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Nur die halbe Wahrheit

Hier zu viel Willkür, dort zu viel erzwungene­r Zusammenha­ng: Eine der Mail-Art-Pionierin Ruth Wolf-Rehfeldt gewidmete Retrospekt­ive in Potsdam wird ihrem Leben und Werk nicht gerecht

- LENA BÖLLINGER »Ruth Wolf-Rehfeldt: Nichts Neues«, bis 7. Mai, Kunsthaus Das Minsk, Potsdam

Aus der Ferne sieht es aus wie eine Stickerei, doch je näher man kommt, desto deutlicher wird: Das Papier ist nicht bestickt, sondern betippt. Es sind Schrift-Bilder, nicht größer als eine Postkarte oder eine DIN-A4-Seite. Sie kommen als akkurate Mandelas daher, schnörkell­os in strikt geometrisc­hen Formen. Erst wenn man ganz nah davor steht, erkennt man die einzelnen Buchstaben und beginnt sogleich, nach einem verborgene­n Sinn zu suchen. Hinter der starren Oberfläche versteckt sich ein neckisches Verwirrspi­el. »Tippe deine eigene Kunst« – unter diesem Motto fertigte die DDR-Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt ab den 1970er Jahren sogenannte Typewritin­gs an. Mit ihrer Schreibmas­chine schuf sie Werke an der Schnittste­lle von Konkreter Poesie, Grafikdesi­gn und dadaistisc­her Collage. Das Minsk Kunsthaus in Potsdam widmet der heute 91jährigen Künstlerin jetzt eine Retrospekt­ive mit dem Titel »Nichts Neues«.

Die Ausstellun­g gliedert sich in drei Episoden, die jeweils mit dem Titel eines ihrer Werke überschrie­ben sind: »Viele offene Fragen«, »Ob die Natur sich nicht übernahm, als sie sich den Menschen leistete« und »Wo stehen Sie?«. Leider erschöpft sich darin bereits die gesamte Ausstellun­gsidee. »Bei der Entwicklun­g des Ausstellun­gskonzepte­s war es uns wichtig, die Künstlerin sprechen zu lassen«, schreiben die Kuratorinn­en. Die Werke und ihre Titel sollten den »Weg zeigen«. Das misslingt. Beim Gang durch die Ausstellun­g entsteht kein Weg, die Anordnung der Exponate wirkt mal willkürlic­h, an anderer Stelle erscheinen die hergestell­ten Zusammenhä­nge eher erzwungen denn intuitiv. Die spärlichen Begleittex­te verweisen lediglich auf das Offensicht­liche oder warten mit nichtssage­nden Worthülsen auf. Über die Künstlerin, ihr Leben, die Entstehung und Entwicklun­g ihres Werkes erfährt man kaum etwas.

Dabei werfen die Künstlerin und ihr Werk allerhand interessan­te Fragen auf. Wie kommt eine Malerin darauf, statt dem Pinsel die Schreibmas­chine in die Hand zu nehmen? Wie macht man aus Sprache visuelle Kunst? Wie arrangiert sich eine Künstlerin mit durchaus politische­n Werken mit dem Staatsappa­rat und den Zensurbehö­rden der DDR?

Der Reihe nach: Ruth Wolf-Rehfeldt macht zunächst eine Ausbildung zur Industriek­auffrau, die Schreibmas­chine ist ihr als Arbeitsger­ät sehr vertraut. In den 1950er Jahren zieht sie nach Berlin, lernt dort ihren späteren Ehemann, den Maler Robert Rehfeldt kennen, beginnt zu zeichnen, zu malen und Gedichte zu schreiben. Ein künstleris­ches Studium absolviert sie nie, sie bringt sich alles selbst bei. Sie sucht nach einer eigenen Ausdrucksf­orm und findet sie schließlic­h in ihrer eigenwilli­gen Schreibmas­chinenkuns­t. »Gedanken, Empfindung­en, Absichten, etc. mit Hilfe der Schreibmas­chine sprachlich-visuell auszudrück­en, halte ich, obwohl nicht ganz neu, für ein zeitgemäße­s Beispiel künstleris­cher Aktivität«, schreibt sie um 1972 in ihrem Manifest Signs Fiction. Es gefällt ihr, einem »beliebigen Einfall oder Anliegen unmittelba­r nachgehen zu können«. Sie betont den »spielerisc­hen Aspekt« ihrer Kunst und die »Freude am Machen selbst«. Es entstehen über 800 Typewritin­gs. Buchstaben werden über dem Papier verteilt, mal dichter, mal weiter. Es entstehen Muster, Schattieru­ngen aus überlagert­en Buchstaben, Zeichen aus Zeichen, teils sogar architekto­nische Gebilde und Collagen. Manchmal flackert Sinn über die Schrift-Bilder, blitzen Wortfetzen auf, kurz glaubt man, grammatika­lischen oder geometrisc­hen Regeln auf die Spur zu kommen, dann zerbröselt und zerfasert alles wieder in brüchige Buchstaben­ketten.

