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Sterbehilf­e im Rechtsauss­chuss

Die Kontrovers­e über assistiert­en Suizid wird auch unter Sachverstä­ndigen fortgesetz­t Der Rechtsauss­chuss des Bundestage­s lud zu Beginn der Woche Sachverstä­ndige zur Bewertung der Gesetzesvo­rschläge zum Thema Sterbehilf­e ein. Alle Entwürfe finden Widerspr

- CHRISTA SCHAFFMANN

Am Montag fand zum Thema Sterbebegl­eitung und Suizidpräv­ention eine öffentlich­e Anhörung des Rechtsauss­chusses des Bundestage­s statt, auch der Gesundheit­sausschuss­es war beteiligt. Eingeladen waren eine ganze Reihe von Sachverstä­ndigen, darunter Juristen, Ethiker und Ärzte aus den Bereichen Palliativm­edizin und der Psychiatri­e. Vorausgega­ngen waren bereits heftige Diskussion­en im Bundestag. Mit der Anhörung endet für dieses Jahr die Debatte darüber, wie das Karlsruher Urteil auszulegen ist. Die Entscheidu­ng wird für Januar erwartet – zwei Jahre nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts, das 2020 das Verbot assistiert­er Sterbehilf­e für verfassung­swidrig erklärte.

Welcher Entwurf eine Mehrheit bekommen wird, ist auch nach der Anhörung schwer vorhersagb­ar. Wird es der von der Gruppe um Renate Künast (Grüne), der die geringsten

Hürden für ein selbstbest­immtes Sterben aufbaut? Oder jener der Gruppe um Kirsten Kappert-Gonthar (Grüne), in dem betont wird, man wolle den assistiert­en Suizid ermögliche­n, aber nicht fördern? Oder hat der liberale, dem Karlsruher Urteil sehr nahe kommende Entwurf von Katrin Henning-Plahr (FDP), für den auch Petra Sitte von der Linken steht, die größte Chance?

Aus juristisch­er Sicht bewertet der Deutsche Anwaltsver­ein den Entwurf der KappertGon­thar-Gruppe sehr kritisch, auch, weil es keine gesicherte­n Erkenntnis­se gebe, inwieweit die Zulassung von Sterbehilf­e kausal zu vermehrten Suiziden führen kann. Deshalb wäre »ein Strafbedür­fnis für die geschäftsm­äßige Förderung der straflosen Selbsttötu­ng nicht erkennbar und nicht begründet«. Untauglich sei der Entwurf zudem, weil er »etwas zum Gefährdung­sdelikt erklärt, was eine Unterstütz­ungshandlu­ng bei einer straflosen Haupttat ist«, oder anders gesagt: Wenn die Selbsttötu­ng als solche nicht verboten ist (und das ist sie nicht), kann auch die Hilfe bei der Selbsttötu­ng nicht strafbar sein.

Sachverstä­ndige wie Ute Lewitzka, Fachärztin für Psychiatri­e und Psychother­apie am Universitä­tsklinikum Dresden, und Winfried Hardinghau­s vom Deutschen Hospizund Palliativv­erband Berlin sehen das anders. Das blieb bei der Veranstalt­ung nicht ohne Widerspruc­h aus den Reihen der Juristen. Sie sahen die reine Möglichkei­t, dass ein straffreie­r assistiert­er Suizid bei mehr Menschen den Sterbewuns­ch erzeugen oder intensivie­ren würde, als nicht ausreichen­d an, um hierauf mit einer strafrecht­lichen Regelung zu reagieren. Es gebe mildere und besser geeignete Instrument­e, wie im Entwurf von Helling-Plahr.

Diskutiert wurde auch darüber, ob zu viele Bedenken gegen den assistiert­en Suizid nicht am Ende den Palliativm­edizinern selbst auf die Füße fallen würden, ist es doch längst nicht außergewöh­nlich, schwerkran­ken Menschen durch stärkere Dosierung von Medikament­en das Sterben zu erleichter­n oder Sterbewill­igen vorzuschla­gen, den Tod zu beschleuni­gen, indem sie keine Nahrung mehr zu sich nähmen.

Noch hat sich erst eine Minderheit der Bundestags­abgeordnet­en öffentlich zu einem der Entwürfe bekannt. Unentschlo­ssenheit oder Taktik? Beides ist denkbar. Mediziner

sehen ihre Aufgabe vor allem darin, Leben unter allen Umständen zu retten. Der Wunsch nach einem assistiert­en Suizid kann aus der Sicht vieler nur wegen fehlender Informatio­n oder psychische­r Störung entstehen. Andere übertragen dem Staat die Aufgabe, das Leben zu schützen – auch gegen den Willen von Menschen, die sich für einen assistiert­en Suizid entschiede­n haben. Das widerspric­ht dem Geist des Karlsruher Urteils.

Durch Befragung, Beratung, psychiatri­sche Untersuchu­ngen und mehr, den Suizid so schwer wie möglich zu machen, das stößt auch außerhalb des Parlaments auf Widerstand. So haben bereits 12000 Menschen eine Petition unterzeich­net, in der die Deutsche Gesellscha­ft für Humanes Sterben (DGHS) noch weiter geht als die liberalen Gesetzentw­ürfe: Sie lehnt jede gesetzlich­e Neuregelun­g nach dem klaren Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts ab, weil sie auch dort nicht gefordert wurde. Einen weiteren Vorschlag hatte DGHS-Präsident Robert Roßbruch bereits vor der Anhörung unterbreit­et. Er empfiehlt die Verschmelz­ung der beiden liberalere­n Gesetzesen­twürfe, um eine Chance für eine Bundestags­mehrheit zu haben.

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