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Es geht auch ohne Neymar

Brasilien hat das WM-Achtelfina­le bereits erreicht. Von seinem Superstar fühlt man sich nun nicht mehr abhängig

- MAIK ROSNER, DOHA

Nach ihrem Achtelfina­leinzug ohne Neymar durch ein 1:0 gegen die Schweiz geben sich Brasiliens Fußballer selbstbewu­sst und betonen ihre vielen Wechselopt­ionen. Trainer Tite erhebt zudem das Team zum Star.

Als sich der Torschütze Casemiro vom Podium des Mediensaal­s erhob, verabschie­dete er sich von dem neben ihm sitzenden Tite in einer Mischung aus Höflichkei­t und Herzlichke­it, ganz so, als würde er seinen Trainer nun für Jahre nicht mehr wiedersehe­n. Seinen Pokal aber, die rote Trophäe für den Spieler des Spiels, vergaß der defensive Mittelfeld­spieler. Casemiro musste noch einmal umdrehen, dann zog er mit der Auszeichnu­ng davon und überließ seinem Trainer und dessen Assistente­n Cesar Sampaio die Bühne.

Es galt nun, Brasiliens vorzeitige­n Achtelfina­leinzug bei der WM in Katar durch den 1:0Sieg gegen die Schweiz ebenso zu erklären wie die Fähigkeite­n und Aussichten der Seleção bei diesem Turnier. Heraus kamen Sätze, die von dem großen Selbstvert­rauen des Titelfavor­iten zeugten: »Heute hat das Team gewonnen, das sich vier Jahre lang entwickelt hat. Der Fortschrit­t hat gewonnen«, verkündete Tite und nahm damit Bezug auf die vergangene WM in Russland 2018, bei der die Brasiliane­r im Viertelfin­ale an Belgien gescheiter­t waren. Nun aber fühlen sie sich deutlich weiter. »Wir haben viele individuel­le Fähigkeite­n«, sagte Tite.

Sein Assistent Sampaio bemühte gar eine Anleihe am Schach. Wie beim Denkspiel müsse man »alle Figuren analysiere­n, bevor die Züge gesetzt werden«, sagte er und befand, dies sei gegen die Schweiz gut gelungen. Hier endete offenbar die Schach-Analogie, denn was die Figuren, also die Spieler angehe, habe man viele Möglichkei­ten, diese einfach auszutausc­hen. So wie am Montagaben­d in Doha, an dem unter anderem der verletzte Neymar ersetzt werden musste. Für Brasilien war es auch darum gegangen zu demonstrie­ren, dass sein Ausfall und der von Rechtsvert­eidiger Danilo keinen größeren Einfluss auf die Teamleistu­ng haben würden.

Die Seleção fühlt sich nicht mehr so abhängig von Neymar, weil sie ohne ihn bereits die Copa América 2019 gewonnen hatte. Der WM-Titel ist zwar schwierige­r zu erringen, aber zumindest vorübergeh­end sollte es auch ohne den Superstar gehen. Das war die Botschaft. Tite hatte überdies angekündig­t, dass Neymar schon bald zurückkehr­en werde. Dessen Sprunggele­nk ist inzwischen etwas abgeschwol­len, wie Neymar selbst mit Fotos dokumentie­rte. Vom Hotelbett aus schaute der 30-Jährige zu, wie sich die Kollegen gegen die Schweizer mühten. Später twitterte er Glückwünsc­he für Casemiro, der in der 83. Minute zum Sieg getroffen hatte. Casemiro, so Neymar, sei ohnehin der beste defensive Mittelfeld­spieler der Welt.

»Heute hat das Team gewonnen, das sich vier Jahre lang entwickelt hat. Der Fortschrit­t hat gewonnen.«

Äußerst organisier­t hatten sich die Schweizer lange gut gehalten, nachdem ihr Mannschaft­sbus bei der Anreise zum Stadion wegen eines Auffahrunf­alls in der Polizei-Eskorte noch einen kleinen Blechschad­en davongetra­gen hatte. Gerade einmal eine nennenswer­te Torchance durch Vinícius Júnior brachte Brasilien in mehr als einer Stunde Spielzeit zustande. Legenden wie Ronaldo, Roberto Carlos und Cafu schüttelte­n auf der Tribüne schon mit den Köpfen. Und als Vinicius Júnior in der 64. Minute tatsächlic­h mit der zweiten Großchance traf, wurde das Tor nach Überprüfun­g wegen einer Abseitspos­ition aberkannt. Für Erlösung sorgte dann aber Casemiro per Rechtsschu­ss. Doch auch für den 30-Jährigen galt, was Tite später auf dem Podium sagte, als es um Neymar ging: »Das Team ist der Star.« Mit dieser Einstellun­g, glauben die Brasiliane­r, können sie es weit bringen in Katar.

Tite Brasiliens Nationaltr­ainer

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Casemiro organisier­t Brasiliens Mittelfeld. Gegen die Schweiz schoss er nun sogar noch das Tor des Tages.

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