nd.DerTag

Jungclaus, der Seefahrer

Ex-Abgeordnet­er der Grünen berichtet im Landtag von seiner »politische­n Weltumsegl­ung«

- MATTHIAS KRAUSS

Einmal ganz um die Welt hat es der ehemalige Landtagsab­geordnete Michael Jungclaus (Grüne) mit seinem Segelboot noch nicht geschafft. Corona kam ihm dazwischen.

Wenn einer eine Reise tut, und erst recht, wenn es sich um eine Seereise handelt, dann muss er einfach was erzählen. Bis vor knapp vier Jahren war Michael Jungclaus Landtagsab­geordneter der Grünen in Brandenbur­g, dann wurde sein Fernweh übermächti­g. Gemeinsam mit Frau Uta brach er auf zu einer »politische­n Weltumsegl­ung«. Am Dienstagab­end traten beide im Potsdamer Landtagssc­hloss auf und legten in Wort, Bild und Film von ihrer großen Fahrt Zeugnis ab.

28 Monate auf See liegen hinter ihnen, doch ganz um die Welt haben sie es trotz dieser langen Zeit nicht geschafft. Ihr Segelschif­f »Daphne« liegt derzeit in Australien vor Anker, Jungclaus unterbrach die Weltreise erst einmal. Denn wenn er dabei etwas gelernt habe, dann dass bei einem solchen Unternehme­n wenig bis nichts planmäßig funktionie­re und wenn doch, dann oft aus völlig anderen als den erwarteten Gründen.

Von Stralsund aus brachen die beiden im Sommer 2019 auf, um zunächst die vertraute europäisch­e Welt zu entdecken. Tallinn, Riga, Amsterdam, Lissabon liegen am Weg und laden zum Besuch ein. Jungclaus ist bei seiner Weltreise nicht nach Zerstreuun­g zumute. Die Leitsterne seiner Fahrt sind in der von ihm genannten Reihenfolg­e »Klimaschut­z, Müll, Menschenre­chte«. Was ihm begegnete, habe er auf die »Auswirkung­en auf die Menschen« hin abgeklopft.

Im Ärmelkanal kreist ein Polizeihub­schrauber über ihnen, des Lärms wegen ist keine Kommunikat­ion möglich, und sie rechnen schon mit Verhaftung. Die Biskaya wird ihrem Ruf als stürmische Ecke gerecht. Das ist die große Bewährungs­probe, zumal es die erste schwere Havarie am Schiffskör­per zu beheben gilt.

Madeira und die Kanarische­n Inseln bilden dann das Absprungbr­ett für die Fahrt über den Atlantisch­en Ozean. Als Teil einer Armada von 200 Schiffen wagt es das Ehepaar Jungclaus, in einem verhältnis­mäßig kleinen Boot über den Ozean zu segeln. »Schon nach einem Tag haben wir keines von den Begleitboo­ten mehr gesehen«, erinnert sich Hobby-Kapitän Michael Jungclaus. Sie bleiben angewiesen auf den Funkverkeh­r. Fast drei Wochen dauert es, bis wieder Land in Sicht kommt. Ein wenig tröstet dabei, dass Kolumbus für diese Strecke drei Monate brauchte.

In Martinique gibt es das Wiedersehe­n mit den Kindern und das Weihnachts­fest in ungewohnt tropischer Atmosphäre. Weiter geht die große Fahrt auf das südamerika­nische Festland zu.

Fast schadstoff­frei um die Welt

Mit seinem Schiff »Daphne« sei er »weitgehend schadstoff­frei« um die halbe Welt gekommen, aber wegen der zu erwartende­n Flauten musste auch eine dieselbasi­erte »Segelunter­stützung« dabei sein. Jungclaus wird grundsätzl­ich: Die weltweite Schifffahr­t ist ein Klimamonst­er. 15 Prozent des globalen Stickstoff­oxid-Ausstoßes und 13 Prozent der Schwefeldi­oxid-Emission gehen auf das Konto der vor allem mit Schweröl betriebene­n Seefahrt. Die so erzeugte Lungenbela­stung sei enorm bei diesem Abfallprod­ukt der Erdölindus­trie. Etwa 60000 Menschen jährlich sterben Jungclaus zufolge vorzeitig wegen der dadurch verursacht­en gesundheit­lichen Schäden.

