Schwören auf die Wahrheit
Im Prozess um den Mord an Samuel Yeboah wird die Hauptbelastungszeugin erneut befragt
Der früheren Neonazi-Skinhead Peter S. muss sich vor Gericht wegen des Mordes und versuchten Mordes wegen eines Brandanschlages 1991 in Saarlouis verantworten. Wie der Prozess ausgeht, hängt vor allem von den Aussagen einer Zeugin ab. »Wie? Bitte was?« Aus der zierlichen Frau, die am Montag zum zweiten Mal am Zeugentisch im großen Sitzungssaal des Koblenzer Oberlandesgerichts Platz genommen hat, scheint echte Empörung zu sprechen. Nein, sagt die 51-Jährige mit Nachdruck, sie habe für ihre Aussage keine Belohnung bekommen. »Und ich möchte die auch nicht.« Die von der Polizei ausgelobten 10000 Euro, die kassieren kann, wer zur Aufklärung des tödlichen Brandanschlags auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis vor mehr als 31 Jahren beiträgt, die sollten bitte lieber die Überlebenden bekommen. Nicht sie.
Dabei ist es die Heilerziehungspflegerin, die mit ihrer Aussage das späte Verfahren gegen den früheren Neonazi-Skinhead Peter S, der sich seit November wegen Mordes an dem Ghanaer Samuel Yeboah und wegen versuchten Mordes an den 20 weiteren Bewohnern der Unterkunft vor Gericht verantworten muss, überhaupt erst ins Rollen gebracht hat: Bei einer Grillparty im Sommer 2007 soll sich der heute 51-jährige ihr gegenüber mit der Tat regelrecht gebrüstet haben. Er habe sich neben sie gesetzt, sie unvermittelt auf den Anschlag vom 19. September 1991 angesprochen und dann einfach so erklärt: »Das war ich. Und sie haben mich nie erwischt.«
So erzählte es die Zeugin, als sie sich viele Jahre später, im Herbst 2019, bei der Polizei meldete. Und so wiederholte sie es seither immer wieder. Auch vor Gericht. Bevor der Prozess in den vergangenen vier Wochen wegen Corona-Erkrankungen zweier Richter pausieren musste, war die Frau bereits stundenlang vom Staatsschutzsenat befragt worden. Jetzt musste sie noch einmal nach Koblenz reisen, um sich den Fragen der Verteidigung zu stellen.
Für Peter S., der alle Vorwürfe ebenso abstreitet wie das angebliche Geständnis beim Grillen, dürfte fast alles davon abhängen, ob das Gericht der Hauptbelastungszeugin
glaubt. Doch wer erwartet hat, dass seine Anwälte die Frau aggressiv angehen und in die Enge zu treiben versuchen würden, sieht sich getäuscht. Ihre Fragen zielen auf die näheren Umstände der Grillparty, auf Wetter, Sitzordnung
und Gesprächsthemen. Vor allem aber auf das Wiedererinnern an die wenigen, doch möglicherweise so verhängnisvollen Worte von Peter S. Auf den Zeitungsartikel über »Cold Cases« im Saarland, der dieses plötzliche Wiedererinnern ausgelöst haben soll. Und eben auf die Belohnung, auf die die Zeugin jetzt Anspruch erheben könnte. »Davon«, sagt sie, »habe ich erst bei meiner dritten polizeilichen Vernehmung erfahren.«
Gänzlich widerspruchsfrei sind die Angaben der Frau nicht. War der Angeklagte bei dem Partygespräch angetrunken oder nicht? Sind ihr seine Worte danach immer wieder im Kopf herumgegangen oder hat sie, wie sie nun sagt, »zwölf Jahre nicht mehr daran gedacht«? Oder auch: Wie konnte sie, die mit rechtem Gedankengut nichts am Hut haben will, damals mit einem Angehörigen der rechten Szene liiert sein? Geduldig versucht die Zeugin, Antworten zu finden. Sie verliert dabei nie die Nerven. Und auch als der Senatsvorsitzende Konrad Leitges wegen der großen Bedeutung ihrer Aussage schließlich anordnet, dass die Frau die »reine Wahrheit« ihrer Angaben mit dem Eid bekräftigt, zögert sie keinen Moment. »Ich schwöre es«, sagt sie ruhig.
Bei einer Grillparty im Sommer 2007 soll sich der heute 51-jährige ihr gegenüber mit der Tat regelrecht gebrüstet haben.
Für Peter S., der alle Vorwürfe ebenso abstreitet wie das angebliche Geständnis beim Grillen, dürfte fast alles davon abhängen, ob das Gericht der Hauptbelastungszeugin glaubt.
Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann, der mehrere Überlebende des Anschlags vertritt, spricht im Anschluss von einer »unglaublich konsistenten Aussage, die eine enorme Glaubhaftigkeit hat«. Die Zeugin habe sich auch »mit eigenen Ängsten und eigenem Versagen« überzeugend auseinandergesetzt. »Es gibt keinen Anlass, am Wahrheitsgehalt der Angaben zu zweifeln.«
Ob das andere Verfahrensbeteiligte auch so sehen, bleibt zunächst offen. Was dagegen deutlich wird: wie dünn die Erinnerungen anderer Zeugen ausfallen. Der Mann, der damals der Lebensgefährte der Frau war und mit ihr die Grillparty besucht haben soll, redet schnell und viel und sagt wenig.
In der rechten Szene sei immer mal wieder gestichelt worden, dass Peter S. den Anschlag in Saarlouis begangen habe, sagt der 37-Jährige. Und wohl auch an jenem Grillabend. »Ich hab gedacht, es sind Dummgespräche.« Bis die Polizei vor gut zweieinhalb Jahren bei ihm vor der Tür stand, um ihn zu vernehmen, habe er nicht mal gewusst, dass es den Brandanschlag auf die Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis wirklich gegeben hat. Und sich offenbar auch nicht wirklich dafür interessiert. Der Prozess wird fortgesetzt.