Die kaputte Welt des Kapitals
Das Schauspiel Köln brachte Rainald Goetz’ »Johann Holtrop« auf die Bühne
Was der Autor mit einem Roman intendiert und was ein Theater daraus macht, sind zweierlei Sachen. Rainald Goetz’ »Johann Holtrop« blieb seit 2012 Kritikern wie Anhängern wegen seiner mit kühlem Hass auf die obersten Etagen der Geschäftswelt und den Goetz-typisch wertenden Personenschilderungen im Gedächtnis. Die Uraufführung am Samstag am Schauspiel Köln zeigte, dass das Buch über den Lebensweg eines deutschen Top-Managers auch als Theaterstück funktioniert: Unter der Regie von Intendant Stefan Bachmann spielen acht Schauspielerinnen ihre Rollen, indem sie – meist singend und begleitet von Klavier und Streichern – die Handlung erzählen.
Zu Beginn des Stücks bleibt den Personen wenig Raum zur Entfaltung eines individuellen Charakters: Der Terror der Großraumbürobrutalität, die Gemeinschaft vortäuscht und doch nur jeden auf seinen eigenen Schreibtischknast verweist, stampft, verstärkt durch die hektische Musik, alle Unterschiede zwischen den Angestellten ein. Die Metapher der Kleinstknäste wird szenografisch unterstützt durch Fäden, die von der Decke bis auf den Bühnenboden gespannt sind – wie schon in Bachmanns Inszenierung von Goetz’ »Reich des Todes«. Ein Stück hinter Gittern.
Eingekapselt in ihre selbst gewählten Isolationszellen und dabei selbst zu kleinen Terrorzellen des Kapitals geworden, wagen sich die Figuren in ihrer Unberührbarkeit so wenig aus dem Fadenknast heraus, wie sie andere nicht mehr zu berühren vermögen. Der Körper ist in dieser kaputten Welt ein Spekulationsobjekt wie alles andere; man redet und gestikuliert aneinander vorbei, schaut sich nicht an, ekelt sich voreinander. Wer sich hier anders bewegt, fliegt raus, wie Holtrops Alkoholikerkollege Thewe, der entlassen wird und Suizid begeht. Holtrop, in seiner immer wieder die Grenze zur Selbstparodie überschreitenden Arroganz und Verletztheit von Melanie Kretschmann dargeboten, hampelt im blauen Anzug herum und setzt sich während eines besonders verblödeten Redeschwalls in seiner wahnhaften CEO-Idiotie eine Narrenkappe auf.
Zum Ende geraten die Figuren in Bewegung: Die Fadenknäste werden verlassen, Holtrop findet sich in hellem Bühnensonnenlicht zur Unterredung beim Konzernchef auf Mallorca ein. In einer Szene brüllt Holtrop mit digital verzerrter Stimme im Goebbels-Ton und wirft dabei im Lokal den Tisch der neben ihm sitzenden Russen um, womit er zeigen will, wer hier das Sagen hat. Das Stück ist aktueller, als es die Romanvorlage von 2012 vermuten lässt, zu der diese Inszenierung eher eine Ergänzung bildet.
Für Holtrop und den Rest der Bande gibt es keine Rettung. Die hier gezeigten »paradigmatischen Geldweltmenschen« sind »innenlebenfreie Existenzen« (Goetz im Programmheft). Die kaputte Welt des Kapitals zerstört ihre Bewohner, macht sie, ihrem äußeren Schein zum Trotz, zu innerlich Kaputten. Alle bekämpfen einander, jeder könnte der Nächste sein, der, wie Zampano Holtrop selbst, aus dem Knast des Geschäftsirrsinns raus- und in den der Psychiatrie hineinfällt: Burnout, Sinnlosigkeit, Suizidalität; Gedanken an Vernichtung, Nichts und Tod. Eingekauert auf dem Klinikboden, zwischen Eisbad- und Elektroschocktherapie endet der ehemalige Topmanager ganz unten.