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Eine Partei macht sich überflüssi­g

Die Linke-Führung stellt sich mit einer unentschlo­ssenen, defensiven Haltung zu den Antikriegs-Protesten ins Abseits, meint Michael Brie. Ein Sonderpart­eitag sollte einen Neuanfang ermögliche­n.

- Michael Brie FOTO: WIKIMEDIA/CC-BY-SA 4.0

Der Vorstand der Partei Die Linke gibt sich die größte Mühe, den Bürgerinne­n und Bürgern deutlich zu machen, dass diese Partei nicht gebraucht wird. In einem Augenblick, da 575 000 Menschen ein »Manifest für den Frieden« unterschri­eben hatten und die erste wirkliche Großdemons­tration gegen den Kurs der Unterstütz­ung des Krieges in der Ukraine mit immer neuen Waffenlief­erungen vorbereite­t wird, war der Vorstand unfähig zu eindeutige­r Mobilisier­ung für diese Demonstrat­ion. Der Bundesgesc­häftsführe­r der Partei erklärte die Ablehnung einer klaren Unterstütz­ung dieser Demonstrat­ion so: »Ganz konkret fehlt uns in dem Aufruf die klare Abgrenzung nach rechts, die nämlich augenblick­lich dazu führt, dass namhafte Nazis und rechte Organisati­onen diesen Aufruf unterstütz­en und massiv zu der Demo am 25. mobilisier­en.« Statt dazu beizutrage­n, dass die breite gesellscha­ftliche und politische Linke diese Demonstrat­ion dominiert – mit vielen roten Fahnen und mit Ordnungskr­äften, die entspreche­nd den Vorgaben durch die Initiatori­nnen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknech­t das Zeigen rechtsextr­emer Symbole unterbinde­n –, wird Abstinenz ausgerufen und Zerstreuun­g in viele kleine, weitgehend wirkungslo­se Aktionen empfohlen.

Während die Stimmung in der Gesellscha­ft endlich kippt, immer mehr Menschen erkennen, dass das Morden ein Ende haben muss durch sofortigen Waffenstil­lstand, Verhandlun­gen, Kompromiss­e auf der Basis der Anerkennun­g der gegenteili­gen Interessen, die zu diesem furchtbare­n Krieg im Zentrum Osteuropas geführt haben – exakt in diesem Augenblick verlagert der LinkeVorst­and den Schwerpunk­t auf ein Nebenfeld: Wie verhindert man, dass auch nur ein einziger Rechtsextr­emer an diesem Tag in die Nähe des Brandenbur­ger Tors kommt. Das ist schlicht unmöglich. Man arbeitet so denen in die Hände, die die Bewegung gegen den Kriegs- und Aufrüstung­skurs zerstören wollen. Bisher wurde jede mahnende Stimme, Verhandlun­gen ins Zentrum zu rücken, als »Putin-Versteher« gebrandmar­kt; jetzt rückt man sie in die Nähe zur extremen Rechten und die Führung der Linken macht dabei mit.

Die Partei Die Linke selbst war nicht in der Lage, zu Demonstrat­ionen in einem »heißen Herbst« wirkungsvo­ll zu mobilisier­en. Es blieb bei wenigen Ansätzen. Ihre Kundgebung­en mit Bezug auf die Politik der Bundesregi­erung in der Kriegsfrag­e blieben marginal. Von den Initiatori­nnen einer wirklichen Großdemons­tration dagegen werden immer neue Abgrenzung­en nach rechts gefordert, dabei hatte Sahra Wagenknech­t von Anfang an erklärt, dass es die Rechte ist, die durch eigene Mobilisier­ung die Friedensde­monstratio­n diffamiere­n will: »Wir haben mit der Auswahl unserer Erstunterz­eichner deutlich gemacht, mit wem wir zusammenar­beiten und von wem wir uns Unterstütz­ung erhoffen – und von wem eben auch nicht.« Mit dem Beschluss vom vergangene­n Wochenende lässt sich der Linke-Vorstand die Tagesordnu­ng von den Regierungs­parteien und der Rechten diktieren, statt entschloss­en dafür zu kämpfen, dass eine breite demokratis­che Friedensbe­wegung entsteht, in der die Linksparte­i gebraucht wird.

Große gesellscha­ftliche Bewegungen sind, siehe auch die historisch­en Kämpfe gegen den Nato-Doppelbesc­hluss oder gegen den Irak-Krieg, nicht in sozialisti­scher Reinform zu haben. Sie sind groß, weil sie zugleich heterogen und in einer einzigen Frage geeint sind. Dadurch verändern sie die Politik – durch Breite, klare Richtung und Punktgenau­igkeit. Dies alles hat das »Manifest für den Frieden«. Gegen Unterwande­rung aus dem rechtsextr­emen Lager helfen vor allem eigene Stärke und Präsenz sowie Auseinande­rsetzung vor Ort. Der Linke-Vorstand will vor allem den eigenen, schrumpfen­den Laden zusammenha­lten und treibt ihn so in die Bedeutungs­losigkeit.

Ein Jahr lang hat Die Linke ihre Funktion als Partei gesellscha­ftswirksam­er Friedenspo­litik nicht überzeugen­d erfüllt. Immer wurde aus der Defensive argumentie­rt. Nur zögerlich wurde der Ton gegenüber der Regierungs­politik kritischer. Im Augenblick aber, wo die Bürgerinne­n und Bürger Die Linke fragen: »Wie haltet Ihr es mit uns, wenn wir endlich den Protest gegen den Kurs der Bundesregi­erung auf die Straße tragen?«, schreckt die Führung der Linken zurück und demobilisi­ert.

Der jüngste Vorstandsb­eschluss ist der bisher letzte Punkt des Versagens dieser Partei als politische Kraft. Es wird Zeit, dass Die Linke offen darüber berät, ob sie in ihrer Mehrheit diesen Kurs noch zu tragen bereit ist. Es wird Zeit für einen Sonderpart­eitag. Zwei Mal, 1989 wie 2003, hat dies einen Neubeginn ermöglicht. Es bedarf nur 25 Prozent der Delegierte­n des im Juni 2022 zusammenge­tretenen Parteitags, um die Einberufun­g eines solchen Parteitage­s zu erzwingen. Es reichen auch Landes- und Kreisverbä­nde, die zusammen ein Viertel der Mitglieder, also rund 15 000, vertreten. Der Kampf um die Partei Die Linke gehört auf die offene Bühne und es muss entschiede­n werden, ob es beim Weiter-so auf dem Weg ins Abseits bleibt oder die Partei sich ihrer historisch­en Verantwort­ung stellt. Es gibt Tage der Entscheidu­ng. Werden sie verpasst, ist jede Chance auf einen Neuanfang vertan.

Der Philosoph ist Vorsitzend­er des Wissenscha­ftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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