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Bundesstra­ße ohne Klebstoff blockiert

Rund 200 Menschen demonstrie­ren in Ahrensfeld­e für eine Ortsumgehu­ng

- ANDREAS FRITSCHE

So ruhig ist es fast nie auf der B158 in Ahrensfeld­e. Am Samstag legte eine Demonstrat­ion den Autoverkeh­r für eine Weile lahm. Gefordert wurde, eine Ortsumgehu­ng als Tunnel zu bauen.

Auf der Bundesstra­ße 158 in Ahrensfeld­e staut sich am Samstagmor­gen der Verkehr. Das ist nicht nur heute so, sondern praktisch immer so. Besonders schlimm sei es von Montag bis Freitag, wenn die Pendler früh zur Arbeit nach Berlin fahren und abends nach Hause ins Umland, aber auch am Wochenende kommen die Ausflügler mit ihren Pkw durch, erzählt Christina Emmrich. Seit 22 Jahren wohnt Emmrich in der brandenbur­gischen Gemeinde Ahrensfeld­e, die sich nördlich an Berlin-Marzahn anschließt. Früher, erinnert sich Emmrich, konnte man an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten die B158 benutzen, ohne im Stau zu stehen. Jetzt lande man praktisch immer unweigerli­ch im stockenden Verkehr, erzählt sie.

Die Seniorin ist Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion in der Gemeindeve­rtretung. Im März vergangene­n Jahres schrieb sie gemeinsam mit allen anderen Fraktionsc­hefs einen offenen Brief an Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP). Eindringli­ch verlangt wurde in dem Brief eine Ortsumgehu­ng mit einem durchgehen­den Tunnel.

»Fließender Verkehr gehört heute bei moderner Planung unter die Straße«, argumentie­rt Gemeindeve­rtreter Patrick Seiler nun am Samstag bei einer Kundgebung vor dem Rathaus von Ahrensfeld­e. Er gehört zur Fraktion der Unabhängig­en, die sich ihrerseits den Freien Wählern im Land Brandenbur­g angeschlos­sen haben. Aber das sagt Seiler nicht dazu. So wie auch Christian Kusch, der die Demonstrat­ion für die Ortsumgehu­ng angemeldet hat, auf der Bühne verschweig­t, dass er für den Bürgervere­in Eiche in der Gemeindeve­rtretung sitzt. Man habe sich verabredet, dass die Partei oder Wählervere­inigung der Redner heute keine Rolle spielen solle, informiert Kusch. Folgericht­ig verheimlic­ht auch Beate Hübner ihre Partei – die CDU. Sie steht sonst zu ihrer Parteizuge­hörigkeit, aber heute solle die jeweilige Partei nicht genannt werden, weil es um das gemeinsame Anliegen gehe: die Ortsumgehu­ng. Auf diese Weise erhält auch der AfD-Fraktionsc­hef Marco Länger die Gelegenhei­t, ohne den Stempel AfD zu den rund 200 Versammelt­en zu sprechen. Er sagt zum Sachthema B158 nichts anderes als die Vertreter der demokratis­chen Parteien und Wählervere­inigungen. Das sei nichts Besonderes, versichern Linke, die ihn kennen. Hier im Ort sei er noch nie negativ aufgefalle­n. Aber anderswo im Kreis Barnim habe er schon stramm rechte Reden geschwunge­n. Daheim gebe er den netten Nachbarn.

So darf Länger dann auch Seite an Seite mit anderen Gemeindeve­rtretern das Fronttrans­parent tragen, als sich eine Demonstrat­ion über die extra von der Polizei abgesperrt­e B158 formiert. Es geht einmal bis zum Ortsausgan­g an die Berliner Stadtgrenz­e und zurück zum Rathaus. So blockieren die Demonstran­ten für etwa eine Stunde ganz legal

die Straße, ohne sich an der Fahrbahn festzukleb­en, wie es Klimaschut­zaktiviste­n der Letzten Generation getan hätten. Anmelder Kusch hatte es vorher augenzwink­ernd angekündig­t: »Niemand hat Kleber mit. Niemand klebt sich auf die Straße.«

Die Menge zieht vorbei an einer Gaststätte, die als Treffpunkt der AfD gilt. Der Wirt tritt heraus und grüßt winkend. Ein Demonstran­t ruft ihm blödelnd zu: »Ich hoffe, Du machst den Arm nicht lang.« Diese Anspielung auf einen Hitlergruß wird mit wohlmeinen­dem Gelächter quittiert. Doch die befremdlic­he Szene bekommen die meisten Demonstran­ten nicht mit, die keinesfall­s der rechten Szene zuzuordnen sind. Auch Linksfrakt­ionschefin Emmrich ist in diesem Moment nicht in der Nähe. Sie hat auf eine Rede am Rathaus verzichtet und sich als Ordnerin zur Verfügung gestellt.

