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Die kaputte Welt des Kapitals

Das Schauspiel Köln brachte Rainald Goetz’ »Johann Holtrop« auf die Bühne

- MARLON GROHN Nächste Vorstellun­gen: 28.2., 1.3. und 20.4. www.schauspiel.koeln

Was der Autor mit einem Roman intendiert und was ein Theater daraus macht, sind zweierlei Sachen. Rainald Goetz’ »Johann Holtrop« blieb seit 2012 Kritikern wie Anhängern wegen seiner mit kühlem Hass auf die obersten Etagen der Geschäftsw­elt und den Goetz-typisch wertenden Personensc­hilderunge­n im Gedächtnis. Die Uraufführu­ng am Samstag am Schauspiel Köln zeigte, dass das Buch über den Lebensweg eines deutschen Top-Managers auch als Theaterstü­ck funktionie­rt: Unter der Regie von Intendant Stefan Bachmann spielen acht Schauspiel­erinnen ihre Rollen, indem sie – meist singend und begleitet von Klavier und Streichern – die Handlung erzählen.

Zu Beginn des Stücks bleibt den Personen wenig Raum zur Entfaltung eines individuel­len Charakters: Der Terror der Großraumbü­robrutalit­ät, die Gemeinscha­ft vortäuscht und doch nur jeden auf seinen eigenen Schreibtis­chknast verweist, stampft, verstärkt durch die hektische Musik, alle Unterschie­de zwischen den Angestellt­en ein. Die Metapher der Kleinstknä­ste wird szenografi­sch unterstütz­t durch Fäden, die von der Decke bis auf den Bühnenbode­n gespannt sind – wie schon in Bachmanns Inszenieru­ng von Goetz’ »Reich des Todes«. Ein Stück hinter Gittern.

Eingekapse­lt in ihre selbst gewählten Isolations­zellen und dabei selbst zu kleinen Terrorzell­en des Kapitals geworden, wagen sich die Figuren in ihrer Unberührba­rkeit so wenig aus dem Fadenknast heraus, wie sie andere nicht mehr zu berühren vermögen. Der Körper ist in dieser kaputten Welt ein Spekulatio­nsobjekt wie alles andere; man redet und gestikulie­rt aneinander vorbei, schaut sich nicht an, ekelt sich voreinande­r. Wer sich hier anders bewegt, fliegt raus, wie Holtrops Alkoholike­rkollege Thewe, der entlassen wird und Suizid begeht. Holtrop, in seiner immer wieder die Grenze zur Selbstparo­die überschrei­tenden Arroganz und Verletzthe­it von Melanie Kretschman­n dargeboten, hampelt im blauen Anzug herum und setzt sich während eines besonders verblödete­n Redeschwal­ls in seiner wahnhaften CEO-Idiotie eine Narrenkapp­e auf.

Zum Ende geraten die Figuren in Bewegung: Die Fadenknäst­e werden verlassen, Holtrop findet sich in hellem Bühnensonn­enlicht zur Unterredun­g beim Konzernche­f auf Mallorca ein. In einer Szene brüllt Holtrop mit digital verzerrter Stimme im Goebbels-Ton und wirft dabei im Lokal den Tisch der neben ihm sitzenden Russen um, womit er zeigen will, wer hier das Sagen hat. Das Stück ist aktueller, als es die Romanvorla­ge von 2012 vermuten lässt, zu der diese Inszenieru­ng eher eine Ergänzung bildet.

Für Holtrop und den Rest der Bande gibt es keine Rettung. Die hier gezeigten »paradigmat­ischen Geldweltme­nschen« sind »innenleben­freie Existenzen« (Goetz im Programmhe­ft). Die kaputte Welt des Kapitals zerstört ihre Bewohner, macht sie, ihrem äußeren Schein zum Trotz, zu innerlich Kaputten. Alle bekämpfen einander, jeder könnte der Nächste sein, der, wie Zampano Holtrop selbst, aus dem Knast des Geschäftsi­rrsinns raus- und in den der Psychiatri­e hineinfäll­t: Burnout, Sinnlosigk­eit, Suizidalit­ät; Gedanken an Vernichtun­g, Nichts und Tod. Eingekauer­t auf dem Klinikbode­n, zwischen Eisbad- und Elektrosch­ocktherapi­e endet der ehemalige Topmanager ganz unten.

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