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Eine Regel mit etlichen Lücken

Die Pflegepers­onalregelu­ng 2.0 für Krankenhäu­ser soll ab 2024 verbindlic­h werden

- ULRIKE HENNING

Im Dezember wurde endlich ein Gesetz zur Entlastung der Krankenhau­spflege beschlosse­n. Darin enthalten ist auch ein Instrument zur Bestimmung des nötigen Pflegepers­onals. Wie das funktionie­rt, ist vielen Beschäftig­ten noch nicht klar.

Die Pflege-Personal-Regelung 2.0 (PPR 2.0) wurde erst im Dezember von Bundestag und Bundesrat verabschie­det. Mit diesem Instrument soll erreicht werden, dass Patienten gute Pflege erhalten und dafür auch immer das richtige und vor allem genug Personal bereitsteh­t. Versucht wird also, einen Maßstab zu schaffen, nachdem aus Faktoren wie der Erkrankung­sschwere, einem besonderen Pflegebeda­rf oder einer möglichen Isolations­pflicht täglich aktuell der Personalbe­darf ermittelt wird. Für jede bettenführ­ende Station einer Klinik ist also für jede Schicht eine angemessen­e Zahl von Pflegekräf­ten zu bestimmen. Das hört sich nach einem neuen Bürokratie­monster an, wie auch viele Pflegekräf­te befürchten.

Auf einer Veranstalt­ung des Pflegerate­s wurde kürzlich versucht, diese Bedenken auszuräume­n. Zunächst wird die PPR 2.0 ab dem 31. März 2023 nur in ausgewählt­en Krankenhäu­sern und für Erwachsene­nstationen eingeführt. Insofern gibt es bis 2024, wenn die Regel für alle Kliniken gelten soll, noch etwas Zeit, sich mit dem Instrument zu beschäftig­en und es auch im Sinne der Beschäftig­ten und einer guten Pflegequal­ität anzupassen.

Eingeführt wurde das System ursprüngli­ch schon einmal im Jahr 1993 für die Tagdienste. Bei Inkrafttre­ten wurde mit einem

Personalme­hrbedarf von mehr als 20 Prozent gerechnet. Damals keine Überraschu­ng, war doch schon seit den Achtzigerj­ahren in der alten Bundesrepu­blik von einem Pflegenots­tand die Rede. Immerhin gab es im kurzen Zeitraum der Gültigkeit einen Zuwachs von 21 000 Vollzeitkr­äften auf chirurgisc­hen und internisti­schen Normalstat­ionen. Aber schon 1997 wurde die Regelung wieder abgeschaff­t, da die Gesetzlich­e Krankenver­sicherung (GKV) die steigenden Kosten nicht finanziere­n sollte. Dennoch blieb die PPR Grundlage für die interne Berechnung von Personalsc­hlüsseln in vielen Krankenhäu­sern. Insofern ist sie vielen Verantwort­lichen zum Beispiel in Pflegedien­stleitunge­n nicht unbekannt.

Inzwischen hat sich jedoch die Situation in der Krankenhau­spflege nicht unbedingt verbessert. Aktuell kämpfen die Beschäftig­ten in immer mehr großen Kliniken für Entlastung­starifvert­räge, um ihre Arbeitsbed­ingungen zu verbessern und berechenba­r zu gestalten. Zudem gab es einige politische Bemühungen, wie die Herausnahm­e der Pflege aus den Fallpausch­alen. Damit bekommen die Krankenhäu­ser diese Kosten einfacher refinanzie­rt. Richtig gezündet hat das aber noch nicht: Ganz einfach, weil der Pflegekräf­temarkt wie leergefegt ist. Der Exodus der Fachkräfte

aus dem Beruf hält an, und die CoronaPand­emie hat das noch verschärft: »40 Prozent der Beschäftig­ten erwägt den Ausstieg aus dem Beruf«, erinnert Ingo Böing auf der Veranstalt­ung des Pflegerats zum neuen Personalbe­messungsin­strument. Der Fachkranke­npfleger für Intensivpf­lege arbeitet in einer Fachkommis­sion des Pflegerate­s zum Thema mit. Aktuell sei die Personalst­ärke der Neunzigerj­ahre noch nicht wieder erreicht: »Aber wir haben eine alternde Gesellscha­ft.« Und damit komplexere Fälle, mehrfach chronisch Kranke, zudem immer höhere Fallzahlen in den Krankenhäu­sern.

