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Friedrich Merz – der stolze Deutsche

CDU-Bundesvors­itzender relativier­t das Gebot »Du sollst nicht töten« und brüskiert Migranten und Linke CDU-Chef Friedrich Merz tritt im Berliner Wahlkampf in der von vielen Migrantenf­amilien bewohnten Großsiedlu­ng Gropiussta­dt auf und trifft auf Widerspru

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»Rassisten raus«, gibt Ahmed Abed, Linksfrakt­ionschef in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung Berlin-Neukölln, am frühen Freitagabe­nd die Losung vor. Zwei Dutzend Menschen rufen dann gemeinsam: »Rassisten raus« und »Merz raus«. Gleich soll der CDU-Bundesvors­itzende Friedrich Merz im Gemeinscha­ftshaus Gropiussta­dt auftreten. Besucher, die sich vorher anmelden mussten, werden schon eingelasse­n, während die Gegenkundg­ebung am Bat-Yam-Platz noch läuft. Auch der SPD-Nachwuchs, die Jusos Paul Seidel und Jan Ole Schmiedeck­e sind wegen Friedrich Merz gekommen. Es geht ihnen gegen den Strich, »wenn Menschen aufgrund ihrer Ethnie als Kriminelle angesehen werden, obwohl es mit Perspektiv­losigkeit zu tun hat«, wie Seidel erklärt. Schmiedeck­e sagt über Merz: »Der hat keine Ahnung, wie das Leben hier ist.«

In der Diskussion über Gewalttäte­r, die in der Silvestern­acht Rettungskr­äfte angriffen, hatte Merz von Menschen gesprochen, »die eigentlich in Deutschlan­d nichts zu suchen haben«, und er hatte muslimisch­e Schuljunge­n »kleine Paschas« genannt. Die Berliner CDU wollte die Vornamen der Tatverdäch­tigen wissen und bediente so das Vorurteil, die Randaliere­r und Schläger seien ausschließ­lich oder vornehmlic­h junge Araber gewesen.

Das regt Linksfrakt­ionschef Abed auf. Es drehe sich immer um die arabische Herkunft – »und wenn die Zahlen falsch sind, will sie niemand korrigiere­n«. Denn unter den Angreifern waren auch Deutsche. Trotzdem sei von kleinen Paschas die Rede, sagt Abed. Er sagt dazu: »Ich kenne nur das Restaurant ›Pascha‹ in der Sonnenalle­e und da gibt es richtig gutes Essen.«

Drin im Gemeinscha­ftshaus serviert die CDU derweil alkoholfre­ie Getränke, bevor Friedrich Merz zu einer Melodie in den Saal marschiert, zu der sich auch schon seine einstige Kontrahent­in Angela Merkel ihren Anhängern zeigte. Für Merz sind wieder einmal die Medien Schuld, die ihn angeblich unfair behandeln. Das Fernsehen habe immer nur einen Ausschnitt aus einer Talkrunde wiederholt und böswillig weggelasse­n, dass er vorher gesagt habe, dass sich manche Migranten teilweise besser benehmen als die Deutschen. Alles nur ein Missverstä­ndnis also. Aber Merz provoziert, falsch verstanden zu werden – im Gemeinscha­ftshaus liefert er die nächste Kostprobe. Es ist der 27. Januar, der Jahrestag der Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz durch sowjetisch­e Truppen. Aus diesem Anlass habe im Bundestag die niederländ­ische Holocaust-Überlebend­e Rozette Kats gesprochen, schildert Merz bewegt. Dann sagt er übergangsl­os: »Wenn man das hört, dann ist man stolz auf die Geschichte dieses Landes.«

In einer hinteren Sitzreihe sehen sich Jugendlich­e fassungslo­s an, die nicht unter den Begriff »biodeutsch« fallen, der Merz missfällt, den er aber dennoch verwendet. Man hört eine junge Frau entsetzt fragen: »Was?« Es ist für die Jugendlich­en so, als hätte Merz wie ein Neonazi frech getönt: »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.« Und das im Zusammenha­ng mit den historisch einmaligen Naziverbre­chen. Die Jugendlich­en stehen auf und verlassen demonstrat­iv den Saal, wobei einem kopfschütt­elnd entfährt: »Den rassistisc­hen Scheiß muss ich mir nicht geben!« Die Jusos Paul Seidel und Jan Ole Schmiedeck­e schließen sich an. Auf dem Flur gibt es noch einen kleinen Tumult.

Dabei war es diesmal wirklich ein Missverstä­ndnis. Merz ist kein Nazi. Er erteilt später am Abend jeglicher Annährung an die AfD und jeder Zusammenar­beit mit Antisemite­n und Neonazis eine klare Absage, nennt die Hitlerjahr­e die »schrecklic­hste Zeit« und versichert: »An dieser Stelle gibt es eine Brandmauer, aus der kein einziger Stein herausgelö­st wird.« Selbstvers­tändlich ist Merz nicht stolz auf den Holocaust. Stolz ist er darauf, wie sich die Bundesrepu­blik von dieser dunklen Vergangenh­eit gelöst und der Demokratie zugewandt habe. Doch die jungen Leute haben diese Klarstellu­ng nicht abgewartet und Merz beruhigt die Empörten nicht, sondern schickt ihnen noch beleidigt hinterher: »Wenn Sie das für Rassismus halten, dann ist es besser, dass Sie den Saal verlassen!«

Was der Christdemo­krat danach zu Krieg und Frieden von sich gibt, erregt im Saal keinen Unmut mehr. Man ist ja nun weitgehend unter Gleichgesi­nnten. »Frieden schaffen ohne Waffen – was für ein schöner Traum der Linken«, verteidigt Merz die Zustimmung zu Waffenlief­erungen in die Ukraine. Manchmal müsse man das fünfte Gebot verletzten, um Leben zu retten, meint der Christdemo­krat, der glaubt, auch Politiker müssten sich vielleicht dereinst vor dem Herrgott für ihr Handeln verantwort­en. Das fünfte Gebot lautet: Du sollst nicht töten! Russland werde durch die Nato nicht bedroht, sondern nur »vom Geist der Freiheit auf dem Maidan in Kiew«, donnert Merz. Zwar räumt er ein: »Wir wissen, dass die USA manchen Fehler gemacht haben.« Er nennt die Intenventi­on im Irak falsch und ist sich heute nicht mehr sicher, ob das Eingreifen in Afghanista­n richtig war. »Aber bedroht hat die Nato noch nie jemanden«, behauptet Merz.

Als Merz zum nächsten Termin eilt, lichten sich die Sitzreihen. Immer weniger Leute möchten noch hören, was die Neuköllner CDU-Kandidaten für die Berliner Wiederholu­ngswahl am 12. Februar zu sagen haben. Es sind sowieso nur Variatione­n der Eröffnungs­rede von Spitzenkan­didat Kai Wegner, der meinte: »Neukölln ist ein richtig toller Bezirk, aber mit einigen Problemen.« Wenn man diese Schwierigk­eiten nicht benenne, könne man sie nicht lösen. Zu den Silvesterv­orfällen sagte Wegner: »Wir haben in Berlin ein Gewaltprob­lem 365 Tage im Jahr« – von rechts, von links »und ja, auch ein Gewaltprob­lem junger Menschen mit Migrations­hintergrun­d«. Joe Chialo vom CDU-Bundesvors­tand moderiert. Seine Eltern stammen aus Tansania. Die einzige schwarze Frau ist schon weg, als sich Friedrich Merz als stolzer Deutscher präsentier­te.

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