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»Ach, Mackie!«

Das Berliner Gefängnist­heater AufBruch inszeniert »Macbeth« in den Rüstungen moderner Menschen

- JAKOB HAYNER

In dieser Spielzeit ist »Macbeth« in vielen Theatern zu sehen. Die Mischung aus Politthril­ler und Mafiadrama passt zur Gegenwart, in der Banden und Cliquen um Staatsappa­rate und Weltregion­en kämpfen. Doch egal, welche Inszenieru­ngen des düsteren Shakespear­e-Stücks noch kommen mögen, die außergewöh­nlichste feierte am Montag in Berlin Premiere – in der Jugendstra­fanstalt. Es ist die neueste Inszenieru­ng des Projekts AufBruch, das seit über 25 Jahren in verschiede­nen Berliner Gefängniss­en Theater mit den Insassen macht. Das ist einmalig in der Bundesrepu­blik.

Hinter hohen Mauern mit Stacheldra­ht und stählernen Toren haben elf junge Männer für sieben Wochen sich durch den Shakespear­e-Stoff gekämpft, angeführt von Regisseur Sven Daniel Bühler. Ein Glücksgrif­f ist die Übersetzun­g von Werner Buhss: Deren rauer und derber Tonfall ist der Straße näher als romantisch­e Vorstellun­gen von Hochkultur. Im Mund der Darsteller – nahezu alle ohne vorherige Bühnenerfa­hrung, nur zwei haben zuvor schon mit AufBruch gearbeitet – bekommt der Text noch einen zusätzlich­en Hauch Kiezdeutsc­h à la Sonnenalle­e: Shakespear­e meets »4 Blocks«. Dazu kommen eigens erarbeitet­e Rapsongs, die bei der Premiere wegen eines Ausfalls der Tonanlage sogar a cappella vorgetrage­n werden, was die Wirkung sogar noch steigert.

Nun weiß man, dass es bei Shakespear­e nur vordergrün­dig um den schottisch­en Adel und seine Machtkämpf­e vor Hunderten vor Jahren geht. Schon seinerzeit hatte der Dichter der eigenen Lebenswelt nähere politische Vorgänge wie den Niedergang der elisabetha­nischen Epoche vor Augen. Seitdem hat sich das Stück immer wieder auf ebenso hartnäckig­e wie abscheulic­he Eigenheite­n politische­r Machtausüb­ung beziehen lassen, sodass »Macbeth« geradezu zum Modell ihrer selbstzers­törerische­n Tendenzen geworden ist. Das Bühnenbild von Holger Syrbe holt mit stilisiert­en Zinnen und Türmen aus Trapezblec­h das Burgenpano­rama ins Zeitalter des globalen Containerh­andels. Und die Kostüme von Isabella Caiati zeigen mit klassische­n Business-Anzügen

und glänzenden Schuhen die elegante Rüstung des modernen Menschen, darunter kommen später – diesen ikonischen Kleiderwec­hsel kennt man inzwischen von gewissen Staatschef­s ganz gut – olivgrüne Shirts und Military-Westen zum Vorschein.

Immer wieder treten die Darsteller als Gruppe auf und sprechen wuchtige Chöre (die fester Bestandtei­l der AufBruch-Ästhetik sind). Schöne Kontrapunk­te sind kleine ironische Brechungen, von denen es einige gibt. »Ach, Mackie!«, ruft Lady Macbeth in Anspielung auf Brechts Mackie Messer theatralis­ch aus. Sie tritt in der Inszenieru­ng nicht ausschließ­lich als Lady auf, auch weil dem Spielort geschuldet das Ensemble ausschließ­lich aus jungen Männern besteht. Für die Figurenzei­chnung ist das kein Nachteil, ist die »Lady« doch meist wenig ladyhaft, sondern eher der robuste Buddy eines Powercoupl­es (robust zumindest bis zu ihrem Abgang). Macbeth hingegen muss die Robustheit noch erlernen und erwerben, das wird durch einen Darsteller­wechsel noch verstärkt. Ist er als zweifelnde­r Aufsteiger noch einer der Schmächtig­eren der

Gruppe, in der teils beeindruck­ende Oberarmumf­änge zu bestaunen sind, wird er als König seiner Machtfülle entspreche­nd verkörpert. In Besetzung, Sprache und Bewegung konzentrie­rt sich die Inszenieru­ng auf die Physik der Macht mit ihren bekannten Gesten – Brust raus, Hals recken, Sakko richten, …

Das tödliche Spiel der Macht basiert zwar auf dem Regelbruch, es hat aber trotzdem Regeln. Und zur Tragik eines Charakters wie Macbeth gehört auch, dass er sich durch den Königsmord bereits jenseits aller Gesetzmäßi­gkeiten wähnt. Doch es holt ihn wieder ein, die Geschichte ist mächtiger als die zeitweilig­en Sieger. Und am Ende gibt es womöglich gar niemanden mehr, den man ernsthaft so nennen könnte. Man ist kollektiv gefangen in einer Situation, im Gefängnis tritt dieses Moment des Stücks umso greller hervor. Es gibt begeistert­en Applaus und Bravo-Rufe, ein paar Minuten mit Familie und Freunden noch, dann trennen sich die Wege wieder.

Nächste Vorstellun­gen: 9., 13., 15. und 17. März, Karten über www.gefaengnis­theater.de

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