Plädoyer für eine neue Bodenreform
Die Georessource Boden ist in ganz unmittelbarem Sinn die Grundlage menschlicher Existenz
Die Demokratisierung der Wirtschaft kommt langfristig nicht ohne Vergesellschaftung von Grund und Boden aus. Es geht um die für gesunde Ernährung, bezahlbares Wohnen, eine intakte Umwelt und die gesellschaftliche Kommunikation relevanten großen Areale.
Die Georessource Boden ist keine Ware wie jede andere, kein normales Konsumgut. Sie ist begrenzt verfügbar, nicht ersetzbar, weder reproduzier- noch vermehrbar, als Fläche auch nicht transportabel. Sie ist ein Klimaakteur, indem sie der Atmosphäre CO² entzieht und eine Kühlfunktion hat. Wie Luft und Wasser ist der Boden ein Grundlebensmittel und damit unentbehrlich für jeden Menschen. Die Crux: Seine Verfügbarkeit ist begrenzt, das Privateigentum daran aber nicht. Das ist ein nach Auflösung drängender Widerspruch angesichts einer wachsenden Bevölkerung und ausufernder Spekulation mit dem grünen Gold.
Die genannten Eigenschaften des Bodens unterscheiden diese Ressource von den meisten Rohstoffen, die in ihm lagern und extrahiert werden. So kann aus Eisenerz gewonnener Stahl an vielen Stellen u.a. durch Plaste substituiert werden oder Erdgas durch Erdöl, Kohle oder erneuerbare Energien. Ersatz für den Boden gibt es nicht.
Bei den von Menschen hergestellten oder extrahierten Waren führt der Markt mit seinem Gesetz von Angebot und Nachfrage zum Interessenausgleich. Waren sind produziertes Menschenwerk, sie können durch Vermehrung verbilligt werden. Unerwünschte Waren können durch andere ersetzt werden. Auf die Ressource Boden trifft das nicht zu. Karl Polanyi, ein österreich-ungarischer Wirtschaftshistoriker und Sozialwissenschaftler, nannte den Boden daher eine »fictive« Ware. Niemand darf davon ausgeschlossen, niemandem der Zugang dazu durch knebelnde Bedingungen erschwert werden. Das muss eine soziale Bodenordnung wegen der sozialökonomischen Relevanz dieser Ressource garantieren. Aus all diesen Gründen kommt dem Boden in der Gesellschaftspolitik eine spezifische Bedeutung zu.
Entscheidenden Einfluss auf die Mietenentwicklung hat der Bodenspreis. In Großstädten und Ballungsgebieten ging in den vergangenen 10 bis 15 Jahren gemäß Erfahrungswerten rund 80 Prozent des Mietenanstiegs nicht auf höhere Baukosten, sondern auf galoppierende Baulandpreise zurück.
Wohnungsangebot und -nachfrage sind abhängige Variable der Bodenpreisspekulation. Werden spekulativ überteuerte Grundstücke zum Zwecke des Mietwohnungsbaus gekauft, müssen die künftigen Mieter die
Spekulationsgewinne finanzieren. Steigende Mieten sind also eingepreist. Der Architekt Walter Gropius schrieb bereits 1931: »Die schlimmste Fessel bleibt das unsittliche Recht des privaten Eigentümers des Bodens. Ohne die Befreiung aus dieser privaten Versklavung kann niemals ein gesunder, entwicklungsfähiger und im Sinne der Allgemeinheit wirtschaftlicher Städtebau entstehen.«
Als »grünes Gold« lockt der Boden besonders in Umbruch-, Inflations- und anderen unsicheren Zeiten zahlungskräftige Finanzinvestoren an. Ein krasses Beispiel dafür ist der Run auf den ehemaligen von der Treuhand verwalteten volkseigenen Boden der DDR, der zumeist in den Händen westdeutscher Interessenten, darunter agrarfremder Anleger, landete. Das Ergebnis ist eine grundlegend veränderte Eigentümerstruktur in der Agrarwirtschaft der neuen Bundesländer. Eine Analyse des Thünen-Institutes ergab, dass 2017 34 Prozent der 853 untersuchten Landwirtschaftsbetriebe in den neuen Bundesländern Großinvestoren gehörten, die zumeist mehr als 50 Kilometer vom Firmensitz entfernt wohnen. 2007 waren es nur 22 Prozent.
