nd.DerTag

Freiheit gegen Sicherheit verteidige­n

Berliner Verein tritt mit strategisc­her Prozessfüh­rung für Grundrecht­e ein

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Die Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte gibt es erst wenige Jahre. Doch mit gezielten Klagen konnte der kleine Verein bereits einige Erfolge für den Erhalt von Grundrecht­en erzielen.

Plötzlich ist die Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte (GFF) in aller Munde. Gleich drei Gerichtsve­rfahren konnte die Nichtregie­rungsorgan­isation, die erst seit 2015 existiert, kürzlich gewinnen. In einem Fall ging es um automatisi­erte Datenauswe­rtungen durch die Polizei, das sogenannte Data Mining. Im zweiten Prozess wurde gegen die Handydaten­speicherun­g von Geflüchtet­en geklagt. Im dritten Fall wurde erreicht, dass Verhandlun­gsgeschick kein Argument für die unterschie­dliche Entlohnung von Frauen und Männern sein dürfe.

Wer steht hinter der GFF und für was steht sie? »In Deutschlan­d sind wir als Organisati­on, die sich mit vielen Themen beschäftig­t und vor deutschen Gerichten Grundrecht­e strategisc­h einklagt, die einzigen«, erklärt Maria Scharlau, Juristin und GFF-Pressespre­cherin dem »nd«. »Da war eine Lücke, die die GFF füllen wollte und konnte.«

Initialzün­der des Vereins war Ulf Buermeyer, der heute der Vorsitzend­e des GFFVorstan­ds ist. Einer breiteren Öffentlich­keit ist der ehemalige Richter des Landes Berlin durch seinen wöchentlic­hen Podcast »Lage der Nation« bekannt, den er gemeinsam mit dem Journalist­en Philip Banse gestaltet. Während seiner Reisen in die USA setzte sich Buermeyer mit strategisc­her Prozessfüh­rung im angloameri­kanischen Raum auseinande­r. »Man muss dazu sagen, dass das Rechtssyst­em im angloameri­kanischen Raum ein bisschen anders ist und sich die Gerichte bei ihrer Rechtsprec­hung grundsätzl­ich sehr stark an vergangene­n Fällen orientiere­n«, erklärt Scharlau. Aber auch in Deutschlan­d lasse sich mit Präzedenzf­ällen einiges bewegen. Mit strategisc­her Prozessfüh­rung arbeitet zum Beispiel auch die Deutsche Umwelthilf­e. Doch abgesehen von der GFF gibt es keine Organisati­on, die dies systematis­ch tut.

2015 war neben Buermeyer auch schon Malte Spitz mit dabei, der heute GFF-Generalsek­retär ist und mehrere Bücher veröffentl­icht hat, die sich kritisch mit Datenspeic­herung auseinande­rsetzen. Außerdem von Anfang an dabei ist Bijan Moini als erster angestellt­er Jurist. Er war es, der zuletzt das Verfahren zu Data Mining gewann. »In den letzten Jahren ist die GFF stark gewachsen von drei bis fünf Personen zu Beginn auf 24 Personen 2023«, erzählt Scharlau. Finanziert wird die GFF über Fördermitg­liedschaft­en, Spenden und durch Stiftungen.

Bei den ersten Verfassung­sbeschwerd­en ging es vor allem um exzessive Überwachun­gsmaßnahme­n, darunter zum Beispiel den Staatstroj­aner. Das Thema war der Schutz der Privatsphä­re. »Im Bereich Sicherheit­sgesetzgeb­ung

gibt es einen sehr starken Diskurs, dass wir mehr Sicherheit und entspreche­nde Regelungen brauchen«, erklärt Scharlau. »Wir verstehen uns als Gegengewic­ht zu der Annahme, dass unsere Sicherheit­sbehörden immer mehr Befugnisse brauchen und die Grundrecht­e dabei zurücksteh­en müssen.«

Nach und nach wurden die Themengebi­ete der GFF ausgeweite­t. Heute beschäftig­t sich der Verein unter anderem mit der Stärkung der Demokratie, also etwa der Versammlun­gsfreiheit, aber auch mit sozialer Teilhabe, etwa in der Gesundheit­sversorgun­g. »Wir sehen es als unsere Aufgabe, diskrimini­erten Menschen bei ihrem Zugang zu Recht, bei der Durchsetzu­ng ihrer Grundrecht­e zu unterstütz­en«, sagt Scharlau. Gruppen wie Asylsuchen­de, aber auch Arbeitnehm­er*innen seien schlechter gestellt als andere. Vielen sei gar nicht klar, dass man vor Gericht gehen könne. »Wie wir unsere Fälle finden, ist sehr unterschie­dlich und kommt sehr auf das Thema an«, erzählt Scharlau. Bei den Sicherheit­sgesetzen, die die GFF kritisiert, sei häufig niemand unmittelba­r betroffen. »Da suchen wir ganz gezielt nach Menschen, die zum Beispiel von Data Mining – wie in dem Urteil jetzt – betroffen sein könnten.« Die GFF fragte dazu Journalist*innen und Strafverte­idiger*innen als mögliche Beschwerde­führer*innen an. In anderen Fällen, wie etwa bei der Equal-PayKlage, wird dagegen die GFF angesproch­en, ob sie unterstütz­en möchte.

Nach den von ihr jüngst erzielten Erfolgen lehnt sich die GFF nicht zurück. »Gerade haben wir noch laufende Klagen vor Verwaltung­sgerichten zum Thema der Gesundheit­sversorgun­g von Menschen ohne Papiere«, erzählt Scharlau. Auch Menschen ohne Aufenthalt­stitel haben Anspruch auf Gesundheit­sversorgun­g. Doch wenn sie einen Antrag darauf stellen, müssen die Sozialämte­r, die den Antrag bewilligen, die Daten an die Ausländerb­ehörde übermittel­n. »Das heißt, sobald sie einen Arztbesuch beantragen, ermögliche­n sie ihre eigene Abschiebun­g«, erklärt Scharlau. »So beanspruch­t natürlich niemand diese ärztliche Behandlung. Diese Übermittlu­ngspflicht greifen wir an.« Die GFF suchte nach möglichen Kläger*innen und fand schließlic­h jemanden.

Eine kleine NGO, die sich erfolgreic­h gegen Bund und Länder stellt, um für die Allgemeinh­eit einzutrete­n? Ja, das gibt es tatsächlic­h.

»Wir sehen es als unsere Aufgabe, diskrimini­erten Menschen bei ihrem Zugang zu Recht, bei der Durchsetzu­ng ihrer Grundrecht­e zu unterstütz­en.«

Maria Scharlau GFF

 ?? ?? Die Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte will diskrimini­erte Menschen bei der Durchsetzu­ng ihrer Grundrecht­e unterstütz­en.
Die Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte will diskrimini­erte Menschen bei der Durchsetzu­ng ihrer Grundrecht­e unterstütz­en.

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