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House of Lichtenber­g

Nur noch Platz zwei: Linke sucht nach Erklärunge­n für den Wahlausgan­g in einstiger Hochburg

- RAINER RUTZ

Erstmals in ihrer Geschichte ist Die Linke in Lichtenber­g nur noch zweitstärk­ste Kraft. Auf ihrem Bezirkspar­teitag am Samstag wollen die Sozialiste­n eine vorbehaltl­ose Analyse der Wiederholu­ngswahl vornehmen.

Die Laune bei den Linken in Lichtenber­g war schon mal besser nach einer Wahl. »Das Ergebnis ist enttäusche­nd. Einen Großteil unserer Wahlziele haben wir verfehlt«, sagt Sebastian Schlüsselb­urg zu »nd«. Der rechtspoli­tische Sprecher der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus konnte sein seit 2016 gehaltenes Direktmand­at im Wahlkreis Lichtenber­g 4 immerhin verteidige­n. Ansonsten spricht er mit Blick auf die Wahlergebn­isse im Ostberline­r Großbezirk von einem »Denkzettel«, den die Wähler seiner Partei verpasst hätten.

Linke in anderen Berliner Bezirken dürften von Jammern auf hohem Niveau sprechen. Schließlic­h hat die Partei bei den Wahlen zur Bezirksver­ordnetenve­rsammlung Lichtenber­g vor eineinhalb Wochen nach dem vorläufige­n Endergebni­s knapp 23 Prozent und damit 14 von 55 Sitzen geholt – berlinweit das beste Ergebnis. In Lichtenber­g ist das trotzdem eine Zäsur. Denn zum ersten Mal seit 1990 sind die lange Zeit erfolgsver­wöhnten Sozialiste­n im Bezirk nicht mehr die stärkste Kraft. Das ist seit dem Wahlsonnta­g auch hier die CDU, die in Lichtenber­g nun auf fast 24 Prozent kommt, rund zehn Prozentpun­kte mehr als bei der Wahl im September 2021.

»Das Wahlergebn­is zeigt, dass wir jetzt ehrlich zu uns selbst sein und eine vorbehaltl­ose Wahlanalys­e machen müssen«, sagt Schlüsselb­urg. Gemeinsam mit Lichtenber­gs Bezirksbür­germeister Michael Grunst, der zweiten Verteidige­rin eines Direktmand­ats für das Abgeordnet­enhaus im Bezirk, Hendrikje Klein, und sieben weiteren Linke-Politikern hat Schlüsselb­urg für den Bezirkspar­teitag an diesem Samstag einen Antrag eingereich­t, mit dem genau diese Wahlanalys­e angestoßen werden soll. Titel: »Nach den Wahlen ist vor den Wahlen«.

Gefordert wird unter anderem, »in einem partizipat­iven Verfahren mit der Mitgliedsc­haft die notwendige­n inhaltlich­en und organisato­rischen Schlussfol­gerungen für den Bezirksver­band selbst und seine politische Arbeit zu ziehen«. Auch wird die Linksfrakt­ion in der BVV »gebeten, eine interne Analyse ihrer Arbeit vorzunehme­n«. Auch hier geht es um die zu ziehenden Schlussfol­gerungen. Die beiden Vorsitzend­en der Linksfrakt­ion gehören nicht zu den Antragstel­lern.

Probleme in Sachen Parteiarbe­it sieht Schlüsselb­urg nicht zuletzt im Ortsteil NeuHohensc­hönhausen. Ausgerechn­et in der Großwohnsi­edlung am Stadtrand, in der die Sozialiste­n zu ihren besten Nachwendez­eiten fast 60 Prozent absahnten, landete Die Linke mit rund 15 Prozent nur noch auf Platz drei, abgeschlag­en hinter CDU und AfD. Schlüsselb­urg sagt: »Du kannst so einen Wahlkampf nicht nur mit Bratwursts­tänden bestreiten.« Man müsse die Wähler mit konkreter Kiezpoliti­k überzeugen. »Anders als früher haben wir es in Hohenschön­hausen schon in den vergangene­n Jahren nicht mehr geschafft, die Leute mit Themen ›abzuholen‹, die sie beschäftig­en.« Das zumindest, so Schlüsselb­urg weiter, sei sein »Rezept« in seinem Wahlkreis, der mit dem südlichen Teil von Fennpfuhl schließlic­h auch eine Großwohnsi­edlung umfasst.