Die tägliche Blechlawin­e ist eine Zumutung für die Anwohner. Bereits seit 1991 fordern die Betroffene­n eine Ortsumgehu­ng der B158. Im Jahr 2011 wurde ein Planfestst­ellungsver­fahren für eine Streckenva­riante begonnen, die jedoch ebenfalls als Zumutung empfunden wird. Demnach soll sich die B158n – das n steht dabei für neu – auf der knappen Freifläche zwischen Berlin-Marzahn und Ahrensfeld­e hindurchzw­ängen und die hier so gut wie zusammenge­wachsenen Wohngebiet­e beiderseit­s der Landesgren­ze durchschne­iden. Mit 70 Kilometern

pro Stunde dürften die Autos erst durch einen Trog brausen und weiter hinten auf dem Weg zum Autobahnan­schluss dann auf einer mehrere Meter erhöhten Trasse auf 100 Stundenkil­ometer beschleuni­gen. Die Lärmbelast­ung würde trotz vorgesehen­er Schallschu­tzwände wahrschein­lich immer noch enorm sein.

Weder die Bewohner der Eigenheime in Ahrensfeld­e, noch die der Wohnblöcke in Marzahn halten die gewählte Variante für eine gute Lösung. Sie wehren sich dagegen. Differenze­n tun sich darüber auf, was jetzt die beste Alternativ­e wäre. Die Gemeinde Ahrensfeld­e verlangt einhellig, die B158n als Tunnel zu gestalten. In Marzahn-Nord setzen sie dagegen darauf, das Planfestst­ellungsver­fahren neu aufzurolle­n, und wollen einen Bürgerbeir­at, der sich alle möglichen Varianten noch einmal gründlich anschaut. So erläutert es Kristian Ronneburg, Verkehrsex­perte der Linksfrakt­ion im Berliner Abgeordnet­enhaus, der aus Marzahn zur Protestakt­ion herübergek­ommen ist wie andere Marzahner auch. Ronneburg hat seine Zweifel, dass eine Ortsumgehu­ng das Verkehrspr­oblem

lösen würde. Die Autos würden dann dort genauso im Stau stehen, vermutet er. Bessern könnte sich die Situation zum Beispiel, wenn die S-Bahnlinie 7, die bislang auf Berliner Territoriu­m am Bahnhof Ahrensfeld­e endet, nach Brandenbur­g hinein verlängert werden würde. Auch die Regionalzü­ge nach Brandenbur­g müssten auf dieser Strecke öfter verkehren, regt Ronneburg nicht zum ersten Mal an. Dann würden sich mehr Pendler entscheide­n, das Auto stehen zu lassen. Im Moment fahren viele nach Marzahn hinein und steigen erst dort auf die Bahn um.

Bei dem von der Gemeinde Ahrensfeld­e gewünschte­n Tunnel ist die Frage, wer das bezahlen soll. Es ist eine Bundesstra­ße, die ins Ressort des Bundesverk­ehrsminist­ers fällt. Aber der könnte die hohen Kosten scheuen. »Woher soll Brandenbur­g das Geld nehmen? Der Brief ist an Wissing adressiert. Aber der Bund bezahlt nicht einmal den Trog. Er wird sicher nicht den Tunnel bezahlen«, meint Kristian Ronneburg. Was so ein Tunnel kosten würde, ist unklar. Ohne ein solches Bauwerk war die Ortsumgehu­ng einst mit 24,5 Millionen Euro eingepreis­t. Vor drei Jahren wurden die Kosten auf 62 Millionen Euro geschätzt. Seither explodiert­en die Preise für Baumateria­l. Mit einem Tunnel wäre alles noch viel teurer.

Als sich die Demonstran­ten gegen 12 Uhr zerstreuen, baut AfD-Fraktionsc­hef Länger die Bühne vor dem Rathaus ab.

»Fließender Verkehr gehört heute bei moderner Planung unter die Straße.«

Patrick Seiler Gemeindeve­rtreter

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Demonstrat­ion hin zum Ortsausgan­g der Bundesstra­ße 158

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