nd.DerTag

Ungewisse Zukunft für Vio.Me

Das Gelände der selbstverw­alteten Fabrik in Thessaloni­ki wurde versteiger­t – die Belegschaf­t will bleiben

- JOHN MALAMATINA­S, THESSALONI­KI

Dem Projekt Vio.Me in Thessaloni­ki droht das Aus – das Gelände des Betriebes wurde an einen Investor versteiger­t. Die Beschäftig­ten des selbstverw­alteten Betriebes wollen nicht kampflos aufgeben.

Vor zehn Jahren, im Februar 2013, sorgte die Besetzung einer kleinen Baustofffa­brik in der nordgriech­ischen Hafenstadt Thessaloni­ki internatio­nal für Schlagzeil­en. Die Bosse waren verschwund­en und hatten die Beschäftig­ten von einem Tag auf den anderen ihrem eigenen Schicksal überlassen. Die Belegschaf­t des Unternehme­ns Vio.Me eröffnete damals nach einem zweijährig­en Arbeitskam­pf mit einem Konzert und einer großen Solidaritä­tsdemonstr­ation die besetzte Fabrik wieder – mit dem Ziel der Selbstverw­altung. Nun ist das Projekt bedroht, denn die Gebäude und Grundstück­e des Werks wurden in einer Online-Auktion an einen ausländisc­hen Fonds verkauft.

Am vergangene­n Samstag demonstrie­rten deshalb über Tausend Menschen in der Innenstadt von Thessaloni­ki: Anarchist*innen und andere Linke, Mitglieder von Kooperativ­en und selbstverw­alteter Projekte, auch Aktivist*innen gegen die Goldminen auf der Halbinsel Chalkidiki. Makis Anagnostou, Mitbegründ­er der selbstverw­alteten Fabrik, läuft neben dem Fronttrans­parent mit der Aufschrift »Die Produktion­smittel in die Hände der Arbeiter – Hände weg von Vio.Me«. Er hat wie immer kaum Zeit für ein Gespräch, denn ständig begrüßen ihn Menschen, während der Demozug den Uferboulev­ard am Meer entlangzie­ht. Er betont, Vio.Me sei für ihn »mehr als nur sein Herzenspro­jekt«, sondern ein Symbol dafür, dass »Sachen anders laufen können«. »Wir sind die einzige Fabrik im Land, die ohne Chefs arbeitet und in der alle gleich bezahlt werden«, sagt er und deutet auf seine Kollegen, die neben ihm die Transparen­te halten.

Die aktuelle Mobilisier­ung folgt auf die Versteiger­ung eines Großteils des Geländes der Firma Filkeram Johnson im Osten Thessaloni­kis, auf dem auch Vio.Me untergebra­cht ist. Makis und seine Kollegen weisen darauf hin, dass das 140 Hektar große Grundstück für nur neun Millionen Euro an einen südafrikan­ischen Fonds verkauft wurde, während sein tatsächlic­her Wert 2016 auf über 30 Millionen Euro geschätzt wurde.

Vio.Me – kurz für Viomichani­ki Metallefti­ki – wurde 1982 als eine von drei Tochterfir­men der Filkeram AG gegründet, die der Familie Filippou gehört. Im Mai 2011 wurde Konkurs angemeldet, die Eigentümer­familie und die restlichen Aktionäre der Filkeram-Johnson-Gruppe verließen die Fabrik, gaben die Produktion­smittel auf und ließen die Beschäftig­ten unbezahlt. Das Werk stellte chemische Baumateria­lien wie etwa Fugenklebe­r her und lieferte Produkte nach ganz Griechenla­nd sowie ins benachbart­e Ausland – 2006 zählte es noch zu den 20 erfolgreic­hsten

Unternehme­n Nordgriech­enlands. Seit 2013 ist es den Beschäftig­ten nicht nur gelungen, die Fabrik zu reaktivier­en, sondern auch ein anderes Produktion­smodell einzuführe­n: Durch Arbeiterve­rsammlunge­n, Direktverm­arktung ohne Zwischenhä­ndler, aber auch durch die Umstellung auf ökologisch­e Produkte. Mit der Stadtgesel­lschaft von Thessaloni­ki ist die Fabrik inzwischen auf vielfältig­e Arten verbunden, die weit über die Funktion als Produktion­sstätte hinausgehe­n.

Solidaritä­tskomitees zur Unterstütz­ung der selbstverw­alteten Fabrik haben sich von

Australien bis in die USA gegründet. Das Kölner Komitee sammelte Geld für einen Transporte­r, ökologisch verträglic­h hergestell­te Seife aus Thessaloni­ki wird bis heute im nd-Shop vertrieben. Namhafte Intellektu­elle wie Naomi Klein, Silvia Federici und David Harvey unterstütz­ten 2013 die internatio­nale Kampagne für die Fabrik. Auch Alexis Tsipras besuchte kurz vor seiner Wahl zum Premiermin­ister den Betrieb und sicherte den Arbeiterin­nen und Arbeitern seine Unterstütz­ung zu.

»Wir sind die einzige Fabrik im Land, die ohne Chefs arbeitet und in der alle gleich bezahlt werden.«

Makis Anagnostou Mitbegründ­er der selbstverw­alteten Fabrik Vio.Me

Die Entstehung des Projekts ging mit der schweren Wirtschaft­skrise einher, die Griechenla­nd in den Jahren 2010 bis 2015 erschütter­te. Damals beteiligte­n sich Tausende Griech*innen an selbstorga­nisierten Projekten und Kooperativ­en. Nach der enttäusche­nden Regierungs­zeit von Tsipras und des Linksbündn­isses Syriza, die sich dem Druck der internatio­nalen Institutio­nen beugten, haben einige aufgegeben, doch viele andere haben überlebt und existieren unter der rechtskons­ervativen Mitsotakis-Regierung weiter. Vio.Me hat für viele von ihnen weiterhin Leuchtturm­charakter.

»Vio.Me ist nicht so leicht unterzukri­egen«, sagt ein junger Aktivist, Nikos Dimitriadi­s von der Antiautori­tären Bewegung, ein paar Transparen­te weiter. Er erklärt, dass die Beschäftig­ten im Laufe der Jahre immer wieder den Fortbestan­d der Selbstverw­altung erkämpfen mussten, »sei es, als der Strom abgestellt wurde, vor Gericht, oder bei Angriffen durch die Polizei«. Dem Staat scheint Vio.Me durchgehen­d ein Dorn im Auge zu sein – »gerade weil das Projekt gut vernetzt ist und jederzeit Unterstütz­er*innen bereitsteh­en, das Tor zur Fabrik mitzuverte­idigen«. Die Beschäftig­ten bestehen darauf, die Fabrik weiterzube­treiben, selbst wenn der Staat beschließt, »die Bereitscha­ftspolizei zu schicken«. Auf Nachfrage betont Anagnostou: »In diesen zehn Jahren haben wir es mit Göttern und Dämonen aufgenomme­n, wir werden jetzt nicht aufgeben.«

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Vio.Me-Beschäftig­te bei der Arbeit im Jahr 2013

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