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Gleichstel­lungsoffen­sive steht noch aus

Bundestag berät Report zum Stand der Umsetzung der UN-Frauenrech­tskonventi­on

- JANA FRIELINGHA­US

Der Rechenscha­ftsbericht an die Vereinten Nationen zum Stand der Gleichstel­lung, der am Mittwoch erstmals im Parlament beraten wurde, stammt noch aus der letzten Legislatur. Allein dies ist ein Indiz für den Stellenwer­t des Themas.

Die Ampelparte­ien haben in ihrem Koalitions­vertrag viele Maßnahmen angekündig­t, mit denen strukturel­le Benachteil­igungen von Frauen beseitigt und effektiver Gewaltschu­tz gewährleis­tet werden soll. Jenseits der Streichung des Paragrafen 219a aus dem Strafrecht ist aber noch nicht viel geschehen.

Am Mittwochna­chmittag stand im Bundestags­plenum der neunte Bericht der Bundesrepu­blik an die Vereinten Nationen zur Umsetzung des UN-Abkommens zur Beseitigun­g jeder Form von Diskrimini­erung der Frau auf der Tagesordnu­ng. Der Report allerdings stammt vom Mai 2021, wurde also noch zu Zeiten der Großen Koalition verfasst.

Danach gab es einen Regierungs­wechsel – und Bundesfami­lienminist­erin Lisa Paus (Grüne) trat nun an, um eine erste Bilanz der gleichstel­lungspolit­ischen Agenda der Ampelkoali­tion zu ziehen. Dass diese positiv ausfiel, überrascht nicht sonderlich. Real hat das Regierungs­bündnis allerdings auf der Haben-Seite noch nicht allzu viel vorzuweise­n. Lediglich die Ankündigun­g, den berüchtigt­en Paragrafen 219a aus dem Strafgeset­zbuch zu streichen, setzte es nach Übernahme der Amtsgeschä­fte zügig um. Beschlosse­n wurde die Eliminieru­ng der Vorschrift im Juni dieses Jahres. Diese hatte Ärztinnen und Ärzten »Werbung« für den Schwangers­chaftsabbr­uch verboten. Als solche hatten Gerichte allein die Tatsache angesehen, dass Mediziner*innen

auf ihren Praxis-Websites darüber informiert hatten, dass sie diesen Eingriff im Rahmen der geltenden gesetzlich­en Regelungen vornehmen. Die generelle Entkrimina­lisierung von Abtreibung­en und die sichere Versorgung ungewollt Schwangere­r steht aber ebensoweni­g im Arbeitspla­n der Koalition für diese Legislatur wie eine echte Gleichstel­lung in der Arbeitswel­t. Und so werden die drastische­n Lohn- und Rentenlück­en zwischen Frauen und Männern wohl noch lange nicht Geschichte sein.

Paus räumte denn auch ein, dass noch viel zu tun sei, hob aber zugleich hervor, dass die Ampel die erste Koalition sei, die die vollständi­ge Umsetzung der UN-Konvention, bekannt unter dem Kürzel Cedaw (»Convention on the Eliminatio­n of All Forms of Discrimina­tion Against Women«), als Ziel in ihrem Koalitions­vertrag benannt habe. Anderersei­ts, auch das benannte Paus: Die Debatte am Mittwoch war die erste nach sieben Jahren, in denen der Stand der Umsetzung überhaupt Thema im Bundestag war. Dabei dürfen Staaten, die es ratifizier­t haben, nicht nur nicht selbst gegen den Gleichbeha­ndlungsgru­ndsatz verstoßen. Sie müssen aktiv dafür sorgen, dass Chancengle­ichheit gesellscha­ftliche Realität wird. Die Bundesregi­erung muss also aktiv die Beseitigun­g jeder Diskrimini­erung von Frauen vorantreib­en. Gemessen daran ist wenig erreicht, denn das Abkommen von 1979 trat in der Bundesrepu­blik bereits 1985 in Kraft.

37 Jahre später verdienen Frauen im Schnitt immer noch mehr als ein Fünftel weniger als Männer, die Lücke bei den eigenen Alterseink­ünften liegt sogar bei 53 Prozent.

Auch der Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt ist noch nicht besser geworden als bisher, obwohl sich die Ampel vorgenomme­n hat, die Finanzieru­ng von Frauenhäus­ern bundeseinh­eitlich zu regeln und sicherzust­ellen und zudem die Zahl der Plätze auf das von den Sozialverb­änden seit langem geforderte Maß zu erhöhen. Als ersten Schritt hat die Koalition – auch das hob Paus hervor – die bisher im deutschen Recht verankerte­n »Vorbehalte« gegen einzelne Paragrafen der Istanbul-Konvention, also das Übereinkom­men des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, außer Kraft gesetzt.

Das allein aber koste nichts, monierte die Linke-Politikeri­n Heidi Reichinnek. Ihre Fraktion brachte zugleich einen Antrag ein, in dem die Erarbeitun­g eines »wirksamen Aktionspla­ns« zur Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen – und zu deren Dokumentat­ion – gefordert wird. Reichinnek kritisiert­e, stattdesse­n sei das Bundesprog­ramm zum Ausbau von Frauenhäus­ern und Beratungsp­lätzen um ein Drittel von 30 auf 20 Millionen Euro gekürzt worden. Das gehe zulasten besonders gefährdete­r Frauen. »Wir brauchen einen nationalen Aktionspla­n, eine Koordinier­ungsstelle mit angemessen­en finanziell­en und personelle­n Ressourcen und einen Gesetzentw­urf, der dafür sorgt, dass die fehlenden 14 000 Frauenhaus­plätze endlich aufgebaut werden«, forderte Reichinnek.

»Wir brauchen einen Gesetzentw­urf, der dafür sorgt, dass die fehlenden 14 000 Frauenhaus­plätze endlich eingericht­et werden.«

Heidi Reichinnek

Fraktion Die Linke

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Die Finanzieru­ng von Schutzräum­en für von Gewalt betroffene Frauen ist weiterhin nicht einheitlic­h geregelt.

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