»Es wäre viel zu wenig, nur um Entschuldigung zu bitten«
Schwere Versäumnisse bei Missbrauch in der katholischen Kirche von Mecklenburg Zahlreiche Missbrauchsfälle zwischen 1946 und 1989. Bischof Heße gibt Versäumnisse der Kirche zu. Mehr Aufklärung durch den Staat gefordert.
Am vergangenen Freitag wurde eine Studie zu sexualisiertem Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche von Mecklenburg zwischen 1946 und 1989 vorgestellt. Die Wissenschaftler entdeckten 19 Betroffene und 40 Täter und gehen von einer viel höheren Dunkelziffer aus. 13 Betroffene konnten die Wissenschaftler*innen vom Uniklinikum Ulm interviewen. Zehn Männer und drei Frauen. Der jüngste von ihnen war bei der ersten Tat gerade einmal fünf Jahre alt. Der älteste 14. Im Schnitt zog sich der Missbrauch über fünfeinhalb Jahre hin. Für ihre Studie untersuchten die Forscher*innen etwa 1500 kirchliche und staatliche Akten. Darunter auch Stasi-Akten.
Manuela Dudeck vom Lehrstuhl für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Ulm erarbeitete die Studie über den sexualisierten Missbrauch in Mecklenburg. Bei der Vorstellung am Freitag zitierte sie auch aus den Interviews mit Betroffenen, um deutlich zu machen, wie diese über Jahrzehnte unter den Folgen leiden. »Ich rieche noch immer dieses Rasierwasser«, erklärte ein Betroffener. Wenn er den Duft heute in die Nase bekomme, dann spule sich vor seinem inneren Auge ein Film ab. Er sehe und höre den Mann, fühle seine Hände und spüre die Gewalt. Ein anderer Betroffener sprach über das komplizierte Verhältnis zum Pfarrer, dieser sei gleichzeitig »geliebt und gefürchtet« worden. Manuela Dudeck beschreibt, dass viele Geistliche ihre Opfer durch Zuwendung und Geschenke in ein enges Vertrauensverhältnis gelockt hätten. Gerade in den Jahren kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hätten viele Mütter die Erziehung ihrer Kinder der Kirche überlassen, sie hätten genug damit zu tun gehabt, ihr Leben zu organisieren, so Dudeck. Auch das habe den Missbrauch begünstigt.
In diesem Punkt habe sich die DDR auch wenig von Westdeutschland unterschieden. Die Nachkriegsjahre seien »gekennzeichnet von Flucht, Vertreibung, Armut, Vernachlässigung durch Eltern«. In anderen Punkten sehen die Ulmer Wissenschaftler*innen allerdings schon spezifische Phänome des Missbrauchs in der DDR. So seien die Fälle in der Kirche bekannt gewesen, man habe sie aber unter den Teppich gekehrt, weil man Repressalien durch die DDR-Regierung befürchtet habe. Auf Seiten des Staates habe es wenig Interesse an einer Verfolgung der Taten gegeben. Sexualisierter Missbrauch sei aus ideologischen Gründen tabuisiert worden, so Dudeck. Außerdem seien beschuldigte Geistliche von der Staatssicherheit als inoffizielle Mitarbeiter angeworben worden. Auch deshalb blieb eine Strafverfolgung aus.
Für Hamburgs Erzbischof Stefan Heße ist die »herausfordernde Situation der katholischen Kirche in der DDR« allerdings keine Entschuldigung. Am Montag erklärte er, dass »die Hauptverantwortung für den sexuellen Missbrauch in der Kirche bei der Kirche liegt«.
Nun wäre es »viel zu wenig, nur um Entschuldigung zu bitten«. Er sehe es als seine Aufgabe an, Schutzkonzepte weiterzuentwickeln und dafür zu sorgen, dass diese auch vor Ort greifen. Auch müsse weiter an der Aufarbeitung gearbeitet werden, damit »unsere Kirche ein immer sichererer Ort für alle Menschen wird«. Heße plädierte außerdem für eine gesamtdeutsche Studie zum Missbrauch in der Kirche und unterstützt Forderungen nach einer stärkeren Aufklärung durch den Staat. Er frage sich, wann es dort zu »konkreten Ansätzen« kommt.
Von den Studienautor*innen gab es Kritik am Verhalten der Kirche. Sie hätten 14 Monate auf die Lieferung von Akten warten müssen, diese seien außerdem geschwärzt worden. Betroffenenvertreter*innen kritisieren, dass in der Studie keine Namen genannt werden. Auch die Rolle des ehemaligen Schweriner Weihbischofs Norbert Werbs hätte benannt werden sollen. Erzbischof Heße hält von einer »Fokusierung« auf Namen wenig. Es gehe um die »systemischen Ursachen«.