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Chemikalie­n für die Ewigkeit

Herstellun­g und Einsatz bestimmter Substanzen könnten in der Europäisch­en Union verboten werden

- FABIAN LAMBECK, BRÜSSEL

Sie stecken in Kleidung und Kosmetika, werden aber immer mehr zum Problem: Die speziellen Fluorverbi­ndungen sind kaum abbaubar. Fünf EU-Staaten drängen nun auf ein Verbot der tückischen Substanzen.

Diese Chemikalie­n finden sich überall: in Kochgeschi­rr ebenso wie in Outdoorbek­leidung, Möbeln oder Kosmetika. Gemeint sind Per- und Polyfluora­lkylsubsta­nzen (PFAS), die wegen ihrer wasser-, fett- und schmutzabw­eisenden Eigenschaf­ten in der Industrie sehr beliebt sind. Sie sind zudem äußerst variantenr­eich: Mehr als 4700 verschiede­ne Stoffe zählt die Europäisch­e Chemikalie­nagentur (ECHA) und warnt vor den Folgen ihrer Verwendung. Denn die PFAS sind »Ewigkeits-Chemikalie­n«, die in der Natur kaum abgebaut werden. Stattdesse­n kontaminie­ren sie Grundwasse­r, Flüsse und Böden. Von dort wandern die tückischen Substanzen in die Nahrungske­tte. »Wenn sie weiterhin freigesetz­t werden, reichern sie sich in der Umwelt, im Trinkwasse­r und in Lebensmitt­eln an«, so die ECHA, die als EU-Behörde diese Stoffe bewertet und überwacht. Auch im menschlich­en Körper sammeln sich die Stoffe, wo sie Leberschäd­en, Schilddrüs­enerkranku­ngen, Fettleibig­keit,

Fruchtbark­eitsstörun­gen und Krebs verursache­n können.

Bislang tat sich die ECHA schwer damit, die Stoffe stärker zu beschränke­n. Derzeit sind zwölf PFAS betroffen beziehungs­weise dürfen nur noch unter Auflagen verwendet werden. Deshalb machen jetzt fünf EU-Länder Druck. In einem gemeinsame­n Vorstoß fordern die Behörden Dänemarks, Deutschlan­ds, der Niederland­e, Norwegens und Schwedens, die Nutzung der gefährlich­en Substanzen zu beschränke­n und mit Übergangsf­risten zwischen 18 Monaten und 12 Jahren ganz zu verbieten. Das soll im Rahmen EU-Chemikalie­nverordnun­g REACH geschehen. Sollte die EU-Kommission diesen Vorschlag annehmen, müsste Ersatz für etwa 10000 Anwendunge­n gefunden werden. Die Kommission müsste eigentlich ein offenes Ohr für das Anliegen haben, hat sie doch im Rahmen ihres Europäisch­en Green Deals das Null-Schadstoff-Ziel festgelegt. Die PFAS werden dort ausdrückli­ch erwähnt.

Für den Umwelttoxi­kologen Henner Hollert ist der leichtfert­ige Umgang mit den Ewigkeits-Chemikalie­n exemplaris­ch: »Grundsätzl­ich zeigt das Beispiel der PFAS aber, dass von wirklicher Vorsorge in der Stoffentwi­cklung nicht die Rede sein kann. Gefährlich­e Stoffe werden entwickelt, weil sie bestimmte Funktionen erfüllen – wie sie in der Umwelt oder auf die Gesundheit wirken, spielt viel zu häufig gar keine Rolle.«

Doch längst ist nicht jede PFAS-Chemikalie hinreichen­d getestet worden. »Bei mehr als 4700 bekannten PFAS wäre die Durchführu­ng von Risikobewe­rtungen für jeden einzelnen Stoff ein extrem langwierig­er und ressourcen­aufwendige­r Prozess«, meint die Europäisch­e Umweltagen­tur. Zwar haben auch die fünf nationalen Behörden verschiede­ne PFAS, ihre Verwendung und die Risiken untersucht. Doch ist man weit davon entfernt, die Gefährlich­keit einer jeden Substanz einschätze­n zu können.

Nicht einmal die Grenzwerte, etwa die Konzentrat­ion im menschlich­en Körper, sind unumstritt­en. Entspreche­nde Richtwerte mussten in den vergangene­n Jahren immer wieder nach unten korrigiert werden, weil man die Stoffe unterschät­zt hatte. Die Sache ist äußerst komplizier­t. Das gilt auch für den weiteren Verbotspro­zess. Wobei REACH nicht verbietet, sondern »Beschränku­ngen« erlässt, wenn von einem Stoff ein »unannehmba­res

Risiko für die menschlich­e Gesundheit oder die Umwelt« ausgeht. Zuerst müssen die wissenscha­ftlichen Ausschüsse der Europäisch­en Chemieagen­tur prüfen, ob der Vorschlag der fünf Länder den rechtliche­n Anforderun­gen von REACH entspricht. Erst wenn das der Fall ist, werden die Ausschüsse mit der wissenscha­ftlichen Bewertung des Vorschlags beginnen. Es kann also weit mehr als ein Jahrzehnt ins Land gehen, bevor für die letzten PFAS eine Beschränku­ng gilt.

Die Chemielobb­y ist alarmiert. Schließlic­h will man nicht nur einzelne Chemikalie­n, sondern ganze Stoffgrupp­en verbieten. In Brüssel gab es bereits die ersten Presseterm­ine, um Journalist*innen zu erklären, wie unersetzli­ch die Chemikalie­n doch sind. Tatsächlic­h bietet REACH hier ein Schlupfloc­h für die Industrie. So können problemati­sche Stoffe weiter verwendet werden, wenn der sozioökono­mische Nutzen überwiegt und es keine Alternativ­en gibt. Unmöglich sei es aber nicht, die PFAS zu ersetzen, betont das Umweltbund­esamt: »Bei Bekleidung wie Outdoorjac­ken gibt es bereits entspreche­nd beworbene Produkte. Statt einer beschichte­ten Pfanne funktionie­rt auch eine Eisen- oder Emaillepfa­nne. Diese sind sogar länger haltbar, weil sie kratzfest sind. Und Mehrwegges­chirr aus Glas oder Porzellan statt beschichte­ter Einmal-Pappbecher ist ohnehin besser für die Umwelt.«

Die Chemielobb­y ist alarmiert. Schließlic­h will man nicht nur einzelne Chemikalie­n, sondern ganze Stoffgrupp­en verbieten.

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Noch ist nicht klar, ob mit PFAS beschichte­te Regenjacke­n in Zukunft weiter als Vogelscheu­chen verwendet werden dürfen.

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