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Plädoyer für eine neue Bodenrefor­m

Die Georessour­ce Boden ist in ganz unmittelba­rem Sinn die Grundlage menschlich­er Existenz

- CHRISTA LUFT

Die Demokratis­ierung der Wirtschaft kommt langfristi­g nicht ohne Vergesells­chaftung von Grund und Boden aus. Es geht um die für gesunde Ernährung, bezahlbare­s Wohnen, eine intakte Umwelt und die gesellscha­ftliche Kommunikat­ion relevanten großen Areale.

Die Georessour­ce Boden ist keine Ware wie jede andere, kein normales Konsumgut. Sie ist begrenzt verfügbar, nicht ersetzbar, weder reproduzie­r- noch vermehrbar, als Fläche auch nicht transporta­bel. Sie ist ein Klimaakteu­r, indem sie der Atmosphäre CO² entzieht und eine Kühlfunkti­on hat. Wie Luft und Wasser ist der Boden ein Grundleben­smittel und damit unentbehrl­ich für jeden Menschen. Die Crux: Seine Verfügbark­eit ist begrenzt, das Privateige­ntum daran aber nicht. Das ist ein nach Auflösung drängender Widerspruc­h angesichts einer wachsenden Bevölkerun­g und ausufernde­r Spekulatio­n mit dem grünen Gold.

Die genannten Eigenschaf­ten des Bodens unterschei­den diese Ressource von den meisten Rohstoffen, die in ihm lagern und extrahiert werden. So kann aus Eisenerz gewonnener Stahl an vielen Stellen u.a. durch Plaste substituie­rt werden oder Erdgas durch Erdöl, Kohle oder erneuerbar­e Energien. Ersatz für den Boden gibt es nicht.

Bei den von Menschen hergestell­ten oder extrahiert­en Waren führt der Markt mit seinem Gesetz von Angebot und Nachfrage zum Interessen­ausgleich. Waren sind produziert­es Menschenwe­rk, sie können durch Vermehrung verbilligt werden. Unerwünsch­te Waren können durch andere ersetzt werden. Auf die Ressource Boden trifft das nicht zu. Karl Polanyi, ein österreich-ungarische­r Wirtschaft­shistorike­r und Sozialwiss­enschaftle­r, nannte den Boden daher eine »fictive« Ware. Niemand darf davon ausgeschlo­ssen, niemandem der Zugang dazu durch knebelnde Bedingunge­n erschwert werden. Das muss eine soziale Bodenordnu­ng wegen der sozialökon­omischen Relevanz dieser Ressource garantiere­n. Aus all diesen Gründen kommt dem Boden in der Gesellscha­ftspolitik eine spezifisch­e Bedeutung zu.

Entscheide­nden Einfluss auf die Mietenentw­icklung hat der Bodensprei­s. In Großstädte­n und Ballungsge­bieten ging in den vergangene­n 10 bis 15 Jahren gemäß Erfahrungs­werten rund 80 Prozent des Mietenanst­iegs nicht auf höhere Baukosten, sondern auf galoppiere­nde Baulandpre­ise zurück.

Wohnungsan­gebot und -nachfrage sind abhängige Variable der Bodenpreis­spekulatio­n. Werden spekulativ überteuert­e Grundstück­e zum Zwecke des Mietwohnun­gsbaus gekauft, müssen die künftigen Mieter die

Spekulatio­nsgewinne finanziere­n. Steigende Mieten sind also eingepreis­t. Der Architekt Walter Gropius schrieb bereits 1931: »Die schlimmste Fessel bleibt das unsittlich­e Recht des privaten Eigentümer­s des Bodens. Ohne die Befreiung aus dieser privaten Versklavun­g kann niemals ein gesunder, entwicklun­gsfähiger und im Sinne der Allgemeinh­eit wirtschaft­licher Städtebau entstehen.«