Der Einstieg zahlungskräftiger, branchenfremder überregionaler Riesen in die Landwirtschaft (Allianz, Münchener Rückversicherung, die Stiftung der Industriellenfamilie Zech, eine Stiftung der Aldi-Erben, selbst Möbelproduzenten und Lebensmittelhändler wie Lidl, Aldi, Logistik-Riese Fiege u.a.) hat die Bodenkauf- und Pachtpreise explodieren lassen. Ortsansässige Landwirte haben mangels erforderlichen Kapitals das Nachsehen. Die Folgen: Höfe gehen kaputt, junge Leute verlassen die Dörfer, da große Betriebe im Schnitt pro Hektar mit weniger Arbeitskräften auskommen, und die Kulturlandschaft leidet. Aspekte wie Landschaftspflege und Dorfentwicklung spielen für Branchen- und Ortsfremde bei unternehmerischen Entscheidungen eher eine untergeordnete Rolle. Die Gewinne aus der Nutzung des Bodens fließen aus den Gemeinden ab, denn überregionale Kapitaleigentümer zahlen keine Ertragsoder Einkommensteuer am Sitz ihrer Tochterunternehmen, sondern am Wohnort, und der ist meist in wohlhabenderen westlichen Gefilden.
Eine ursprüngliche Akkumulation, besser ein Landgrabbing wie in den neuen deutschen Bundesländern ging auch in anderen ehemals sozialistischen Ländern Osteuropas vor sich. Das jüngste Beispiel dafür ist die Ukraine. Deren Parlament, die Werchowna Rada, verabschiedete 2021 ein Gesetz zur Grundstücksreform, das es westlichen Konzernen möglich macht, ukrainischen Boden zu kaufen. Agrar- und Biotech-Giganten wie die US-Firmen Cargill, Du Pont und Monsanto (gehört seit 2018 dem deutschen PharmaRiesen Bayer AG) griffen sofort zu und kauften zusammen circa 17 Millionen Hektar im Osten und Süden der Ukraine auf, also in Regionen mit dem weltweit fruchtbarsten Boden. Die Fläche entspricht der Größe Italiens.
Aus eigentumsrechtlicher Herrschaft über den Boden resultiert Macht über Menschen Einer der größten Immobilienkonzerne hierzulande, die Deutsche Wohnen, verfügt über Tausende Quadratmeter Boden, also Erdoberfläche. Ihr Geschäftsmodell beruht nicht auf der Produktion von Gütern, sondern allein auf ihrem Recht, Menschen von »ihren« Quadratmetern auszuschließen und für die Nutzung eine Gebühr, eine Miete, zu erheben. Und die steigt und steigt. Man werfe einen Blick auf die oft 200 und mehr Personen umfassenden Schlangen bei der Besichtigung einer annoncierten, halbwegs bezahlbaren Wohnung und stelle sich die psychischen Strapazen der Suchenden vor, die leer ausgehen. Man ahnt, welche Zugeständnisse diejenigen dem Vermieter gegenüber machen mussten, die am Ende zum Zuge kamen.
Bodenverkauf generiert leistungslose Einkommen. Leistungslos, weil der Bodenpreis in den Städten ein Produkt der Gesamtleistung
aller städtischen Akteure ist und nicht nur der Bodeneigner. Es war John Stuart Mill, einer der Väter des Liberalismus, von dem der Satz stammt: „No man made the land“, kein Grundstückseigentümer hat dessen Wert selbst geschaffen. Erst die öffentlichen Vorleistungen, die von der Allgemeinheit, den Steuerzahlenden finanzierte Planung, die Infrastrukturinvestitionen, die kommunale Organisation etc. verleihen dem Boden seinen Wert. Das Bodeneigentum selbst wird dahingegen bislang nur gering besteuert. Da allerdings steht in der Bundesrepublik eine Änderung bevor.
Schließlich beherbergt der Boden kritische Infrastruktur – unterirdisch Strom-, Gas- und Wasserleitungen, Abwasserrohre und Telefonkabel, oberirdisch Autobahnen, Straßen, Bahnhöfe, Flugplätze, usw. Wer kritische Infrastruktur privatisiert oder auf privatem Grund ansiedelt, gibt sie in die Hand demokratisch nicht legitimierter Entscheidungsträger. Nicht nur in der Bau- und Wartungsphase, besonders bei Havarien sind langwierige und kostspielige Kompetenzstreitigkeiten die Regel.
