Bizarrer Rechtsstreit
Zeitschrift »Sinn und Form« darf vorerst nicht mehr erscheinen
Die 1949 gegründete und seit 1950 von der Akademie der Künste herausgegebene Zeitschrift »Sinn und Form« darf vorerst nicht mehr erscheinen. Für das Verbot verantwortlich ist Frank Berberich, seines Zeichens Herausgeber der VierteljahresZeitschrift »Lettre International« mit einer Auflage von 16 500 Exemplaren. Der 74-jährige Berberich wollte die Konkurrenz von »Sinn und Form« mit ihrer Druckauflage von 3000 Stück nicht länger hinnehmen und klagte mit der Begründung, die Zeitschrift werde staatlich gefördert, während »Lettre International« privat finanziert sei. Während der Corona-Pandemie sei »Sinn und Form« so geschützt gewesen, »Lettre International« konnte hingegen nicht von staatlichen Hilfen profitieren. Für Berberich ein Fall von Wettbewerbsverzerrung. Das Berliner Landgericht stimmte ihm am 1. März zu. Der Staat dürfe keine eigene Öffentlichkeitsarbeit betreiben und müsse sich aus dem Pressewesen heraushalten. Da die Akademie der Künste staatlich finanziert ist, sei auch die »Sinn und Form« eine »Staatszeitschrift«, wie es Berberich formulierte.
Doch so einfach, wie Berberich es darstellt, ist es nicht. Die Akademie der Künste mag zwar staatlich finanziert sein, unterscheidet sich jedoch grundsätzlich von einer Kommune oder einem Landkreis, die nicht über ihre eigene Lokalpolitik berichten dürfen. Die Akademie soll (gesetzlich festgelegt) den »Gesamtstaat« auf dem »Gebiet der Kunst und Kultur« repräsentieren. Die Präsidentin der Akademie der Künste, Jeanine Meerapfel, sagte dazu: »Die Aufgabe der Akademie ist es, die Künste zu fördern und die Sache der Kunst in der Gesellschaft zu vertreten. Die Herausgabe dieser renommierten Zeitschrift ist ein entscheidender Teil dieser Aufgabe.«
Die »Sinn und Form« steht nach dem Gerichtsurteil am Abgrund. In der Literaturzeitschrift regiert der Text: Es gibt keine Bilder, Grafiken oder Fotografien. Unter anderem Hans Magnus Enzensberger, Nelly Sachs oder Anna Seghers haben für die Zeitschrift geschrieben. Sie wurde von Johannes R. Becher bereits vor der Gründung der DDR auf den Weg gebracht. Langjähriger Chefredakteur war der Dichter Peter Huchel. Die Turbulenzen von 1989/90 überlebte die Zeitschrift und ist seither ein gesamtdeutsches Periodikum.
Nun könnte das Ende drohen. Autor*innen sowie der Beirat der Zeitschrift haben eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie schreiben, der Angriff von »Lettre International« richte sich gegen die »Vielfalt des literarischen Lebens, das nicht nur marktwirtschaftlicher Logik folgt, sondern auf privates und öffentliches Engagement angewiesen ist«. Der Text wurde unter anderem von den Schriftsteller*innen Daniel Kehlmann, Volker Braun und Eva Menasse sowie Peter Sloterdijk unterzeichnet. Dort heißt es weiter: »Das Ergebnis wäre eine zunehmende Verödung des kulturellen Austauschs und demokratischen Miteinanders. Aber gerade das ist in diesen Tagen wichtiger denn je.« Und es stimmt wohl: »Lettre International« würde vom Verschwinden von »Sinn und Form« kaum profitieren, zu unterschiedlich sind die Profile der beiden Publikationen. Man darf noch auf eine Revision des Urteils hoffen.