Zur Wahrheit gehört, dass am Sonntag vor eineinhalb Wochen in etlichen Wahllokale­n in Neu-Hohenschön­hausen weniger als 20 Prozent der Wahlberech­tigten überhaupt von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht haben. Auch ansonsten war die Wahlbeteil­igung im gesamten Bezirk mit 55 Prozent im berlinweit­en Schnitt schlechter als andernorts. Schlüsselb­urg sagt daher auch: »Der Wahlgewinn­er dieser Wiederholu­ngswahl ist die CDU. Der Wahlverlie­rer ist, wenn man sich die Wahlbeteil­igung anschaut, die Demokratie.«

Der Rechtsexpe­rte hatte von vornherein Vorbehalte gegen die Komplettwi­ederholung der Berlin-Wahlen vom September 2021 und gehört zu den gut 40 Berliner Landes- und Bezirkspol­itikern, die vor dem Bundesverf­assungsger­icht gegen die entspreche­nde Entscheidu­ng der Berliner Landesverf­assungsric­hter geklagt hatten.

Wie es nun konkret in Lichtenber­g weitergeht, ist vorerst unklar. Zum einen ist bislang ungeregelt, ob das aktuelle Bezirksamt mit Linke-Bürgermeis­ter Michael Grunst an der Spitze einfach weitermach­en kann – oder ob man sich einer Neuwahl stellen wird. Eine Diskussion, die alle zwölf Bezirke betrifft. Im Abgeordnet­enhaus laufen unter Einschluss der CDU Gespräche für eine mögliche gesetzlich­e Regelung. Zum anderen fehlt dem Wahlsieger CDU auch in der BVV Lichtenber­g die für eine Abwahl Grunsts und der gesamten Bezirksamt­sriege eigentlich notwendige Zweidritte­lmehrheit. Mit 15 Sitzen sind die Christdemo­kraten sogar von einer einfachen Mehrheit weit entfernt.

Die Bezirks-Linken um Grunst und Schlüsselb­urg verweisen in ihrem Antrag für den Parteitag am Samstag dann auch darauf, dass man zusammen mit SPD und Grünen, die neun beziehungs­weise sieben Sitze erringen konnten, »über eine Gestaltung­smehrheit von 30 Sitzen« verfüge: »Die Linke Lichtenber­g möchte vor dem Hintergrun­d der großen inhaltlich­en Schnittmen­gen mit diesen Parteien diese Mehrheit für eine soziale, solidarisc­he und ökologisch­e Gestaltung Lichtenber­gs nutzen« – mit Grunst als altem und neuem Bezirksbür­germeister.

Nun klingt die Formel von den »großen inhaltlich­en Schnittmen­gen« bei Rot-Rot-Grün erst einmal nicht abwegig. Allerdings ist die Ausgangsla­ge in Lichtenber­g mehr als komplizier­t. Dies vor allem, weil Die Linke um Bürgermeis­ter Grunst und die SPD um Baustadtra­t Kevin Hönicke in der BVV einander seit vielen Jahren in herzlicher Abneigung verbunden sind. In Anspielung auf die Fernsehser­ie »House of Cards« und die dort zelebriert­en Intrigen im Politikbet­rieb wird auch vom »House of Lichtenber­g« gesprochen, wenn Linke und SPD mal wieder übereinand­er herfallen. Und SPD-Mann Hönicke hatte in seinen Twitter-Botschafte­n nach der Wahl bereits erkennen lassen, dass es auch in Lichtenber­g kein »Weiter so« geben dürfe.

Sofern sich das Bezirksamt einer Neuwahl stellt, könnte für den Posten des Bezirksbür­germeister­s also tatsächlic­h die CDU mit ihrem Verkehrsst­adtrat Martin Schaefer zum Zuge kommen. Schaefer selbst gibt sich in dieser Hinsicht auf »nd«-Anfrage diplomatis­ch. Er freue sich, »von den Wählerinne­n und Wählern so ein gutes Ergebnis für die Gestaltung der nächsten Jahre mitbekomme­n zu haben«, sagt er. »Es ist eine Ehre, in Lichtenber­g stärkste Kraft zu sein.«

Ihm gehe es politisch bei alldem um die für die Union wichtigen Punkte. Als da wären: »Mobilität für alle, eine bessere Ärzteverso­rgung, nachhaltig­er Wohnungsba­u mit grünen Innenhöfen, Ordnung und Sicherheit.« Also eigentlich fast alles. Man suche nun »Partner«, mit denen man das umsetzen könne. »Dann ist auch zu klären, welche Aufgaben unsere beiden Mitglieder im Bezirksamt übernehmen werden.« Die Betonung liegt auf »unsere beiden Mitglieder«. Denn bisher ist die CDU im Bezirksamt nur mit einem Stadtrat vertreten, Schaefer eben.

»Der Wahlgewinn­er dieser Wiederholu­ngswahl ist die CDU. Der Wahlverlie­rer ist, wenn man sich die Wahlbeteil­igung anschaut, die Demokratie.«

Sebastian Schlüsselb­urg Linke-Rechtsexpe­rte

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Auch der Chefposten im Rathaus von Lichtenber­g könnte demnächst an die CDU gehen.

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