All das spricht dafür, dass der Boden eine Ausnahmestellung unter den Produktionsmitteln und den Produktionsfaktoren hat. Er ist die irdene Grundlage menschlicher Existenz. Damit kollidiert, dass er überwiegend in privater Hand ist. Die Demokratisierung der Wirtschaft kommt langfristig nicht ohne Vergesellschaftung von Grund und Boden aus. Dabei geht es nicht um Flächen, auf denen Omas kleines Häuschen steht oder mal gebaut werden soll, es geht um die für gesunde Ernährung, für bezahlbares Wohnen, eine intakte Umwelt und die gesellschaftliche Kommunikation relevanten großen Areale.
Allein diese hier genannten sozialökonomischen Implikationen sind Indizien dafür, dass dem politischen Umgang mit Grund und Boden im Alltag überhaupt und vor allem in zukunftsorientierter, mithin in linker Gesellschaftsprogrammatik ein exklusiver Rang gebührt. Die Novellierung des Bodenrechts ist daher zur Humanisierung des Zusammenlebens überfällig. So können gesellschaftliche Steuerung ermöglicht, kommunale Gestaltung ausgeweitet und Spekulation mit Boden eingedämmt bis verhindert werden.
Auch wenn eine „Bodenreform“, die den Namen verdient, nicht in Sicht ist, darf das
Ziel nicht aus den Augen verloren werden. Es können kurz- und längerfristige Schritte in Richtung einer gemeinwohlorientierten Bodenordnung gemacht werden. Möglichkeiten wären die Aufnahme von Regelungen in die Verfassungen der Bundesländer für den demokratischen Umgang mit noch im öffentlichen Eigentum befindlichen Flächen; auch bundeseigene Grundstücke und Gebäude sollten zukünftig nur noch an Kommunen und Genossenschaften und in Erbpacht abgegeben werden; keine Vergabe von öffentlichen Grundstücken an den Meistbietenden des Immobilienmarktes; es sollte Festpreise geben; Wirkungen erzielen könnte auch die generelle Verpflichtung, finanzschwächere Kommunen beim Kauf von Bodenflächen aus Landesbesitz zu unterstützen, um dort bezahlbaren Wohnraum entstehen zu lassen; überfällig ist ein Verbot des Verkaufs von Ackerland an branchenfremde Großinvestoren, die in den Dörfern keine Arbeitsplätze schaffen, heimische Landwirtschaftsbetriebe verdrängen, die Landflucht anheizen, was wiederum das Wohnungsproblem in den Großstädten verschärft und die obendrein vor Ort keine Steuern zahlen; geschaffen werden sollten in jedem Bundesland ein zum Beispiel als Stiftung oder Landesgesellschaft organisierter und vor künftiger Privatisierung geschützter gesellschaftlicher Bodenfonds; bei der Verpachtung dieser Flächen sollten agrarstrukturelle Ziele Vorrang haben vor fiskalischen Zielen; bevorzugt ausgeweitet gehört der genossenschaftliche Sektor; Erstellung einer „Höfeordnung“, die die Übergabe des Hofes an die nächste Generation regelt, ohne die Wirtschaftlichkeit zu gefährden und zu verhindern, dass Gutbetuchte aus fremden Regionen den ersten Zugriff haben; Beschränkung der Flächengrößen, die an einzelne Interessenten verkauft werden, vor allem Verhinderung der Flächenkonzentration in den Händen weniger Großkonzerne.
Die meisten solcher Wege sind in Einzelfällen bereits erfolgreich gegangen worden. Ja, es sind kleine Schritte gesellschaftlicher Veränderung, die noch nicht zu einer größeren Umwälzung über den Kapitalismus hinausführen. Sie stehen ihr aber auch nicht im Wege, und es wäre daher töricht, auf sie zu verzichten. Es kommt darauf an, eine gesellschaftliche Stimmung für solche Veränderungen zu erzeugen und diese bewusst sowie breiter in Angriff zu nehmen.
In Großstädten und Ballungsgebieten ging in den letzten 10, 15 Jahren rund 80 Prozent des Mietenanstiegs auf galoppierende Baulandpreise zurück.
Wer kritische Infrastruktur privatisiert oder auf privatem Grund ansiedelt, gibt sie in die Hand demokratisch nicht legitimierter Entscheidungsträger.