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Scheitern als Chance

Mit »Roter Himmel« läuft auf der Berlinale der zweite Teil von Christian Petzolds RomantikTr­ilogie. Er bleibt dem Realismus zum Glück mehr verhaftet als der Vorgängerf­ilm

- FRANK SCHIRRMEIS­TER

Als Christian Petzold anlässlich der Premiere von »Undine« auf der Berlinale 2020 ankündigte, dieser Film sei der erste Teil einer geplanten Trilogie zur deutschen Romantik unter Verwendung des Motivs der Elementarg­eister, war nicht zuletzt der Autor dieser Zeilen recht skeptisch. Immerhin ließ dies einen Schwenk weg von zeitreleva­nten Themen – wie sie etwa in Petzolds vorhergehe­ndem Exilfilm »Transit« (2018) nach dem gleichnami­gen Buch von Anna Seghers zum Ausdruck kamen – hin zu irgendwelc­hen Geistern vermuten, von denen niemand wusste, welchen Bezug zur Gegenwart sie haben würden. Damals bestätigte »Undine«, der dem Wassergeis­t seine Reverenz erwies, diese Skepsis, was seinen Ausdruck in der eher verhaltene­n Kritik in dieser Zeitung fand.

Nun also »Roter Himmel«, der zweite Teil der geplanten Trilogie, und zum Glück scheint man diese verquaste Sache mit den Naturgeist­ern nicht allzu ernst nehmen zu müssen. Paula Beer, die auch schon in »Undine« eine der beiden Hauptrolle­n spielte, ist diesmal in ihrer Rolle als Nadja ziemlich geerdet. Zuerst lernen wir aber Leon (Thomas Schubert) und den angehenden Kunststude­nten Felix (Langston Uibel) kennen, die den Sommer zusammen in einem Ferienhaus an der Ostsee verbringen wollen. Leon ist Schriftste­ller, gerade dabei, ein Buch zu vollenden, und erwartet demnächst den Lektor und dessen Urteil. Entspreche­nd nervös, miesepetri­g und schlecht gelaunt stolpert er durch die Gegend und leidet an seiner Schreibblo­ckade. Dass das Ferienhaus wegen mangelnder Absprache schon durch Nadja okkupiert ist, sich die Freunde deshalb das kleinere Zimmer teilen müssen und Nadja jede Nacht geräuschvo­ll Herrenbesu­ch empfängt, macht die Sache nicht besser. Während alle anderen sich schnell anfreunden, lieben, lachen und ausnehmend guter Ferienlaun­e sind, macht Leon tapsig jede Annäherung zunichte und hält Abstand. In der Ferne glüht der Himmel von sich nahenden Waldbrände­n wie ein Menetekel.

Die Zeichen mehren sich, die Waldbrände kommen näher, der Himmel färbt sich rot und es regnet Asche vom Himmel.

Die Handlung plätschert längere Zeit dahin, erst allmählich schält sich die Rolle Nadjas als treibende Kraft der Erzählung heraus. Sie dient als Kontrastfi­gur zu Leon, entzaubert sein Selbstvers­tändnis als Schriftste­ller mit ihrem schlichten Kommentar zu seinem Manuskript: »Du weißt selbst, dass es Bullshit ist«. Der Antagonism­us zwischen beiden ist ein wenig zu überdeutli­ch gezeichnet: hier der ichbezogen­e Möchtegern­schriftste­ller, der keine Ahnung vom wirklichen Leben hat und dem die menschlich­e Reife für wahrhaftig­e Literatur fehlt; dort Nadja als der gute Geist, freundlich, zugewandt, nicht zuletzt verführeri­sch, der die geistig-seelische Entwicklun­g des Helden in der Auseinande­rsetzung mit sich selbst und seiner Umwelt anstoßen wird. In diesem Sinne ist »Roter Himmel« ein verfilmter

Entwicklun­gsroman, ein gelungener, wie hinzugefüg­t werden darf. Im Gegensatz zu »Undine« enthält sich Petzold hier jeder mystischen Überhöhung und bleibt weitgehend auf dem Boden des Realismus, was dem Film guttut. Geblieben ist eine gewisse Stilisieru­ng, die das Geschehen zu etwas Gleichnish­aftem macht. Die Zeichen, Symbole und Verweise, die Petzold setzt, fügen sich jedoch organisch in die Handlung ein und geben ihr Halt.

Zum Katalysato­r der Entwicklun­g des Films wird schließlic­h der Besuch des Lektors (Matthias Brandt) im Ferienhaus. Leon muss miterleben, dass dieser sich mehr für Nadja und die Fotografie­n des Freundes zu interessie­ren scheint als für sein Buch. Sein Scheitern ist offenkundi­g. Die Zeichen mehren

sich, die Waldbrände kommen näher, der Himmel färbt sich rot und es regnet Asche vom Himmel. Mehr darf an dieser Stelle nicht verraten werden, denn Petzold, der wie immer auch das Buch geschriebe­n hat, hält durchaus einige überrasche­nde Wendungen in seiner Erlösungsg­eschichte parat. Am Ende scheint immerhin die Ahnung auf, dass es doch noch etwas werden könnte mit Leons Schriftste­llerlaufba­hn.

Mit »Roter Himmel« ist Christian Petzold bereits zum fünften Mal im Wettbewerb der Berlinale vertreten. Ästhetisch bleibt er sich auch im aktuellen Film treu, die Bildgestal­tung hat wie in den meisten seiner Filme Hans Fromm inne, der als stilbilden­d für die Bildästhet­ik der sogenannte­n »Berliner Schule« gilt. Visuelle Experiment­e sind seine Sache

nicht, ruhig folgt die Kamera den Protagonis­ten und ordnet sich der Handlung unter. Die Szenen im und rund um das Haus wurden übrigens in Brandenbur­g gedreht, auch wenn der Film an der Ostsee spielt. Nie habe er jedoch, verriet Petzold in einem Interview, derartige Ansammlung­en von scheußlich­en Ferienhäus­ern gesehen, wie es sie mittlerwei­le an der Küste gibt.

»Roter Himmel«, Deutschlan­d 2023. Regie und Buch: Christian Petzold. Mit: Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs, Matthias Brandt. 103. Min. Termine: Do, 23. 2., 9:00 Uhr: Verti Music Hall; Do, 23. 2., 18:30 Uhr: Haus der Berliner Festspiele; Fr, 24. 2., 18:00 Uhr: Kino im Zeiss-Großplanet­arium; Sa, 26. 2., 10:00 Uhr: Berlinale Palast.

 ?? ?? Der miesepetri­ge Schriftste­ller Leon (Thomas Schubert) trifft im Ostsee-Ferienhaus auf die verführeri­sche Nadja (Paula Beer).
Der miesepetri­ge Schriftste­ller Leon (Thomas Schubert) trifft im Ostsee-Ferienhaus auf die verführeri­sche Nadja (Paula Beer).

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