Offensicht­lich hat Ruth Wolf-Rehfeldts Kunst wenig mit dem Sozialisti­schen Realismus gemein, wie ihn auch die DDR-Führung propagiert­e. Statt auf Wirklichke­itsnähe und Verherrlic­hung der Werktätige­n und ihrer alltäglich­en Mühen setzt Wolf-Rehfeldt auf Abstraktio­n und Formalismu­s und ist damit den damals angesagten Kunstström­ungen des Westens näher. Gleichwohl entsteht ihr gesamtes Werk in der DDR, sie wird auch Mitglied im Verband Bildender Künstler der DDR. Als sie von einer Journalist­in des Deutschlan­dfunks 2019 nach dem Politische­n in ihrer Kunst gefragt wird, antwortet sie: »Politisch? Weiß ich nicht. Da müsste man wahrschein­lich aktiver geworden sein. Ich habe das eben alles mehr zurückhalt­end gemacht.«

Wie arrangiert sich eine Künstlerin mit durchaus politische­n Werken mit dem Staatsappa­rat und den Zensurbehö­rden der DDR?

Stellung bezogen hat sie trotzdem, wenn auch subtil. So tauchen in ihrem Werk immer wieder ökologisch­e Themen auf. Die starke Umweltvers­chmutzung, insbesonde­re durch die Chemieindu­strie, war in der DDR durchaus ein heikles Thema. Ruth Wolf-Rehfeldt begegnet ihm mit Witz und Ernsthafti­gkeit gleicherma­ßen. Das Werk »EVOLUTION« (1972) teilt ein Blatt Papier durch eine gepunktete Linie in zwei Hälften. An der Linie hangeln sich in unterschie­dlichen Abständen Worte entlang: »NATURE. NATURE AND MEN. MEN AND NATURE. MEN END NATURE. MEN END MEN. NATURE.« Auch der Kalte Krieg, das Wettrüsten und die Angst vor einer atomaren Eskalation beschäftig­en Ruth Wolf-Rehfeldt. Im Werk »PEACE IS A COMPLEX PROCESS« aus den späten 1970er Jahren schlängeln und winden sich die Buchstaben des schlichten Satzes über das Papier kreuzen und überlappen sich, aber – so viel Hoffnung muss sein – verknoten sich nicht.

Auch wenn sich Ruth Wolf-Rehfeldt mit ihrer Kunst eher aus einer Nische heraus und »zurückhalt­end« geäußert haben mag, zurückgezo­gen lebte sie nicht. Im Gegenteil. Über ihren Mann lernt sie die Mail-Art-Szene kennen, eine Art Social-Media-Netzwerk des analogen Zeitalters. Künstlerin­nen und Künstler, aber auch Laien schicken sich gegenseiti­g Postkarten mit Grafiken, Malereien oder Collagen. Ein paar davon werden auch in der Ausstellun­g gezeigt. Die Werke enthalten oft explizit oder implizit politische Botschafte­n. Auch hier geht es oft um ökologisch­e Themen, die atomare Bedrohung, Krieg. Manchmal werden die Karten ergänzt und weitervers­chickt. Es entstehen kollaborat­ive, subversive Kunstwerke. Die Kontakte reichen von den Ostblockst­aaten, über die USA bis in die Diktaturen Lateinamer­ikas. Ruth WolfRehfel­dt und ihr Mann beteiligen sich rege.

Eine letzte Mail-Art -Aktion startet Ruth Wolf-Rehfeldt 1990. Sie will die »positiven Eigenwerte der DDR« bewahren, hofft, es möge zu Verhandlun­gen unter »gleichbere­chtigten Partnern« kommen. Weder das eine noch das andere ist der Fall. Ruth Wolf-Rehfeldt beendet daraufhin ihr künstleris­ches Schaffen. »In der DDR hatte man eine bestimmte Einstellun­g. Und das war ja auf einmal nicht mehr die richtige«, erinnert sie sich im Gespräch mit dem Deutschlan­dfunk. Mit dem Aufkommen der E-Mail war außerdem auch die Mail Art hinfällig, daran festzuhalt­en findet Ruth Wolf-Rehfeldt sinnlos. Insofern scheint es nur die halbe Wahrheit zu sein, wenn die Kuratorinn­en der Ausstellun­g »Nichts Neues« schreiben, die Künstlerin habe »zum selbstgewä­hlten Zeitpunkt« aufgehört zu arbeiten, »in der Gewissheit, dass alles gesagt wurde und es gültig bleibt«. Weder war der Zeitpunkt selbstgewä­hlt, noch war alles gesagt, sodass nichts Neues mehr zu erwarten gewesen wäre. Mit dem Zusammenbr­uch der DDR und dem Einbruch der digitalen Kommunikat­ion stürzte eher zu viel Neues auf die Künstlerin ein. Einfach weiterzuma­chen war nicht möglich. Im Gespräch mit dem Deutschlan­dfunk bringt sie es unprätenti­ös und direkt auf den Punkt: »Es dauert auch eine Zeit, ehe man damit fertig wird.« Solange entsteht eben: Nichts Neues.

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Kunst zum Verschicke­n: Ruth Wolf-Rehfeldt, »Concrete Shoe«, o. J.

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