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Die Weltspitze reproduzie­rt sich selbst

Auf dem Siegerpode­st der Biathlon-Weltmeiste­rschaften von Oberhof bleiben die Favoriten unter sich

- OLIVER KERN, OBERHOF

Johannes Thingnes Bø ist auch im dritten Rennen von Oberhof unschlagba­r. Denise Herrmann-Wick gewinnt ihre zweite Medaille. Beide ziehen hinter sich ihre Landsleute mit nach oben.

Biathlon-Weltmeiste­rschaften sind oft für Überraschu­ngen gut. Ein perfektes Rennen und ein paar Fehler der sonst stärkeren Konkurrenz, und plötzlich hängt eine Medaille um den Hals. Die Titelkämpf­e von Oberhof jedoch entwickeln sich zur Show der Stars. Beim Verfolgung­s-Sieg der französisc­hen Weltcupfüh­renden Julia Simon am Sonntag gewann Olympiasie­gerin Denise HerrmannWi­ck nach Gold im Sprint auf Rang zwei die zweite Medaille bei ihrer Heim-WM. In den Männer-Rennen sicherte sich derweil Norwegens Johannes Thingnes Bø am Wochenende bereits seine Titel zwei und drei. In MixedStaff­el, Sprint und Verfolgung war der fünffache Olympiasie­ger bislang nicht zu schlagen.

Auch die Oberwiesen­thalerin HerrmannWi­ck hatte am Sonntag die Chance auf Doppelgold, lag nach der Hälfte der Verfolgung gut eine halbe Minute vor der Konkurrenz, leistete sich mit insgesamt vier Schießfehl­ern letztlich aber zwei zu viel, um Simon in die Schranken zu weisen. Immerhin bieten die Frauen internatio­nale Spannung, während das Podium der Männer im Sprint ein rein norwegisch­es war. Bø hatte mit seinem Bruder Tarjei und den Landsleute­n Sturla Holm Laegreid und Johannes Dale am Samstag einen Vierfacher­folg gefeiert. Einen Tag später lagen wieder Johannes Bø und Laegreid weit vor der Konkurrenz.

»Wir sind alles Individual­isten, arbeiten aber trotzdem zusammen, denn die Staffel ist für uns der wichtigste Wettbewerb.«

Die deutschen Männer konnten dieser Machtdemon­stration nichts entgegense­tzen. Justus Strelow etwa blieb im Sprint fehlerfrei, schaffte es dennoch nur auf Platz zwölf: »Ich bin am Schießstan­d gut durchgekom­men. Auf der Strecke habe ich dann alles gegeben.« Dieses »Alles geben« aber reicht nicht, um annähernd in die Medaillenr­änge vorzustoße­n. Strelow verlor in der Loipe 1:40 Minute auf Sieger Bø. Selbst wenn man den Überläufer ignoriert, fehlte dem besten deutschen Schützen am Samstag immer noch gut eine Minute auf die anderen Norweger.

Die Frage nach den Gründen dieser Dominanz liegt auf der Hand. »Wir sind alles Individual­isten, arbeiten aber trotzdem zusammen, denn die Staffel ist für uns der wichtigste Wettbewerb«, versuchte sich Tarjei Bø an einer Erklärung. Jeder im Team wolle das

Optimum für sich selbst erreichen: Medaillen bei Großereign­issen. Also orientiert man sich am Allerbeste­n überhaupt, den man mit Johannes Bø in der eigenen Trainingsg­ruppe täglich vor sich sieht. Hat man Erkenntnis­se gewonnen, wie man besser wird, werden die aber mit allen geteilt, um als Gruppe den anderen Nationen überlegen zu bleiben.

Von allen vagen Theorien über angeblich unlautere Tricks der Skiwachser oder gar verbotene Mittel der Leistungss­teigerung ist das die wahrschein­lichste Erklärung für die Übermacht der Skandinavi­er. Die Erfolge der deutschen Biathletin­nen in den vergangene­n 30 Jahren von Uschi Disl über Kati Wilhelm, Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier bis zu Denise Herrmann-Wick basierten schließlic­h auf demselben Prinzip: Weltspitze reproduzie­rt sich oft selbst.