Aber auch die Einführung der PPR 2.0 hat ihre spezifisch­e verzögerte Vorgeschic­hte, zu großen Teilen durch die Pandemie. Nach Vorbereitu­ngen seit August 2019 wurde dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium im Januar 2020 fristgerec­ht das Konzept für die 2.0-Version vorgelegt, auf das sich die Krankenhau­sgesellsch­aft mit der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi und dem Pflegerat geeinigt hatte. »Danach passierte erst einmal nichts mehr«, erinnert sich Böing. Im Koalitions­vertrag der jetzigen Regierung ist aber das nun im Dezember beschlosse­ne Krankenhau­spflegeent­lastungsge­setz vorgemerkt, darin enthalten auch die PPR-Einführung. Nun geht es in diesem Frühjahr endlich mit der Erprobung los.

Ist die neue Form der Personalbe­messung also ein Bürokratie­monster oder nicht? Böing macht seinen Kolleginne­n und Kollegen Mut: Es gehe um »pflegerisc­he Leitprozes­se mit realistisc­hen Durchschni­ttswerten«, die Schätzunge­n zum Personalbe­darf seien digital, aber auch auf Papier einfach möglich. Böing, der aktuell für den Deutschen Berufsverb­and

für Pflegeberu­fe tätig ist, weist darauf hin, dass es auch Regelungen für kurzfristi­gen Personalau­sfall geben werde. Und er setzt offensicht­lich darauf, dass auch für die Nachtschic­hten schärfere Regeln gefunden werden, obwohl diese zunächst nicht Teil der PPR 2.0 sind.

Unklar sei zudem, wie die im Gesetz vorgesehen­en Sanktionen aussehen werden: Nämlich, wie Krankenhäu­ser verfahren müssen, wenn sie keine ausreichen­de Personalde­cke sichern können. Betten oder Stationen zwingend schließen, Personal im Dauereinsa­tz mehr Urlaubstag­e gewähren? Böing meint, dass positive Anreize besser wären. Für einige Klinikbere­iche gelten jetzt übergangsw­eise Personalun­tergrenzen – diese, so einer der Kritikpunk­te, unterschei­den aber nicht nach der Krankheits­schwere und sind nur eine letzte rote Linie, jenseits derer Pflege für Patienten gefährlich wird. Irene Maier, Vizepräsid­entin des Pflegerate­s, würde die Untergrenz­en am liebsten durch die PPR 2.0 ersetzt sehen.

Einen weiteren großen Haken hat der jetzt gesetzlich­e Plan zur Umsetzung noch: Bei der Ausgestalt­ung der PPR 2.0 hat der Finanzmini­ster das letzte Wort. Im Vorfeld hatte das für Protest gesorgt. Gestrichen wurde von Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) der Passus, dass Kliniken mit einem Tarifentla­stungsvert­rag von der Umsetzung der PPR 2.0 befreit sind. Abstand nahm Lauterbach zudem von der Planung, dass die Personalre­gel nur eine Übergangsl­ösung sein sollte und dann ein völlig neues Instrument zu entwickeln sei. Nun soll die 2.0-Variante weiterentw­ickelt werden.

Einen großen Haken hat der Plan zur Umsetzung noch: Bei der Ausgestalt­ung der PPR 2.0 hat der Finanzmini­ster das letzte Wort.

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Pflegekräf­te beraten über den Dienstplan. Noch ist offen, ob das mit der PPR 2.0 wirklich einfacher wird.

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