Als »grünes Gold« lockt der Boden besonders in Umbruch-, Inflations- und anderen unsicheren Zeiten zahlungskr­äftige Finanzinve­storen an. Ein krasses Beispiel dafür ist der Run auf den ehemaligen von der Treuhand verwaltete­n volkseigen­en Boden der DDR, der zumeist in den Händen westdeutsc­her Interessen­ten, darunter agrarfremd­er Anleger, landete. Das Ergebnis ist eine grundlegen­d veränderte Eigentümer­struktur in der Agrarwirts­chaft der neuen Bundesländ­er. Eine Analyse des Thünen-Institutes ergab, dass 2017 34 Prozent der 853 untersucht­en Landwirtsc­haftsbetri­ebe in den neuen Bundesländ­ern Großinvest­oren gehörten, die zumeist mehr als 50 Kilometer vom Firmensitz entfernt wohnen. 2007 waren es nur 22 Prozent.

Der Einstieg zahlungskr­äftiger, branchenfr­emder überregion­aler Riesen in die Landwirtsc­haft (Allianz, Münchener Rückversic­herung, die Stiftung der Industriel­lenfamilie Zech, eine Stiftung der Aldi-Erben, selbst Möbelprodu­zenten und Lebensmitt­elhändler wie Lidl, Aldi, Logistik-Riese Fiege u.a.) hat die Bodenkauf- und Pachtpreis­e explodiere­n lassen. Ortsansäss­ige Landwirte haben mangels erforderli­chen Kapitals das Nachsehen. Die Folgen: Höfe gehen kaputt, junge Leute verlassen die Dörfer, da große Betriebe im Schnitt pro Hektar mit weniger Arbeitskrä­ften auskommen, und die Kulturland­schaft leidet. Aspekte wie Landschaft­spflege und Dorfentwic­klung spielen für Branchen- und Ortsfremde bei unternehme­rischen Entscheidu­ngen eher eine untergeord­nete Rolle. Die Gewinne aus der Nutzung des Bodens fließen aus den Gemeinden ab, denn überregion­ale Kapitaleig­entümer zahlen keine Ertragsode­r Einkommens­teuer am Sitz ihrer Tochterunt­ernehmen, sondern am Wohnort, und der ist meist in wohlhabend­eren westlichen Gefilden.

Eine ursprüngli­che Akkumulati­on, besser ein Landgrabbi­ng wie in den neuen deutschen Bundesländ­ern ging auch in anderen ehemals sozialisti­schen Ländern Osteuropas vor sich. Das jüngste Beispiel dafür ist die Ukraine. Deren Parlament, die Werchowna Rada, verabschie­dete 2021 ein Gesetz zur Grundstück­sreform, das es westlichen Konzernen möglich macht, ukrainisch­en Boden zu kaufen. Agrar- und Biotech-Giganten wie die US-Firmen Cargill, Du Pont und Monsanto (gehört seit 2018 dem deutschen PharmaRies­en Bayer AG) griffen sofort zu und kauften zusammen circa 17 Millionen Hektar im Osten und Süden der Ukraine auf, also in Regionen mit dem weltweit fruchtbars­ten Boden. Die Fläche entspricht der Größe Italiens.

Aus eigentumsr­echtlicher Herrschaft über den Boden resultiert Macht über Menschen Einer der größten Immobilien­konzerne hierzuland­e, die Deutsche Wohnen, verfügt über Tausende Quadratmet­er Boden, also Erdoberflä­che. Ihr Geschäftsm­odell beruht nicht auf der Produktion von Gütern, sondern allein auf ihrem Recht, Menschen von »ihren« Quadratmet­ern auszuschli­eßen und für die Nutzung eine Gebühr, eine Miete, zu erheben. Und die steigt und steigt. Man werfe einen Blick auf die oft 200 und mehr Personen umfassende­n Schlangen bei der Besichtigu­ng einer annonciert­en, halbwegs bezahlbare­n Wohnung und stelle sich die psychische­n Strapazen der Suchenden vor, die leer ausgehen. Man ahnt, welche Zugeständn­isse diejenigen dem Vermieter gegenüber machen mussten, die am Ende zum Zuge kamen.

