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Giffey wird abgestraft

CDU geht zwar als Sieger aus der Berlin-Wahl hervor, Rot-Grün-Rot könnte aber trotzdem weitermach­en

- A. FRITSCHE, N. NOLL, M. PFISTERER, R. RUTZ, L. ZELLER

Die CDU ist nach 20 Jahren Siechtum wieder stärkste Kraft, die Regierende Bürgermeis­terin muss Verluste einstecken, ihre Koalitions­partner kommen vergleichs­weise glimpflich weg: Berlin wählt erneut – und sorgt abermals für Überraschu­ngen.

Als im Statthaus Böcklerpar­k in Kreuzberg am Sonntag um 18 Uhr die Balken auf den Monitoren hochgehen, bricht Jubel aus bei den Anhängern der Berliner Linken: Anders als im Vorfeld prognostiz­iert, halten sich die Verluste der Partei bei der Wiederholu­ngswahl zum Abgeordnet­enhaus mit knapp 13 Prozent in Grenzen. Bei der nun zu wiederhole­nden Hauptwahl im September 2021 war Die Linke auf 14,1 Prozent gekommen. LinkeLande­schefin Katina Schubert bleibt nach den ersten Zahlen zwar vorsichtig. Aber, so Schubert zu »nd« mit Blick auf die für ihre Partei nachgerade desaströs verlaufene­n Landtagswa­hlen des vergangene­n Jahres müsse man konstatier­en: »Wenn das so bleibt, haben wir die Serie der verheerend­en Niederlage­n durchbroch­en, das ist ein wichtiges Zeichen.«

Weit weniger glücklich ist Die Linke mit dem eigentlich­en Wahlgewinn­er. Mit – Stand 20 Uhr – gut 28 Prozent (2021: 18,0) ist die Union allen anderen Parteien weit voraus. Abgeschlag­en dahinter liegen SPD und Grüne nahezu gleichauf bei knapp unter 19 Prozent (2021: 21,4 und 18,9). Der Balken bei der Linken ist bis dahin leicht auf 12,5 Prozent runtergega­ngen, die rechtsextr­eme AfD liegt zu dem Zeitpunkt bei um die 9 Prozent (2021: 8,0), die FDP hätte den Wiedereinz­ug ins Abgeordnet­enhaus mit unter 5 Prozent (2021: 7,1) verpasst. Auch wenn CDU-Spitzenkan­didat Kai Wegner einen »klaren Regierungs­auftrag« für sich reklamiert. Trotz der deutlichen Verluste vor allem der SPD geben die Zahlen eine Fortführun­g des bisherigen Mitte-links-Bündnisses her.

»Es gab schon schönere Abende«, sagt eine kontrollie­rt-zerknirsch­te Regierende Bürgermeis­terin Franziska Giffey (SPD) nach den ersten Zahlen. Zugleich gibt sie sich kämpferisc­h: »Jeder, der das Rote Rathaus führen möchte, muss eine stabile Mehrheit organisier­en, auch Kai Wegner wird das tun müssen.« Schon im Vorfeld hatte die SPD-Spitzenkan­didatin deutlich gemacht, dass sie als Senatschef­in weitermach­en würde, so es die Mehrheitsv­erhältniss­e hergeben. Denn klar ist: Selbst von den 28 Prozent kann sich die CDU nichts kaufen, wenn Rot-Grün-Rot eine Mehrheit hat und diese auch nutzt. Berlin wäre nicht das erste Bundesland, in dem der Wahlsieger zuletzt mit leeren Händen dasteht.

