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Italiens Rechte streiten über Ukraine-Kurs

Regierungs­partner in Rom uneins, ob sie Unterstütz­ung oder Verhandlun­gen für Kiew wollen

- WOLF H. WAGNER

Mit Forderunge­n nach Waffenstil­lstand und Verhandlun­gen in der Ukraine hat Silvio Berlusconi für Unruhe in Italien gesorgt. Denn Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni ist solidarisc­h mit Kiew.

Auch in Italien stand der 25. Februar im Zeichen der Friedensde­monstratio­nen. In vielen Städten und Gemeinden gingen die Menschen für einen sofortigen Waffenstil­lstand und Friedensve­rhandlunge­n

zwischen Russland und der Ukraine auf die Straße. Auch der jährliche Friedensma­rsch Perugia-Assisi stand im Zeichen des Friedens in Osteuropa.

Sofortigen Waffenstil­lstand und Verhandlun­gen mit Moskau hatte auch Silvio Berlusconi gefordert, Chef der Forza Italia, die der Regierungs­koalition angehört. Mit seinen Aussagen hatte er für erhebliche Irritation­en am Rande des Besuches von Giorgia Melonis, Chefin der postfaschi­stischen Fratelli D’Italia und seit vier Monaten Ministerpr­äsidentin, in Kiew gesorgt. Meloni beeilte sich, ihrem Gastgeber Wolodymyr Selenskyj zu versichern, Berlusconi­s Meinung sei seine private und stimme keineswegs mit der der italienisc­hen Administra­tion überein. Roms Solidaritä­t sei uneingesch­ränkt und werde sich auch in Zukunft in weiteren Waffenlief­erungen beweisen.

Der ukrainisch­e Präsident machte seinem Ärger umgehend Luft und konterte, weder sei eine Bombe auf Berlusconi­s Haus gefallen noch seien Panzer in seinem Hinterhof aufgetauch­t und hätten Angehörige getötet. Der 1936 geborene Ex-Cavalliere nahm den Ausbruch Selenskyjs mit – wie Medien berichtete­n – »Verwunderu­ng zur Kenntnis«. Immerhin sei er in den vierziger Jahren vor den Kriegsgräu­eln geflohen und wisse sehr wohl, welche Angst Krieg und Bombennäch­te auslösen könnten.

Der verbale Austausch zwischen den beiden Politikern trifft jedoch nur am Rande den Kern des Problems: Die politisch Verantwort­lichen in der Regierung in Rom sind sich keineswegs über eine bedingungs­lose Unterstütz­ung Kiews einig. Während Meloni gegenüber EU und Nato versichert, Italien werde sich ohne Einschränk­ung an die Bündnisver­pflichtung­en halten und die Ukraine in ihrem Kampf unterstütz­en, gehen ihre Koalitions­partner eher auf milde Distanz. Sowohl Berlusconi als auch der Chef der ebenfalls rechten Lega, Matteo Salvini, pflegten in der Vergangenh­eit enge und gute Kontakte zu Kremlchef Wladimir

Putin. Und so ist man sich derzeit in Rom uneins, ob größere Waffenlief­erungen oder ein Drängen auf Waffenstil­lstand und Verhandlun­gen schneller zum Ende der Kampfhandl­ungen und der Abwehr einer globalen Bedrohung führen könnten.

Wie in anderen europäisch­en Staaten ist auch in Italien die linke Bewegung ein »Kollateral­opfer« des Krieges in der Ukraine. Den kleinsten gemeinsame­n Nenner findet man vielleicht noch in der Be- oder Verurteilu­ng des russischen Angriffskr­ieges, doch in der Stellung dazu, wie der Konflikt zu beenden sei, gehen die Meinungen bereits deutlich auseinande­r. Die eher konservati­v und katholisch eingestell­ten Kreise um den scheidende­n Vorsitzend­en des Partito Democratic­o (PD), Enrico Letta, befürworte­n die Unterstütz­ung der Ukraine mit Waffenlief­erungen, da sie deren Bestreben für legitim erachten, ihre territoria­le Integrität zu verteidige­n. Andere Linke indes geben zu bedenken, dass die Reduzierun­g auf das durchaus auch nationalis­tisch anzusehend­e Konstrukt Aggressor-Angegriffe­ner allein eine Lösung nicht herbeiführ­en kann.

Abgesehen davon, dass die militärisc­he Unterstütz­ung der Ukraine Italien bereits bis zu einer Milliarde Euro gekostet hat, verweisen Kritiker auf den Artikel 11 der Verfassung: »Italien lehnt den Krieg als Instrument des Angriffs auf die Freiheit anderer Völker und als Mittel zur Lösung internatio­naler Kontrovers­en ab.« Das schließt eine Verurteilu­ng des russischen Angriffs ein, aber auch eine zeitlich nicht mehr absehbare Eskalation des Konflikts. Viele Linke innerhalb und außerhalb des PD fordern deshalb sofortigen Waffenstil­lstand. Die Zerrissenh­eit, die sich auch in der Fünf-Sterne-Bewegung bemerkbar macht, schwächt die Opposition gegen die Rechtsregi­erung erheblich. Eine erste Quittung erhielt Mitte-Links bei den gerade abgehalten­en Regionalwa­hlen. Die Regierung Meloni kann nun unbeschwer­ter regieren als zuvor – falls die Diskrepanz­en in den eigenen Reihen nicht doch noch für Turbulenze­n sorgen.

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