Chemikalien für die Ewigkeit
Herstellung und Einsatz bestimmter Substanzen könnten in der Europäischen Union verboten werden
Sie stecken in Kleidung und Kosmetika, werden aber immer mehr zum Problem: Die speziellen Fluorverbindungen sind kaum abbaubar. Fünf EU-Staaten drängen nun auf ein Verbot der tückischen Substanzen.
Diese Chemikalien finden sich überall: in Kochgeschirr ebenso wie in Outdoorbekleidung, Möbeln oder Kosmetika. Gemeint sind Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS), die wegen ihrer wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften in der Industrie sehr beliebt sind. Sie sind zudem äußerst variantenreich: Mehr als 4700 verschiedene Stoffe zählt die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) und warnt vor den Folgen ihrer Verwendung. Denn die PFAS sind »Ewigkeits-Chemikalien«, die in der Natur kaum abgebaut werden. Stattdessen kontaminieren sie Grundwasser, Flüsse und Böden. Von dort wandern die tückischen Substanzen in die Nahrungskette. »Wenn sie weiterhin freigesetzt werden, reichern sie sich in der Umwelt, im Trinkwasser und in Lebensmitteln an«, so die ECHA, die als EU-Behörde diese Stoffe bewertet und überwacht. Auch im menschlichen Körper sammeln sich die Stoffe, wo sie Leberschäden, Schilddrüsenerkrankungen, Fettleibigkeit,
Fruchtbarkeitsstörungen und Krebs verursachen können.
Bislang tat sich die ECHA schwer damit, die Stoffe stärker zu beschränken. Derzeit sind zwölf PFAS betroffen beziehungsweise dürfen nur noch unter Auflagen verwendet werden. Deshalb machen jetzt fünf EU-Länder Druck. In einem gemeinsamen Vorstoß fordern die Behörden Dänemarks, Deutschlands, der Niederlande, Norwegens und Schwedens, die Nutzung der gefährlichen Substanzen zu beschränken und mit Übergangsfristen zwischen 18 Monaten und 12 Jahren ganz zu verbieten. Das soll im Rahmen EU-Chemikalienverordnung REACH geschehen. Sollte die EU-Kommission diesen Vorschlag annehmen, müsste Ersatz für etwa 10000 Anwendungen gefunden werden. Die Kommission müsste eigentlich ein offenes Ohr für das Anliegen haben, hat sie doch im Rahmen ihres Europäischen Green Deals das Null-Schadstoff-Ziel festgelegt. Die PFAS werden dort ausdrücklich erwähnt.
Für den Umwelttoxikologen Henner Hollert ist der leichtfertige Umgang mit den Ewigkeits-Chemikalien exemplarisch: »Grundsätzlich zeigt das Beispiel der PFAS aber, dass von wirklicher Vorsorge in der Stoffentwicklung nicht die Rede sein kann. Gefährliche Stoffe werden entwickelt, weil sie bestimmte Funktionen erfüllen – wie sie in der Umwelt oder auf die Gesundheit wirken, spielt viel zu häufig gar keine Rolle.«
Doch längst ist nicht jede PFAS-Chemikalie hinreichend getestet worden. »Bei mehr als 4700 bekannten PFAS wäre die Durchführung von Risikobewertungen für jeden einzelnen Stoff ein extrem langwieriger und ressourcenaufwendiger Prozess«, meint die Europäische Umweltagentur. Zwar haben auch die fünf nationalen Behörden verschiedene PFAS, ihre Verwendung und die Risiken untersucht. Doch ist man weit davon entfernt, die Gefährlichkeit einer jeden Substanz einschätzen zu können.
Nicht einmal die Grenzwerte, etwa die Konzentration im menschlichen Körper, sind unumstritten. Entsprechende Richtwerte mussten in den vergangenen Jahren immer wieder nach unten korrigiert werden, weil man die Stoffe unterschätzt hatte. Die Sache ist äußerst kompliziert. Das gilt auch für den weiteren Verbotsprozess. Wobei REACH nicht verbietet, sondern »Beschränkungen« erlässt, wenn von einem Stoff ein »unannehmbares
Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt« ausgeht. Zuerst müssen die wissenschaftlichen Ausschüsse der Europäischen Chemieagentur prüfen, ob der Vorschlag der fünf Länder den rechtlichen Anforderungen von REACH entspricht. Erst wenn das der Fall ist, werden die Ausschüsse mit der wissenschaftlichen Bewertung des Vorschlags beginnen. Es kann also weit mehr als ein Jahrzehnt ins Land gehen, bevor für die letzten PFAS eine Beschränkung gilt.
Die Chemielobby ist alarmiert. Schließlich will man nicht nur einzelne Chemikalien, sondern ganze Stoffgruppen verbieten. In Brüssel gab es bereits die ersten Pressetermine, um Journalist*innen zu erklären, wie unersetzlich die Chemikalien doch sind. Tatsächlich bietet REACH hier ein Schlupfloch für die Industrie. So können problematische Stoffe weiter verwendet werden, wenn der sozioökonomische Nutzen überwiegt und es keine Alternativen gibt. Unmöglich sei es aber nicht, die PFAS zu ersetzen, betont das Umweltbundesamt: »Bei Bekleidung wie Outdoorjacken gibt es bereits entsprechend beworbene Produkte. Statt einer beschichteten Pfanne funktioniert auch eine Eisen- oder Emaillepfanne. Diese sind sogar länger haltbar, weil sie kratzfest sind. Und Mehrweggeschirr aus Glas oder Porzellan statt beschichteter Einmal-Pappbecher ist ohnehin besser für die Umwelt.«
Die Chemielobby ist alarmiert. Schließlich will man nicht nur einzelne Chemikalien, sondern ganze Stoffgruppen verbieten.