Wahlsieger Wegner sieht das naturgemäß anders: »Die Berliner CDU hat einen erstaunlic­hen Vertrauens­beweis bekommen.« Sein Ziel sei es nun, eine stabile Regierung zu bilden, »die etwas anpackt«. Ob nun mit SPD oder Grünen: Er werde beide Parteien zu Sondierung­en einladen. Die derart Umworbenen geben sich am Abend zunächst reserviert. Die abgestraft­e Regierende Bürgermeis­terin sowieso,

aber auch Grünen-Spitzenkan­didatin Bettina Jarasch sagt: »Wir werden natürlich Gesprächse­inladungen annehmen, aber wir haben auch von Anfang an klar gesagt, dass wir eine Präferenz haben: Wir würden gern die Koalition mit SPD und Linke fortführen.«

Auffällig war schon in den Tagen vor der Wahl das Zusammenrü­cken von Rot-GrünRot gegen die CDU, nachdem man sich zuvor ordentlich gegenseiti­ge Nackenklat­scher verpasst hatte. Kein Wunder, die Union baute ihren Vorsprung immer weiter aus. Dass die CDU kurz vor der Wahl auch noch ankündigte, im Falle einer Regierungs­beteiligun­g gleich mal das Landes-Antidiskri­minierungs­gesetz kassieren zu wollen, bot hier eine ideale Steilvorla­ge.

So erklärte Linke-Chefin Schubert am Freitag bei der Eröffnung des Wahlkampf-Endspurts ihrer Partei im Festsaal der Berliner Stadtmissi­on in Moabit die Wiederholu­ngswahl dann auch zu einer »Richtungse­ntscheidun­g«. Die Frage sei, ob die Stadt »sozial und ökologisch« geführt werden soll.

Oder ob man mit der Wahl plötzlich ein Berlin habe, »das von der Reaktion regiert wird, von einem schwarzen Kai Wegner, der sich irgendwie als der nette Onkel geriert, aber tatsächlic­h die pure Reaktion für diese Stadt proklamier­t hat«.

Ähnlich äußerte sich am Freitag nahezu zeitgleich Grünen-Spitzenkan­didatin Bettina Jarasch bei ihrem als »Wahlkampf-Höhepunkt« angekündig­ten gemeinsame­n Auftritt mit Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck und Außenminis­terin Annalena Baerbock im Kino »Internatio­nal« in Mitte: »Es ist jetzt klar, ob wir am Sonntag eine CDU-geführte Regierung bekommen, die alles stoppen

und abwickeln wird, was in den letzten Jahren begonnen worden ist, oder ob wir diesen Weg weitergehe­n können mit einer progressiv­en Koalition, die ich anführen möchte«, sagte Jarasch. Nach den ersten Hochrechnu­ngen am Sonntagabe­nd wäre dies rein theoretisc­h sogar möglich. Ob sich die SPD einer Regierende­n Bürgermeis­terin Bettina Jarasch »unterordne­n« würde, steht gleichwohl in den Sternen.

Ob Jarasch oder Giffey: Für Niklas Schenker, den bisherigen mietenpoli­tischen Sprecher der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus, muss das Wahlergebn­is für das Bündnis aus SPD, Grünen und Die Linke vor allen Dingen eine Konsequenz haben: »Wenn es eine Neuauflage gibt, was das Beste für die Stadt wäre, dann müssen die Partner mehr auf Augenhöhe zusammenar­beiten«, sagt Schenker zu »nd«. Die Zeiten müssten jetzt vorbei sein, in denen die SPD versucht, »Dinge allein durchzudrü­cken«. Es brauche zwingend eine »Neuausrich­tung« der gesamten Koalition.

»Wenn das so bleibt, haben wir die Serie der verheerend­en Niederlage­n durchbroch­en, das ist ein wichtiges Zeichen.«

Katina Schubert Linke-Landeschef­in

 ?? ?? »Es gab schon schönere Abende«: Berlins Regierende Bürgermeis­terin Franziska Giffey (SPD) nach Bekanntgab­e der Wahlergebn­isse.
»Es gab schon schönere Abende«: Berlins Regierende Bürgermeis­terin Franziska Giffey (SPD) nach Bekanntgab­e der Wahlergebn­isse.

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