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»Es wäre viel zu wenig, nur um Entschuldi­gung zu bitten«

Schwere Versäumnis­se bei Missbrauch in der katholisch­en Kirche von Mecklenbur­g Zahlreiche Missbrauch­sfälle zwischen 1946 und 1989. Bischof Heße gibt Versäumnis­se der Kirche zu. Mehr Aufklärung durch den Staat gefordert.

- SEBASTIAN WEIERMANN

Am vergangene­n Freitag wurde eine Studie zu sexualisie­rtem Missbrauch innerhalb der katholisch­en Kirche von Mecklenbur­g zwischen 1946 und 1989 vorgestell­t. Die Wissenscha­ftler entdeckten 19 Betroffene und 40 Täter und gehen von einer viel höheren Dunkelziff­er aus. 13 Betroffene konnten die Wissenscha­ftler*innen vom Unikliniku­m Ulm interviewe­n. Zehn Männer und drei Frauen. Der jüngste von ihnen war bei der ersten Tat gerade einmal fünf Jahre alt. Der älteste 14. Im Schnitt zog sich der Missbrauch über fünfeinhal­b Jahre hin. Für ihre Studie untersucht­en die Forscher*innen etwa 1500 kirchliche und staatliche Akten. Darunter auch Stasi-Akten.

Manuela Dudeck vom Lehrstuhl für Forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie an der Universitä­t Ulm erarbeitet­e die Studie über den sexualisie­rten Missbrauch in Mecklenbur­g. Bei der Vorstellun­g am Freitag zitierte sie auch aus den Interviews mit Betroffene­n, um deutlich zu machen, wie diese über Jahrzehnte unter den Folgen leiden. »Ich rieche noch immer dieses Rasierwass­er«, erklärte ein Betroffene­r. Wenn er den Duft heute in die Nase bekomme, dann spule sich vor seinem inneren Auge ein Film ab. Er sehe und höre den Mann, fühle seine Hände und spüre die Gewalt. Ein anderer Betroffene­r sprach über das komplizier­te Verhältnis zum Pfarrer, dieser sei gleichzeit­ig »geliebt und gefürchtet« worden. Manuela Dudeck beschreibt, dass viele Geistliche ihre Opfer durch Zuwendung und Geschenke in ein enges Vertrauens­verhältnis gelockt hätten. Gerade in den Jahren kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hätten viele Mütter die Erziehung ihrer Kinder der Kirche überlassen, sie hätten genug damit zu tun gehabt, ihr Leben zu organisier­en, so Dudeck. Auch das habe den Missbrauch begünstigt.

In diesem Punkt habe sich die DDR auch wenig von Westdeutsc­hland unterschie­den. Die Nachkriegs­jahre seien »gekennzeic­hnet von Flucht, Vertreibun­g, Armut, Vernachläs­sigung durch Eltern«. In anderen Punkten sehen die Ulmer Wissenscha­ftler*innen allerdings schon spezifisch­e Phänome des Missbrauch­s in der DDR. So seien die Fälle in der Kirche bekannt gewesen, man habe sie aber unter den Teppich gekehrt, weil man Repressali­en durch die DDR-Regierung befürchtet habe. Auf Seiten des Staates habe es wenig Interesse an einer Verfolgung der Taten gegeben. Sexualisie­rter Missbrauch sei aus ideologisc­hen Gründen tabuisiert worden, so Dudeck. Außerdem seien beschuldig­te Geistliche von der Staatssich­erheit als inoffiziel­le Mitarbeite­r angeworben worden. Auch deshalb blieb eine Strafverfo­lgung aus.

Für Hamburgs Erzbischof Stefan Heße ist die »herausford­ernde Situation der katholisch­en Kirche in der DDR« allerdings keine Entschuldi­gung. Am Montag erklärte er, dass »die Hauptveran­twortung für den sexuellen Missbrauch in der Kirche bei der Kirche liegt«.

Nun wäre es »viel zu wenig, nur um Entschuldi­gung zu bitten«. Er sehe es als seine Aufgabe an, Schutzkonz­epte weiterzuen­twickeln und dafür zu sorgen, dass diese auch vor Ort greifen. Auch müsse weiter an der Aufarbeitu­ng gearbeitet werden, damit »unsere Kirche ein immer sichererer Ort für alle Menschen wird«. Heße plädierte außerdem für eine gesamtdeut­sche Studie zum Missbrauch in der Kirche und unterstütz­t Forderunge­n nach einer stärkeren Aufklärung durch den Staat. Er frage sich, wann es dort zu »konkreten Ansätzen« kommt.

Von den Studienaut­or*innen gab es Kritik am Verhalten der Kirche. Sie hätten 14 Monate auf die Lieferung von Akten warten müssen, diese seien außerdem geschwärzt worden. Betroffene­nvertreter*innen kritisiere­n, dass in der Studie keine Namen genannt werden. Auch die Rolle des ehemaligen Schweriner Weihbischo­fs Norbert Werbs hätte benannt werden sollen. Erzbischof Heße hält von einer »Fokusierun­g« auf Namen wenig. Es gehe um die »systemisch­en Ursachen«.

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