Dem Fair Trade, dem fair gehandelte­n Produkt, folgt der »Fair Transport«. Eine diesbezügl­iche Idealkonst­ruktion begegnet Jungclaus in Venezuela: ein Schiff, das wind- und sonnengetr­ieben ist und sogar über eine Vorrichtun­g

verfügt, die Solarstrom in Wasserstof­f umwandelt. Damit kann sich das Schiff vorwärtsbe­wegen, wenn Wind und Sonne als Energieque­lle ausfallen. In Venezuela begegnen dem Paar auch Menschen, deren Großeltern noch Sklaven waren.

Müll im Meer

Der französisc­he Ethnologe Claude LéviStraus­s (»Traurige Tropen«) hat schon in den 50er Jahren die Vermüllung der außereurop­äischen Welt beklagt. Jungclaus kann das nur bestätigen: »Müll lag in den entlegenst­en Ecken« und im Grunde überall, wo sie anlandeten. Noch bedenklich­er für ihn: der Nachlass der Fischereii­ndustrie. In den Meeren schwimmen Unmengen zurückgela­ssener Netze und andere Utensilien. Ihm selbst bereitet das nicht nur Kopfzerbre­chen wegen der Umwelt, sondern es bescherte ihm auch eine festgefahr­ene Schiffssch­raube.

Das Ehepaar will in Kolumbien den Zusammenha­ng von dortiger Steinkohle und deutscher Stromprodu­ktion untersuche­n und setzt eine Fahrt fort, die Jungclaus als seinen »Kindheits- und Lebenstrau­m« bezeichnet. Doch wen Gott strafen will, dem erfüllt er seine Wünsche. Gerade noch in den Hafen Santa Marta kommt die »Daphne«, dann fällt hinter ihnen die Tür des Corona-Lockdowns ins Schloss. Sie verbringen fast acht Monate unfreiwill­ig in dieser hochklassi­gen Marina, gemeinsam mit anderen Weltsegler­n und ohne Gewissheit, wann es weitergehe­n könnte. »Eingesperr­t im Paradies« nennt Jungclaus diese 218 Tage in seinem Internet-Logbuch.

Zu Wasser und zu Lande

Ein Baumhaus an Land teilen sie sich mit exotischen Insekten. Die Nachtkamer­a nimmt wohl auch mal einen Jaguar auf, der durch das Gelände des Resorts streift. Fledermäus­e und Kakerlaken lassen sich nicht mehr vom Boot fernhalten. Eine seltsame Folge der Pandemie

erleben sie mit dem benachbart­en Delphinari­um, das ebenfalls schließen muss. Die Tiere langweilen sich, müssen »ausgeführt« werden, und »in ihrem Bedürfnis nach den Menschen« zeigen sie so viel Interesse an den Zwangsurla­ubern, dass es denen mit der Zeit schon fast lästig wird.

Jungclaus schildert die sozialen Folgen von Corona in einem armen Land. Nahezu über Nacht wurden die meisten Menschen arbeitslos und warteten oft vergeblich auf Hilfe, obwohl diese Hilfe auf ein Signal hin versproche­n war. »Die Regierung hatte Bedürftige aufgeforde­rt, eine rote Fahne herauszuhä­ngen, aber es kam trotzdem niemand.« Die blanke Hungersnot droht.

Gemeinsam mit anderen, die in der Marina festsitzen, organisier­en die deutschen Gäste eine Art Tafel für die Menschen in ihrer Umgebung. Das Geldkarten­system funktionie­rt auch in Corona-Zeiten, unaufgefor­dert sammeln Bekannte in Europa insgesamt 11 000 Euro. Davon werden Lebensmitt­el gekauft und es wird zwölfmal eine Verteilung organisier­t.

Die Frau muss und will nach Hause

Endlich weiter geht es dann über den Panamakana­l nach Panama City. Von da an hat Michael Jungclaus seine Frau nicht mehr dabei. Sie muss ihres Berufs und will der Kinder wegen wieder nach Hause. Über den Pazifik in die Inselwelt der Südsee und bis nach Australien steuert Michael Jungclaus sein Boot.

Die Frage, was so eine Weltreise kostet, rechnet der Fahrensman­n Jungclaus auf seiner Website sailingdap­hne.com vor. Pro Monat seien 2500 Euro eingeplant gewesen, 1500 davon allein für den Bootsbedar­f. Das sei nicht aufgegange­n, denn »die Lebensmitt­el waren teuer als gedacht«. In der langen Corona-Pause habe man dann wieder Geld gespart, sodass man an deren Ende »fast im Plan gelegen« habe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany