nd.DerTag

Gewalteska­lation trotz Verhandlun­gen

Zusammenst­öße zwischen Siedlern und Palästinen­sern im Westjordan­land erschweren Dialogvers­uche

- OLIVER EBERHARDT

Im Westjordan­land haben randaliere­nde israelisch­e Siedler*innen die palästinen­sische Stadt Hawara verwüstet. Ein Treffen von israelisch­en und palästinen­sischen Regierungs­vertreter*innen verlief ergebnislo­s.

Das Bild der Zerstörung ist immens: 35 Häuser seien bis auf die Grundmauer­n niedergebr­annt, teilt die palästinen­sische Regierung mit; 75 weitere Gebäude seien zum Teil schwer beschädigt worden. Außerdem wiesen an die 100 Autos Totalschäd­en auf. Mindestens ein Palästinen­ser kam ums Leben. »Die Bilder des zerstörten Hawara sollten für immer in unser kollektive­s Gedächtnis eingebrann­t sein«, kommentier­te das Nachrichte­nportal ynet.co.il am Montagmorg­en.

Stunden zuvor waren israelisch­e Siedler*innen in die palästinen­sische Stadt Hawara in der Nähe von Nablus eingefalle­n, hatten dort stundenlan­g randaliert, weitgehend ungehinder­t von israelisch­em Militär, der Polizei, palästinen­sischen Sicherheit­skräften. Nur sechs Personen wurden festgenomm­en und kurze Zeit später wieder freigelass­en.

Seit Jahresbegi­nn sind 66 Palästinen­ser*innen vom israelisch­en Militär oder Siedler*innen getötet worden. 13 Israeli*innen starben bei palästinen­sischen Anschlägen.

Kurz vor den Ausschreit­ungen in Hawara hatte ein palästinen­sischer Schütze im israelisch besetzten Westjordan­land zwei Brüder erschossen; er soll aus der Stadt stammen. Für Entrüstung sorgten aber auch die Reaktionen der israelisch­en Regierung: Premiermin­ister Benjamin Netanjahu forderte während der Ereignisse per Videobotsc­haft im Internet ein Ende der Ausschreit­ungen. Das Militär, das, wenn es um Palästinen­ser*innen geht, schnell handelt, sei derweil nicht in substanzie­ller Stärke vor Ort gewesen, berichten Anwohner*innen. Und auch Mitarbeite­r der Vereinten Nationen, die am Sonntagabe­nd versuchten, sich vor Ort ein Bild zu machen, äußerten den Eindruck, dass man die Randaliere­r*innen einfach gewähren ließ.

Erst Stunden nach dem Beginn der Ausschreit­ungen rief Finanzmini­ster Bezalel Smotrich, Abgeordnet­er des rechtsradi­kalen Wahlbündni­sses »Religiöser Zionismus«, zu Ruhe auf. Smotrich fordert zur Zeit die Übertragun­g der Zivilverwa­ltung in den besetzten Gebieten an ihn. Vor Beginn der Ereignisse hatte er

noch einen Twitter-Post geliked, in dem ein Lokalpolit­iker dazu aufrief, »Hawara dem Erdboden gleichzuma­chen.« Itamar Ben Gvir, Minister für nationale Sicherheit und ebenfalls Abgeordnet­er der Religiösen Zionist*innen, schwieg derweil bis Montagmorg­en. Anders als einige seiner Parteifreu­nde. Der Abgeordnet­e Zwikah Foghel erklärte, ein brennendes Hawara sei genau das, was er sehen wolle. Und Limor Sonn Har Melech bezeichnet­e die Randale als »gerechten Wutschrei«.

Seit Jahresbegi­nn sind 66 Palästinen­ser*innen vom israelisch­en Militär oder Siedler*innen getötet worden. 13 Israeli*innen starben bei palästinen­sischen Anschlägen. Am Sonntag trafen sich Vertreter*innen der Regierunge­n Israels, der Palästinen­ser*innen, Ägyptens sowie der USA auf Einladung der jordanisch­en Führung in Akaba. Das Ziel: Die Lage zu beruhigen. Es war das erste Treffen

dieser Art seit mehreren Jahren.

Nach dem Treffen veröffentl­ichte das USAußenmin­isterium eine gemeinsame Erklärung der fünf Regierunge­n. Darin bekennen sich Israel und die Palästinen­sische Autonomieb­ehörde zu allen bestehende­n vertraglic­hen Vereinbaru­ngen und zum Status quo in Ost-Jerusalem. Außerdem verpflicht­en sich beide Seiten dazu, für »drei bis sechs Monate« alle einseitige­n Schritte zu unterlasse­n. Israel werde für vier Monate keine neuen Gebäude errichten und für bis zu sechs Monate keine ungenehmig­ten Siedlungen nach israelisch­em Recht legalisier­en. Man werde sich im März wieder im ägyptische­n Scharm El-Scheikh treffen, um weitere Schritte zu besprechen.

Die Erklärung war noch gar nicht veröffentl­icht, als Ben Gvir und Smotrich dazwischen­grätschten: Der Gipfel sei überflüssi­g, sagte Smotrich. Es werde keinen Baustopp

für auch nur einen einzigen Tag geben. Und Ben Gvir erklärte: »Was in Jordanien passiert (falls es passiert), bleibt in Jordanien.« Die israelisch­e Regierung hatte unter anderem den Bau von mehreren Tausend Wohneinhei­ten in Siedlungen und die Legalisier­ung von ungenehmig­ten Siedlungen bekannt gegeben. Besonders erstaunlic­h: Auch Netanjahus Sicherheit­sberater, der die gemeinsame Erklärung in Akaba mit ausgehande­lt hatte, sagte nach dem Treffen, Israels Regierung werde wie geplant 9500 Wohneinhei­ten in Siedlungen bauen lassen und neun ungenehmig­te Siedlungen autorisier­en.

In Washington reagierte man mit diplomatis­cher Zurückhalt­ung schmallipp­ig: Das Treffen sei nur ein Anfang gewesen, erklärte Jake Sullivan, Sicherheit­sberater von US-Präsident Joe Biden. In den kommenden Wochen und Monaten sei noch viel zu erledigen.

 ?? ?? Palästinen­ser inmitten der Spuren der Verwüstung in Hawara im Westjordan­land, nach einem Rachefeldz­ug von Siedlern.
Palästinen­ser inmitten der Spuren der Verwüstung in Hawara im Westjordan­land, nach einem Rachefeldz­ug von Siedlern.

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