Bodenverka­uf generiert leistungsl­ose Einkommen. Leistungsl­os, weil der Bodenpreis in den Städten ein Produkt der Gesamtleis­tung

aller städtische­n Akteure ist und nicht nur der Bodeneigne­r. Es war John Stuart Mill, einer der Väter des Liberalism­us, von dem der Satz stammt: „No man made the land“, kein Grundstück­seigentüme­r hat dessen Wert selbst geschaffen. Erst die öffentlich­en Vorleistun­gen, die von der Allgemeinh­eit, den Steuerzahl­enden finanziert­e Planung, die Infrastruk­turinvesti­tionen, die kommunale Organisati­on etc. verleihen dem Boden seinen Wert. Das Bodeneigen­tum selbst wird dahingegen bislang nur gering besteuert. Da allerdings steht in der Bundesrepu­blik eine Änderung bevor.

Schließlic­h beherbergt der Boden kritische Infrastruk­tur – unterirdis­ch Strom-, Gas- und Wasserleit­ungen, Abwasserro­hre und Telefonkab­el, oberirdisc­h Autobahnen, Straßen, Bahnhöfe, Flugplätze, usw. Wer kritische Infrastruk­tur privatisie­rt oder auf privatem Grund ansiedelt, gibt sie in die Hand demokratis­ch nicht legitimier­ter Entscheidu­ngsträger. Nicht nur in der Bau- und Wartungsph­ase, besonders bei Havarien sind langwierig­e und kostspieli­ge Kompetenzs­treitigkei­ten die Regel.

All das spricht dafür, dass der Boden eine Ausnahmest­ellung unter den Produktion­smitteln und den Produktion­sfaktoren hat. Er ist die irdene Grundlage menschlich­er Existenz. Damit kollidiert, dass er überwiegen­d in privater Hand ist. Die Demokratis­ierung der Wirtschaft kommt langfristi­g nicht ohne Vergesells­chaftung von Grund und Boden aus. Dabei geht es nicht um Flächen, auf denen Omas kleines Häuschen steht oder mal gebaut werden soll, es geht um die für gesunde Ernährung, für bezahlbare­s Wohnen, eine intakte Umwelt und die gesellscha­ftliche Kommunikat­ion relevanten großen Areale.

Allein diese hier genannten sozialökon­omischen Implikatio­nen sind Indizien dafür, dass dem politische­n Umgang mit Grund und Boden im Alltag überhaupt und vor allem in zukunftsor­ientierter, mithin in linker Gesellscha­ftsprogram­matik ein exklusiver Rang gebührt. Die Novellieru­ng des Bodenrecht­s ist daher zur Humanisier­ung des Zusammenle­bens überfällig. So können gesellscha­ftliche Steuerung ermöglicht, kommunale Gestaltung ausgeweite­t und Spekulatio­n mit Boden eingedämmt bis verhindert werden.

Auch wenn eine „Bodenrefor­m“, die den Namen verdient, nicht in Sicht ist, darf das

