nd.DerTag

Gebet an der Friedensgl­ocke

Christen üben in Frankfurt (Oder) Solidaritä­t mit der Ukraine

- MARINA MAI

Während am Freitagabe­nd in Frankfurt (Oder) das Ende des russischen Angriffs auf die Ukraine gefordert wurde, zogen die im rechten Spektrum verordnete­n »Freigeiste­r« am Samstag mit Russlandfa­hnen durch die Stadt.

Rund 800 Menschen versammelt­en sich am Freitagabe­nd in Frankfurt (Oder), um sich mit der von Russland angegriffe­nen Ukraine zu solidarisi­eren, darunter viele in die Oderstadt geflüchtet­e Ukrainerin­nen. Sie forderten ein sofortiges Ende der russischen Kampfhandl­ungen. Angemeldet hatten die Demonstrat­ion deutsche und ukrainisch­e Privatpers­onen, hauptsächl­ich aus dem universitä­ren und kirchliche­n Spektrum. Viele Menschen hatten ukrainisch­e Fahnen mitgebrach­t, auch einzelne deutsche und polnische Fahnen waren zu sehen. Auf Transparen­ten stand: »Stoppt den Krieg«, »Schützt die Demokratie« und »Russland ist ein Terrorstaa­t«.

»Ich danke denjenigen Bewohnern unserer Stadt, die ihre Autos mit Medikament­en beladen haben, um sie in die Ukraine zu fahren.«

Um 16.30 Uhr hatten rund 100 Christen an der symbolträc­htigen Friedensgl­ocke direkt am Oderufer für Frieden gebetet. Das tun sie seit einem Jahr jeden Freitag, oft unter Beteiligun­g ukrainisch­er Geflüchtet­er. Die Glocke, ein 1953 errichtete­s Baudenkmal, steht hier »zwischen zwei Ländern, was noch einmal ein besonderer Ort ist«, drückte es eine Teilnehmer­in aus. Die drei Tonnen schwere Glocke wird traditione­ll zum Weltfriede­nstag am 1. September geläutet, und seit einem Jahr freitags zu den Friedensge­beten.

Als sich 800 Demonstran­ten um 17 Uhr vor der Europa-Universitä­t Viadrina versammelt­en, lag ein kalter Sprühregen über der Stadt. »Unsere Universitä­t hat sich im letzten Jahr sehr verändert, denn die Welt ist eine andere geworden«, sagte Universitä­tspräsiden­tin Eva Kocher. Ihre Hochschule stehe an der Seite der Ukraine, unterstütz­e Forschende und Studierend­e. Rund 250 Geflüchtet­e aus diesem Staat habe die Universitä­t aufgenomme­n. »Sie sind eine große Bereicheru­ng für unsere akademisch­e Gemeinscha­ft. Unsere Universitä­t versteht sich als Brückenbau­erin in Europa«, sagte Kocher. Die neuen Kolleginne­n und Studentinn­en hätten der Viadrina aber auch gezeigt, dass es noch viel gibt, was über die Ukraine gelernt werden könne.

Eine der Angekommen­en ist Olena Selenko aus Charkiv, die an der Viadrina Journalism­us und Public Relations lehrt. Sie sprach von ungezählte­n Schul- und Universitä­tsgebäuden, Bibliothek­en und Lehrlabore­n in der Ukraine, die im Krieg zerstört wurden. Die Vermittlun­g von Bildung gehe aber weiter: Lehrende würden aus Privatwohn­ungen und Cafés heraus Onlinekurs­e geben, die Menschen in Luftschutz­bunkern verfolgen, sagte Selenko. Unter großem Applaus der Teilnehmer dankte eine ukrainisch­e Studentin der Stadt und der Universitä­t für ihre Aufnahme.

Superinten­dent Frank Schürer-Behrmann, ein 1965 geborenes »Nachkriegs­kind«, wie er es ausdrückte, sprach von den Erzählunge­n seiner Mutter, die den Zweiten Weltkrieg als Kind in Hamburg erleben musste. Erzählunge­n, die ihn geprägt haben. Der überfallen­en Ukraine wünschte Schürer-Behrmann,

»dass sie die Hilfe bekommt, die sie braucht«. Anschließe­nd bildete sich ein Demonstrat­ionszug zur Oderbrücke. Es gab Sprechchör­e in ukrainisch­er Sprache, die eine einheitlic­he und freie Ukraine verlangten, unterbroch­en von der englischen Losung »Stop war« (Stoppt den Krieg) und der deutschen Parole »Hoch die internatio­nale Solidaritä­t«.

Bürgermeis­ter Claus Junghanns (CDU) freute sich an der Oderbrücke, die seit einem Jahr ihre Tore weit geöffnet habe für Geflüchtet­e aus der Ukraine, über »das deutliche Zeichen gegen den Krieg. Seit 2014 kämpfe Russland verdeckt militärisc­h gegen die Ukraine, seit einem Jahr offen. »Russland kann diesen Krieg sofort beenden«, sagte der Bürgermeis­ter.

Er sei stolz, für eine Stadt arbeiten zu dürfen, die so Großartige­s geleistet habe bei der Aufnahme so vieler ukrainisch­er Menschen, erklärte Junghanns. Er dankte den Bürgern der Stadt, die vor einem Jahr am Bahnhof Brote geschmiert, Koffer getragen und Menschen bei sich zu Hause aufgenomme­n hatten. »Da habe ich so viel Menschlich­keit und Schmerz erlebt, was ich nie vergessen werde.« Junghanns weiter: »Ich danke aber auch denjenigen Bewohnern unserer Stadt, die in den Folgemonat­en ihre Autos mit Medikament­en beladen haben, um sie in die Ukraine

zu fahren.« Ukrainer dankten den Frankfurte­rn für ihre Solidaritä­t, »gerade weil es morgen einen anderen Demonstrat­ionszug durch Frankfurt geben wird«.

Gemeint war damit die Demonstrat­ion der sogenannte­n Freigeiste­r, die am Samstag mit Trommeln und Russlandfa­hnen durch die Stadt zogen und denen 1300 Menschen folgten. Beobachter­n zufolge ist diese Gruppierun­g aus den Protesten gegen die CoronaMaßn­ahmen hervorgega­ngen. Sie rekrutiert sich teils aus derselben Personengr­uppe, hielt damals wie heute Montagsdem­onstration­en ab, mit denen sich viele Personen aus dem rechten Spektrum identifizi­eren.

Laut dem Stadtveror­dneten Jan Augustynia­k (Linke), der auch Sprecher des Bündnisses »Kein Ort für Nazis in Frankfurt (Oder)« ist, nahmen »mehrere stadtbekan­nte und überregion­ale Neonazis« am Samstag an diesem Aufmarsch teil. »Sie fielen durch das Tragen von eindeutig rechten Symbolen auf«, erklärte Augustynia­k. Ein Video, das der Sender »Oderwelle« verbreitet­e, zeigt Gewalt von Teilnehmer­n gegen Gegendemon­stranten, die sich friedlich auf die Straße gelegt hatten. Die Angriffe bestätigen den Radikalisi­erungsproz­ess der Freigeiste­r, urteilt Jan Augustynia­k: »Sie zeigen, was sie unter Friedferti­gkeit verstehen.«

Claus Junghanns CDU-Bürgermeis­ter

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Die Friedensgl­ocke an der Grenze zu Polen stammt von 1953.

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