nd.DerTag

Gegenrechn­ung aufmachen

Anny Hartmann bekommt den Deutschen Kleinkunst­preis

- CHRISTOF MEUELER

Mit dem Kabarett ist es so wie mit der SPD: Genervt, gelangweil­t, gequält hat man es schon vor Jahrzehnte­n für überflüssi­g erklärt. Doch die SPD ist der politische­n Schwerkraf­t ausgeliefe­rt, sie kann nicht verschwind­en. Im Unterschie­d zu ihren flotten Koalitions­partnern in der Ampelregie­rung hat sie mehr Ballast aus sozialem Gewissen und sozialer Gerechtigk­eit zu verdrängen, ist weniger theatralis­ch unterwegs. Wenn sie beispielsw­eise langsamer in den Krieg ziehen will. Auch wenn sie nicht in der Lage ist, den Krieg an sich in Frage zu stellen.

So lang die SPD existiert, lebt Kabarett. Anny Hartmann ist Jahrgang 1970, kommt aus Köln, hat Volkswirts­chaft studiert und in einer Sparkasse gearbeitet. Das klingt doch sehr nach SPD, oder? Aber wie fast jedes vernunftbe­gabte Wesen denkt sich auch Hartmann links weg von dieser Partei. Hartmann stört, dass immer eine »Gegenrechn­ung« verlangt wird, wenn man den Kapitalism­us dämpfen will. Angeblich ist jedwede Verbesseru­ng für die Allgemeinh­eit unbezahlba­r. Und dann sagt sie, man könnte ja auch mal die Löhne von den Abgaben entlasten, Steueroase­n schließen und Datenström­e besteuern. Schon mal drüber nachgedach­t? »Zu intelligen­t für Sex?« hieß 2007 ihr erstes Soloprogra­mm.

Die Ampelkoali­tion ist zu sozialdemo­kratisch für die FDP, theoretisc­h. Praktisch sieht es aber so aus, wie Hartmann betont: »Bei der FDP wissen sie nicht, wie man ›Geringverd­iener‹ schreibt. Ich glaube, die haben eine Autokorrek­tur im Handy: ›selber schuld‹ steht da, wenn man ›Geringverd­iener‹ schreibt.« Und hier ein wichtiger Satz, den ihre Kollegin Christine Prayon zu ihr 2017 auf der Bühne sagte, als sie sich über Kabarett, Sex Sells und Doppeldeut­igkeiten unterhielt­en: »Aufklärung ist gut – wegen Aufklärung. Darum gehts.« Deshalb bekommt sie nun den Deutschen Kleinkunst­preis in der Sparte Kabarett.

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