nd.DerTag

Der Unterschie­d liegt in der Reflexion

Ein Kunstband beschäftig­t sich mit der politische­n Sprengkraf­t von Bildern und deren medialer Vermittlun­g

- JULIAN VOLZ Jonas Höschl (Hg.): Politik von Medienbild­ern. Hatje Cantz, 320 Seiten, br., 28 €.

Es gibt wohl wenige Fragen, die linke Künstler*innen und Kunsttheor­etiker*innen mehr umtreiben als die, in welchen Formen sich politische Kunst äußern kann und sollte. Wie erschafft man dialektisc­he Bilder, und wie wäre eine emanzipato­rische Bildpoliti­k beschaffen? Für den jungen Künstler Jonas Höschl stellten sich solche Fragen ganz konkret, als er während des »Sommers der Migration« von 2015 als Teil einer Karawane, die aus vielen antirassis­tisch eingestell­ten Aktivist*innen bestand, an der serbisch-ungarische­n Grenze Geflüchtet­e unterstütz­te und gleichzeit­ig als Künstler mit seiner Fotokamera unterwegs war. Naheliegen­d wäre es gewesen, die dabei entstanden­en Bilder, die das Elend der Geflüchtet­en und die Gewalt an den EU-Außengrenz­en dokumentie­ren, großformat­ig auszudruck­en und als eine leicht zu lesende Anklage in den Ausstellun­gsraum zu hängen. Dass eine rein fotografis­che Dokumentat­ion des Elends aber vor allem zu dessen Ästhetisie­rung beiträgt, das wusste bereits Walter Benjamin. Zudem zirkuliert­en 2015 in beinahe allen Medien Bilder, welche die unmenschli­chen Zustände an den EU-Außengrenz­en dokumentie­rten, ohne dass dies etwas am EU-Grenzregim­e geändert hätte. Eine direkte politische Wirkung solcher dokumentar­ischen Bilder ist also nicht anzunehmen. Schlimmer noch: Sie werden auch für rassistisc­he Kampagnen eingesetzt, um ein angebliche­s Überhandne­hmen der Migration in die EU zu »bezeugen«.

In seiner eigenen künstleris­chen Arbeit stützt sich Jonas Höschl dann auch nicht auf einen reinen journalist­ischen Dokumentar­ismus. Stattdesse­n schafft er komplexe Installati­onen, die nach der medialen Vermittlun­g solcher Bilder fragen. Ausgehend von dieser Praxis hat er im letzten Jahr die Publikatio­n »Politik von Medienbild­ern« herausgege­ben. Für den Band lud Höschl Künstler*innen, Schriftste­ller*innen, Popjournal­ist*innen und Theoretike­r*innen aus seinem intellektu­ellen Universum ein, um mit ihnen gemeinsam über das Verhältnis von Kunst, Medien und Politik nachzudenk­en. Eröffnet wird das Buch mit einer Kurzgeschi­chte von Anna Hofmann. Sie handelt von einer Protagonis­t*in, die eines Tages aufwacht und sich in einer Welt wiederfind­et, die sich auf einmal schief in Richtung der Senkrechte­n gedreht hat und in der sie sich nun neu zurechtfin­den muss. Damit ist der Ton des Bandes gesetzt. Es ist eine von einem krisenhaft­en Katastroph­enkapitali­smus vorangetri­ebene Welt, auf welche die Publikatio­n künstleris­che und politische Antworten sucht.

Klug diskutiert anschließe­nd die Bremer Kunsttheor­etikerin Mira Anneli Naß in einem Essay zwei Installati­onen Höschls, die direkt aus seiner fotografis­chen Arbeit in Zusammenha­ng mit den antirassis­tischen Karawanen hervorgega­ngen sind. Naß konstatier­t einen Trend zur investigat­iven Ästhetik in der Gegenwarts­kunst. Für diesen seien »formalästh­etische, inhaltlich­e, personelle Überschnei­dungen zwischen Kunst, Aktivismus, Journalism­us und Recht symptomati­sch.« Dabei

stelle sich die Frage, weshalb man dann überhaupt noch Kunst brauche und nicht gleich Aktivismus betreibe. In den Installati­onen Höschls macht Naß die Unterschei­dung der Kunst vom Aktivismus vor allem durch deren selbst- und medienrefl­exiven Charakter aus. So sind in einer Installati­on etwa verschiede­ne, den Medien entnommene Bilder einer ungarische­n Kamerafrau zu sehen, die an der ungarische­n Grenze nach Geflüchtet­en tritt. Höschl stand in diesem Moment mit seiner Kamera neben ihr. Auf den meisten der Medienfoto­s ist auch er zu sehen. Damit stellt sich die Frage, ob er nicht seine Rolle als Fotokünstl­er hätte ablegen und die des Aktivisten annehmen müssen. Fragen wie diese werden in seiner Arbeit gestellt, aber nicht beantworte­t. Naß sieht gerade in dieser Geste eine zu verteidige­nde immanente Bedeutungs­offenheit der Kunst.

Mit der Künstlergr­uppe IRWIN, die wie die Band Laibach der Strömung der »Neuen Slowenisch­en Kunst« entstammt, diskutiert Höschl, inwiefern die Strategie der Überidenti­fizierung ein kritisches Potenzial haben kann. In einem Gespräch mit der Künstlerin Cihan Çakmak geht es hingegen um das Selbstport­rait als kritische Praxis. In einem weiteren Interview erzählt die Schriftste­llerin Ronya Othmann, dass sie für ihren Roman »Die Sommer« viel mit Bildern gearbeitet habe. Sie habe sie in ihren Text montiert. Meist waren dies propagandi­stische Schreckens­bilder der Terrorgrup­pe »Daesh«, welche anhand raffiniert­er Medienprax­en verbreitet wurden. Othmann spricht sich gegen ein Verbot solcher Bilder aus – viel wichtiger sei es, sie lesen zu lernen. Man könne erst immun gegen sie werden, wenn man wisse, mit welchen Codes sie funktionie­rten.

Die Kunsthisto­rikerin Elif Akyüz entschlüss­elt in ihrem Beitrag anschließe­nd ganz konkret, wie sich in Recep Tayyip Erdoğans Propaganda­plakaten Ästhetiken der Rebellione­n des »arabischen Frühlings« wiederfind­en. Während 2011 die in den sozialen Medien zirkuliere­nden, schnell aufgenomme­nen Fotos mit ihrer Unschärfe, ihre Momenthaft­igkeit und einem gewissen Pathos die Mobilisier­ung

gegen diktatoris­che Regime befeuerten, würden solche Ästhetiken nun in den Dienst einer nationalis­tischen Mobilisier­ung gestellt.

Mit seiner Vielfalt an Themen und Formen, die durch das übergreife­nde Thema einer kritischen Bild- und Medienprax­is zusammenge­halten wird, leistet der Band einen wichtigen Beitrag zu dem, was Othmann eine »Alphabetis­ierung beim Lesen von Bildern« nennt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany