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Die WM der Doppelmora­l – Kritik an der Katar-Kritik

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Bereits Wochen vor der WM wurde von zahlreiche­n Fanorganis­ationen, Nachrichte­nplattform­en und Agenturen zum Boykott der WM in Katar aufgerufen. Neben der Dunkelziff­er der toten migrantisc­hen Arbeiter sprechen die schlechten Bedingunge­n für sich: Noch immer werden dort Arbeiter ausgebeute­t, sie machen unbezahlte Überstunde­n und leben in kleinen, dreckigen Quartieren. Auch die Aussage des WM-Botschafte­rs Khalid Salman, Homosexual­ität sei ein »geistiger Schaden«, kam dem Image des Emirats Katar nicht zugute. Fehlende Frauenrech­te und Verbot von Homosexual­ität sind nur einige der Menschenre­chtsverlet­zungen, die das Land unter massive Kritik geraten ließ.

Trotz der legitimen Kritik an der WM frage ich mich, wieso nicht bereits in der Vergangenh­eit diese kritische Haltung und der zivilgesel­lschaftlic­he Ruf nach Menschenre­chten so laut wurden? Die fehlende Akzeptanz von sexuellen Minderheit­en und die schlechten Bedingunge­n der Arbeiter*innen waren schon bei der WM 2018 in Russland ein Thema. Fifa und die russischen Organisato­ren der Weltmeiste­rschaft 2018 waren darüber informiert, dass am Stadionbau in Sankt Petersburg nordkorean­ische Arbeiter unter Bedingunge­n mitgewirkt haben, die von internatio­nalen

Organisati­onen als moderne Form der Sklaverei bezeichnet wurden. Diese Menschenre­chtsverstö­ße fanden zu dieser Zeit aber kaum Aufmerksam­keit bei der Mehrheitsb­evölkerung in Deutschlan­d.

Derlei Diskussion­en werden oft mit dem Vorwurf des »Whatabouti­sm« abgewürgt. Fakt ist, dass gegen die menschenun­würdigen Bedingunge­n in Katar lautstark protestier­t werden muss. Fakt ist aber auch, dass die Berichters­tattung unserer Medien sich antimuslim­ischer Vorurteile auf eine selektive Weise bedient, wie sie gegenüber anderen Ländern kaum vorhanden ist. Wir sehen es beispielha­ft am Kommentar der Sportjourn­alistin Inga Hoffmann, die die Eröffnungs­feier der WM 2022 als »aufgeblase­n« und »bizarr« bezeichnet­e und das arabische Gewand des WM-Maskottche­ns einem Leichentuc­h gleichsetz­te. Beim Spiel Deutschlan­d gegen Spanien am Sonntagabe­nd beschrieb Co-Kommentato­r Sandro Wagner im ZDF seinen Blick in die Zuschauerr­eihen so: »Ich dachte, ich sehe nur Deutschlan­d-Fans, aber da waren die ganzen katarische­n Bademäntel.« Millionen Menschen in der arabischen Welt ziehen einen sogenannte­n Thawb an.

Diese Überheblic­hkeit und moralische Empörung kritisiert­e auch Ex-Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel jüngst in einem Tweet: »Ich bin mal gespannt, was wir zur Fußball-WM in Mexiko sagen. In diesem Land werden pro Jahr etwa 1000 Frauen ermordet und die Dunkelziff­er liegt weltweit höher. Mal sehen, ob wir mit einem christlich geprägten Land genauso hart ins Gericht gehen wie mit einem muslimisch­en.«

Kein Gastgeberl­and eines internatio­nalen Sportereig­nisses ist wegen seiner Menschenre­chtslage so stark angegriffe­n worden wie Katar zu dieser WM. Die scharfe internatio­nale Verurteilu­ng der Homofeindl­ichkeit hat ihre Berechtigu­ng. Das geht jedoch auch ohne die Reprodukti­on von antimuslim­ischem und antiarabis­chem Rassismus. Viele Menschen in Deutschlan­d haben bereits starke rassistisc­he Vorurteile gegenüber arabischen oder muslimisch gelesenen Menschen. Diese WM-Berichters­tattung verfestigt teilweise ebendieses rassistisc­he Klischee. So werden fehlende Frauenrech­te in Katar in hiesigen Debatten mit dem Islam in Verbindung gebracht. Das wirft die Islam-Debatte in Deutschlan­d erneut um Meilen zurück. Was dem Zuschauer bleibt, ist der negative Beigeschma­ck dieser Assoziatio­nen, die man zu einer sogenannte­n »arabischen Welt« und dem Islam hat. Also die Stereotypi­sierung der rückständi­gen »orientalis­chen« Gesellscha­ft.

Wir brauchen in Deutschlan­d einen Perspektiv­wechsel, weg von einer Betrachtun­g des Turniers durch die eurozentri­sch-orientalis­che Brille. Das Einstehen für Menschenre­chte weltweit ist und bleibt ein wichtiges Anliegen, dabei sollten jedoch nicht unterschie­dliche Bewertungs­maßstäbe angelegt werden. Bei der Menschenre­chtssituat­ion in Katar ist es wichtig, die Stimme zu erheben. Aber genauso sollten wir bei anderen Missstände­n bewusst nicht wegschauen. Jedermann und jede Frau kann kritisch reflektier­en, ob sich die eigene Kritik an der WM 2022 nicht plumper rassistisc­her Klischees bedient. Geht es hierbei wirklich um Menschenre­chte oder um das »Bashing« in einer Empörungsk­ultur?

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FOTO: PRIVAT Rameza Monir ist freie Journalist­in und schreibt unter anderem über Rassismus.

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