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Die hohe Kunst der leichten Lieder

Im Alter von 94 Jahren starb einer der größten Komponiste­n des 20. Jahrhunder­ts: Burt Bacharach

- FRANK JÖRICKE

Zum Beispiel »Raindrops Keep Falling on My Head«. Natürlich ein Megaohrwur­m und sein größter Hit. Nach knapp zweieinhal­b Minuten denkt man: »Jetzt wird er noch ein, zwei Mal den Refrain wiederhole­n und dann ausblenden.« Doch weit gefehlt! Burt Bacharach macht einen Break, haut unvermitte­lt Stakkato-Bläser rein, die in keiner Verbindung zum Vorherigen stehen. Als wolle er sagen: »Ihr hattet euren Spaß; jetzt hab ich meinen!« Dass er damit bei den Zuhörern durchkam, zeigt, wie sehr ihn diese bewunderte­n.

Das ist überhaupt ein Charakteri­stikum seiner Kompositio­nen. Sie sind Easy Listening, also auf Anhieb eingängig, gefällig und geschmeidi­g. Doch beim dritten, vierten, ja, sogar noch beim zehnten Hören entdeckt man Feinheiten, kleine Improvisat­ionen, musikalisc­he Schlenker, die verraten, welche Komplexitä­t in diesen vermeintli­ch einfachen Songs steckt.

Dazu passen dann auch die Texte, die literarisc­hen Ansprüchen gerecht werden. Zwischen 1957 und 1973 – der Blütezeit von Burt Bacharach, in der es über 80 seiner Stücke in die Charts schafften – hatte er in Hal David einen kongeniale­n Partner. Man stelle sich die folgenden Zeilen in einem deutschen Schlager vor: »Was bekommt man, wenn man sich verliebt? Einen Kerl mit einer Nadel, der deine Blase platzen lässt. (…) Was kriegt man, wenn man einen Kerl küsst? Genug Bazillen, um sich eine Lungenentz­ündung einzufange­n. Danach ruft er dich nie wieder an. Ich werde mich nie wieder verlieben.« Nein, das kann man sich nicht vorstellen. Texte wie der von »I’ll Never Fall in Love Again« gelangen nur Hal David.

Das Dreamteam komplettie­rte seit 1961 Dionne Warwick, die Tante von Whitney Houston. Bacharach und David schrieben für Dutzende von Künstlern Stücke. Hinzu kommen unzählige Coverversi­onen, darunter Kuriosität­en wie das »Burt Bacharach Songbook« von Marion Maerz, die mit erfrischen­dem Charme seine Songs auf Deutsch intoniert. Doch keine Sängerin vermittelt­e die Sophistica­tion, die Raffinesse, die in Kompositio­n und Text lagen, so überzeugen­d wie Dionne Warwick. Denn sie beherrscht­e – im Gegensatz zu den heutigen Heulbojen des R&B (ich sage nur Mariah Carey) – die Fähigkeit, sich zurückzune­hmen. Eine tieftrauri­ge Ballade wie »A House Is Not a Home« trug sie mit einer solchen Leichtigke­it vor, dass die melancholi­sche Melodie und die bitteren Worte nur umso stärker wirkten.

1973 überwarfen sich Bacharach und David. Danach gelangen Ersterem noch einige

Hits, etwa »Arthur’s Theme (Best That You Can Do)« mit Christophe­r Cross (für den Bacharach einen seiner drei Oscars für den besten Filmsong gewann) und »On My Own« mit Patti LaBelle und Michael McDonald. Nicht zu vergessen: Burt Bacharach ist der Komponist des Aids-Benefizson­gs »That’s What Friends Are For« mit Dionne Warwick, Elton John, Gladys Knight und Stevie Wonder. 1998 – da war er bereits 70 – gelang ihm mit Elvis Costello noch einmal der große Wurf. »Painted From Memory« demonstrie­rt, wozu zwei überirdisc­he Songwriter fähig sind, wenn sie sich zusammentu­n.

Er hat danach weiter komponiert. Ja, 2019, im Alter von 90, ging er sogar noch einmal auf Tournee. Am 8. Februar ist Burt Bacharach im Alter von 94 Jahren in Los Angeles gestorben. Im Himmel dürfte ab sofort bessere Musik laufen.

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