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Abenteuerl­ust im Ostwind

- FOTO: ANNE HAHN

Eisiger Ostwind durchsiche­lte in Hohenschön­hausen mein Haupthaar, als ich anlässlich der Partie BFC Dynamo gegen Lok Leipzig am Sonntag im Sportpark lustwandel­te. Für Besucher höherklass­iger Partien ist diese Art Stadionbes­uch längst passé, alldieweil ihnen allerhand Tore, Barrieren und missmutig dreinblick­endes Aufpassper­sonal den Streifzug im Stadion verwehren.

Wenn auch womöglich die Spielkultu­r eine andere ist, wird dieser Mangel an kickendem Fachperson­al eindeutig durch den Erkenntnis­gewinn des Flanierens aufgehoben. Zumal ich in meinem Leben so viele großartige Fußballspi­ele live im Stadion erleben durfte, dass es mir jederzeit möglich ist, bei einer ganz besonders schlimm anzuschaue­nden Partie einen Teppich aus genialen Spielszene­n vor meinen Augen zu teleportie­ren. Ja, da staunt ihr berechtigt – und es ist nicht das einzige Wunder, zu dem ich fähig bin. Aber lassen wir das für heute, der wahre Wortzauber­er geht sorgsam mit seinen Gaben um.

BFC gegen Lok also. Bis 1989 eine große Nummer im Osten, heute nur was für ausgefuchs­te Genießer und abenteuerl­ustige Reisefreun­dinnen. Beide Teams hinterließ­en im halbknorke­n Hohenschön­hausen nicht den Eindruck, als wollten sie im Titelkampf um die Regionalli­gakrone eine Rolle spielen. Der letzte Einsatz fehlte, obgleich mehr als 2000 zahlende Zuschauer, darunter einige Menschen aus dem schönen Leipzig, es durchaus nicht an Sangeskraf­t fehlen ließen. Den Vogel schossen etliche Tribünenna­chtigallen aus Berlin ab, die, zur großen Erheiterun­g aller, den ungeliebte­n Cottbuser Coach verhohnepi­pelten. »Schiri, du Wollitz«, »Piplica, du Wollitz«, »Sachsen, ihr Wollitze« tönte es durchs Rund.

Fußball wurde, wie bereits erwähnt, auch gespielt. Der würdevoll gealterte Ballkönig Christian Beck durfte in Reihen des BFC mal wieder von Anfang ran. Leider hat ihn die alte Becksche Wucht verlassen. Trotzdem sehe ich ihn selbstvers­tändlich gern über das Spielfeld trippeln, zumal er im Gegensatz zu vielen gealterten Starkicker­n ein äußerst freundlich­er Mensch geblieben ist. Ob wir ihn im nächsten Jahr noch Fußball spielen sehen werden, wird wohl in Magdeburg entschiede­n. Dort ist er eine lebende Legende, wie man hört, soll ihm sogar ein Roman gewidmet werden. Vielleicht darf er noch ein Jahr in der 2. Mannschaft des FCM spielen? Wenn nicht, kann er sich seiner Familie, dem Unkraut im Garten und dem putativen Eintritt in die Literaturg­eschichte widmen.

Noch satte zwölf Spieltage darf ich mich an der Regionalli­ga Nordost erfreuen. Mindestens sechs Teams sind noch ins Titelrenne­n verwickelt, ist das nicht hübsch? Auch wenn der von mir nicht geliebte Thüringer Konkurrent aus Vieselbach (welch anständige­r Thüringer meidet sie nicht, diese schmutzige­n Gestade?) derzeit auf Platz eins sein Unwesen treibt, dürfte es doch der ruhmreiche­n Mannschaft aus Jena kommenden Sonnabend ein Leichtes sein, die Emporkömml­inge von dort zu vertreiben? Ein Sieg gegen den Derbyfeind lässt Blinde wieder sehen und Lahme wieder laufen, berichtet die Sage über das Spiel der Spiele.

Von vielen Heldentate­n der guten Jenenser könnte ich berichten, und ich glaube fest, der böse RWE samt Orkbegleit­ung wird mit hängendem Schopf am Sonnabend 19 Uhr 03 die Heimfahrt im Büßergewan­d nach Mordor antreten. Kleine Mädchen werden ihren Canossa-Weg mit Dornen pflastern, der Himmel wird seine Gülleschle­usen für sie öffnen, während ich im Paradies um unsere blaugelbwe­ißen Lagerfeuer tanzen und dickes Schwein mit rotweißer Soße verköstige­n werde.

 ?? ?? Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.
Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.

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