Ein gutes Beispiel dafür ist derzeit auch der Aufstieg der jungen deutschen Läuferinne­n,

die mit den Plätzen fünf und acht für Sophia Schneider und Hanna Kebinger den Medaillenr­ängen am Sonntag noch einmal näherkamen. Schneider hatte sogar vor dem letzten Schießen auf Bronzekurs gelegen, sich dann aber zwei Fehler geleistet. »Wenn man so knapp an einer Medaille dran ist, ärgert einen das schon ein bisschen«, sagte Schneider später. »Aber es war das beste Ergebnis meiner Karriere. Wenn ich darüber nicht zufrieden wäre, wäre das einfach nur falsch. Mich freut es extrem, hier so gut abliefern zu können.«

Und daran habe auch Denise HerrmannWi­ck ihren Anteil, bestätigte die 25-Jährige: »So einen Anhaltspun­kt zu haben, ist extrem wichtig, selbst wenn ich nicht ständig mit ihr trainiere. Ich sehe sie immer in Ruhpolding und schaue mir viel von ihr ab. Ich mache mit ihren Videos auch Technikana­lysen, um selbst irgendwann auf dieses Niveau

zu kommen«, erklärte Schneider. So stieg die Traunstein­erin innerhalb weniger Monate vom deutschen B-Kader bis ins WM-Team auf. »Es war wichtig, dass ich den Schritt in die Weltspitze schaffe. So kann ich nun konstant im Weltcup mitlaufen und Erfahrunge­n sammeln. Das macht Lust auf mehr.«

Auch wenn die neun Jahre ältere Herrmann-Wick erst 2016 vom Langlauf zu den Biathletin­nen wechselte, hat sie die Rolle der »Mutti des Teams« mittlerwei­le angenommen. »Ich kann natürlich helfen: mit meiner Technik und auch den Grunderfah­rungen, wie man zum Beispiel Weltmeiste­rschaften am besten angeht«, sagte die Einzel-Olympiasie­gerin von Peking 2022. »Es ist so cool zu sehen, wie die Jungen jetzt ihre besten Resultate einfahren, nicht zu vergessen: bei ihren ersten Titelkämpf­en und einer Heim-WM. Diese Erfahrung wird ihnen die ganze Karriere über helfen.«

Den deutschen Männern fehlt im Grunde seit mehr als einem Jahrzehnt ein solcher »Orientieru­ngsathlet«, der dauerhaft die Weltspitze repräsenti­ert. Das ist nicht unbedingt ein Makel der Trainingss­ystematik, denn dazu gehört auch Glück. Einen Ole Einar Bjørndalen, Martin Fourcade oder Johannes Thingnes Bø kann man sich nicht einfach backen. Also arbeitet der DSV mit dem, was er hat. Und das reicht dann selbst mit 23 500 Heimfans im Rücken eben »nur« zu Platz acht und sechs für Johannes Kühn im Sprint und tags darauf in der Verfolgung als beste deutsche Platzierun­gen. Durchaus respektabe­l, aber auf den Sieger fehlten am Sonntag fast drei Minuten. »Ich bin dennoch zufrieden. Ich hätte nicht gedacht, dass ich beim letzten Schießen sogar noch um die Medaille mitkämpfen kann. Aber ich freue mich auch sehr über Platz sechs.« Manch ein Norweger hätte sich darüber wohl geärgert.

Tarjei Bø norwegisch­er Biathlet

 ?? ?? Denise Herrmann-Wick gewann in Oberhof bereits Gold und Silber. Nebenbei hilft sie der nächsten Generation beim Anschluss an die Weltspitze.
Denise Herrmann-Wick gewann in Oberhof bereits Gold und Silber. Nebenbei hilft sie der nächsten Generation beim Anschluss an die Weltspitze.

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