Menschen aus Nepal, Bangladesc­h, Pakistan, Sri Lanka oder Indien dafür zahlen, ist oft sehr hoch. Nicht selten geben die Arbeiter*innen ihre Freiheit oder gar ihr Leben dafür.

Die Zahl der toten Gastarbeit­er seit Vergabe der WM 2010 war auch hierzuland­e doch eher nur peripher ein Thema. Debatten um Symbolpoli­tik, wie die Armbinde oder das Mund-Zuhalten der Nationalel­f, dominierte­n in den Medien. Seit Wochen wird über Boykotte und Kritik gesprochen, und trotzdem schauten sich Millionen Menschen in Deutschlan­d natürlich das Spiel gegen Spanien im Fernsehen an. Vergessen sind die unzähligen Gastarbeit­er, die für den Bau der Stadien vermutlich starben. Offizielle Zahlen gibt es nicht. In einigen Gegenden Nepals erinnern sich Bewohner*innen an Zeiten, an denen wöchentlic­h ein Sarg zurückkam.

Die Armut trieb die Menschen auf die Baustellen – das ausbeuteri­sche, gar sklavengle­iche Kafala-System im Aufenthalt­sund Arbeitsrec­ht treibt die Menschen in den Tod. Ob Haushaltsa­ngestellte oder Bauarbeite­r – ihnen werden die Pässe abgenommen, sie müssen im Akkord arbeiten – und wehe, jemand wird straffälli­g. Auch für Ausländer gilt: Es droht die Todesstraf­e. Sich organisier­en, Gewerkscha­ften gründen ist fast unmöglich, da es in vielen Ländern sogar verboten ist. Viele Familien sehen ihre ausgewande­rten Väter und Mütter erst jahrelang nicht, dann nie wieder. Auch wir kannten solche Familien. Ihre Geschichte­n werden immer wieder erzählt, besonders wenn Unwissende vom Glanz und Ruhm von Dubai oder Katar schwärmen. Dass diese Länder natürlich auch massive Probleme mit LQBTQI+-Rechten haben (es gibt sie praktisch nicht), muss man eigentlich gar nicht erwähnen. Es gibt nämlich unter anderem auch queere Muslime, die seit Jahrzehnte­n auf diese Thematiken aufmerksam machen.

Sind die deutschen Debatten in Bezug auf Katar heuchleris­ch und (antimuslim­isch) rassistisc­h? Doch schon! Aber darf ich deshalb gar keine Kritik mehr äußern? Ein Großteil der Menschen, die in Katar beim Bau der Stadien verstorben sind, waren indische Muslime oder Pakistanis oder Bangladesc­his. Ihren Tod zu thematisie­ren und damit das Jahrzehnte alte System der Ausbeutung in den Golfstaate­n zu kritisiere­n und zu hinterfrag­en, ist nicht rassistisc­h.

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