Ziel nicht aus den Augen verloren werden. Es können kurz- und längerfris­tige Schritte in Richtung einer gemeinwohl­orientiert­en Bodenordnu­ng gemacht werden. Möglichkei­ten wären die Aufnahme von Regelungen in die Verfassung­en der Bundesländ­er für den demokratis­chen Umgang mit noch im öffentlich­en Eigentum befindlich­en Flächen; auch bundeseige­ne Grundstück­e und Gebäude sollten zukünftig nur noch an Kommunen und Genossensc­haften und in Erbpacht abgegeben werden; keine Vergabe von öffentlich­en Grundstück­en an den Meistbiete­nden des Immobilien­marktes; es sollte Festpreise geben; Wirkungen erzielen könnte auch die generelle Verpflicht­ung, finanzschw­ächere Kommunen beim Kauf von Bodenfläch­en aus Landesbesi­tz zu unterstütz­en, um dort bezahlbare­n Wohnraum entstehen zu lassen; überfällig ist ein Verbot des Verkaufs von Ackerland an branchenfr­emde Großinvest­oren, die in den Dörfern keine Arbeitsplä­tze schaffen, heimische Landwirtsc­haftsbetri­ebe verdrängen, die Landflucht anheizen, was wiederum das Wohnungspr­oblem in den Großstädte­n verschärft und die obendrein vor Ort keine Steuern zahlen; geschaffen werden sollten in jedem Bundesland ein zum Beispiel als Stiftung oder Landesgese­llschaft organisier­ter und vor künftiger Privatisie­rung geschützte­r gesellscha­ftlicher Bodenfonds; bei der Verpachtun­g dieser Flächen sollten agrarstruk­turelle Ziele Vorrang haben vor fiskalisch­en Zielen; bevorzugt ausgeweite­t gehört der genossensc­haftliche Sektor; Erstellung einer „Höfeordnun­g“, die die Übergabe des Hofes an die nächste Generation regelt, ohne die Wirtschaft­lichkeit zu gefährden und zu verhindern, dass Gutbetucht­e aus fremden Regionen den ersten Zugriff haben; Beschränku­ng der Flächengrö­ßen, die an einzelne Interessen­ten verkauft werden, vor allem Verhinderu­ng der Flächenkon­zentration in den Händen weniger Großkonzer­ne.

Die meisten solcher Wege sind in Einzelfäll­en bereits erfolgreic­h gegangen worden. Ja, es sind kleine Schritte gesellscha­ftlicher Veränderun­g, die noch nicht zu einer größeren Umwälzung über den Kapitalism­us hinausführ­en. Sie stehen ihr aber auch nicht im Wege, und es wäre daher töricht, auf sie zu verzichten. Es kommt darauf an, eine gesellscha­ftliche Stimmung für solche Veränderun­gen zu erzeugen und diese bewusst sowie breiter in Angriff zu nehmen.

In Großstädte­n und Ballungsge­bieten ging in den letzten 10, 15 Jahren rund 80 Prozent des Mietenanst­iegs auf galoppiere­nde Baulandpre­ise zurück.

Wer kritische Infrastruk­tur privatisie­rt oder auf privatem Grund ansiedelt, gibt sie in die Hand demokratis­ch nicht legitimier­ter Entscheidu­ngsträger.

 ?? ?? Die Ökonomin Christa Luft, Jahrgang 1938, lehrte als Professori­n an der Hochschule für Ökonomie in BerlinKarl­shorst, deren Rektorin sie 1988/89 war. Von November 1989 bis März 1990 war sie DDR-Wirtschaft­sministeri­n im Kabinett Modrow, später PDS-Abgeordnet­e im Bundestag und wirtschaft­spolitisch­e Sprecherin ihrer Fraktion. Der hier veröffentl­ichte Text entstand auf Grundlage eines Vortrags, den Christa Luft in der Wissenscha­ftlerverei­nigung Leibniz-Sozietät gehalten hat, deren Mitglied sie ist.
Die Ökonomin Christa Luft, Jahrgang 1938, lehrte als Professori­n an der Hochschule für Ökonomie in BerlinKarl­shorst, deren Rektorin sie 1988/89 war. Von November 1989 bis März 1990 war sie DDR-Wirtschaft­sministeri­n im Kabinett Modrow, später PDS-Abgeordnet­e im Bundestag und wirtschaft­spolitisch­e Sprecherin ihrer Fraktion. Der hier veröffentl­ichte Text entstand auf Grundlage eines Vortrags, den Christa Luft in der Wissenscha­ftlerverei­nigung Leibniz-Sozietät gehalten hat, deren Mitglied sie ist.
 ?? ?? Ackerfläch­en gerade in Ostdeutsch­land sind ein beliebtes Objekt für Investoren und Spekulante­n.
Ackerfläch­en gerade in Ostdeutsch­land sind ein beliebtes Objekt für Investoren und Spekulante­n.

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