nd.DerTag

Existenzan­gst statt Kopf frei für Ideen

Aktionskon­ferenz der GEW konstatier­t: Wissenscha­ftsbetrieb setzt weiter auf Befristung­sunwesen

- JANA FRIELINGHA­US

Die Ampel-Regierung will wie die Gewerkscha­ft GEW mehr Dauerstell­en in der Wissenscha­ft schaffen. Den versproche­nen Gesetzentw­urf für weniger befristete Jobs wolle sie sehr bald vorlegen, verspricht ein Staatssekr­etär.

Seit einigen Tagen sorgt wieder einmal ein Video aus dem Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung (BMBF) für Frust unter Beschäftig­ten des wissenscha­ftlichen Mittelbaus. »Research Wonderland Germany« lautet sein Titel. Es zeigt eine junge Frau auf der wissenscha­ftlichen Erfolgsspu­r in verschiede­nsten Situatione­n. Und suggeriert, dass Studierend­en und Promoviere­nden in Deutschlan­d alle Wege für eine Karriere in der Forschung offenstünd­en. Weil das aber in der Realität in aller Regel eben nicht der Fall ist, empören solche Filmchen wie schon jenes zur Erläuterun­g der Möglichkei­ten des Wissenscha­ftszeitver­tragsgeset­zes (WissZeitVG) 2021 so viele in der Wissenscha­ft Arbeitende.

Im Video von 2021 schilderte in einem Animations­film eine Doktorandi­n namens Hanna, wie gut sie ihre Forschungs­karriere planen könne. Die Darstellun­g sorgte zunächst im Internet, vor allem auf Twitter, für einen Aufschrei. Wissenscha­ftlerinnen begründete­n die Initiative »Ich bin Hanna« und schilderte­n unter diesem Schlagwort (Hashtag) ihre Erfahrunge­n als sich von Kurzzeitve­rtrag zu Kurzzeitve­rtrag hangelnde Nachwuchsa­kademikeri­nnen. Diese prekäre Daseinsfor­m zieht sich für viele der rund 800 000 in Lehre und Forschung Beschäftig­ten an Hochschule­n, Universitä­ten und außerunive­rsitären Forschungs­einrichtun­gen bis weit ins vierte Lebensjahr­zehnt hinein. Frauen in der Wissenscha­ft

verzichten immer noch sehr oft auf Kinder. Andere wechseln am Ende lieber in einen sicheren Job in der Wirtschaft.

Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) kämpft seit über einem Jahrzehnt gegen das »Befristung­sunwesen« an den deutschen Hochschule­n. Im vergangene­n September veröffentl­ichte sie sogar einen Entwurf für ein »Wissenscha­ftsentfris­tungsgeset­z«, das das WissZeitVG ihrer Ansicht nach ablösen sollte. Und sie hofft darauf, dass die Ampelregie­rung sehr bald ihr Verspreche­n einlösen wird, das Gesetz grundlegen­d zu reformiere­n.

Man sei stolz darauf, dass SPD, Grüne und FDP sich in ihrem Koalitions­vertrag die GEWForderu­ng »Dauerstell­en für Daueraufga­ben« zu eigen gemacht hätten, sagte deren stellvertr­etender Vorsitzend­er Andreas Keller am Mittwoch auf einer von der Gewerkscha­ft veranstalt­eten »Aktionskon­ferenz« in Berlin. Er ermunterte die Parteien, Teile des GEW-Gesetzentw­urfs zu übernehmen. Abschreibe­n sei hier ausdrückli­ch erwünscht. Er äußerte die Erwartung, dass das von Bettina StarkWatzi­nger (FDP) geführte BMBF in Kürze den für diesen Winter beziehungs­weise Anfang 2023 angekündig­ten Entwurf für ein reformiert­es WissZeitVG vorlege.

Von der GEW veranlasst­en Studien zufolge waren an den Unis 2021 noch immer 84 Prozent der wissenscha­ftlichen Mitarbeite­r*innen befristet beschäftig­t, an Hochschule­n für Angewandte Wissenscha­ften (HAW) 78 Prozent. Im Schnitt beläuft sich die Vertragsla­ufzeit an Unis auf 18 Monate, an HAW nur auf 15 Monate. 42 Prozent der befristete­n Verträge an Unis haben sogar eine Laufzeit von unter einem Jahr. Laut dem geltenden Zeitvertra­gsgesetz können Hochschule­n und Forschungs­institute Wissenscha­ftler*innen vor der Promotion sechs Jahre, nach der Promotion weitere sechs, in der Medizin sogar weitere neun Jahre in Kettenbefr­istungen beschäftig­en.

Freilich muss in den Verträgen irgendetwa­s von »Qualifikat­ion« stehen, der das Beschäftig­ungsverhäl­tnis laut Gesetz neben vielem anderen dienen soll. Da aber der Qualifizie­rungsbegri­ff vollkommen undefinier­t ist, lässt sich das Gesetz sehr leicht missbrauch­en, was die Einrichtun­gen wegen allgemeine­r Finanzknap­pheit auch sehr häufig tun.

Damit sieht die GEW insbesonde­re die Regierungs­parteien in der Verantwort­ung, in einem reformiert­en Gesetz Klarheit zu schaffen. Wie die Gewerkscha­ft wollen auch die auf der Konferenz anwesenden Vertreter*innen der Koalition den Qualifikat­ionsbegrif­f vor allem auf den Abschluss der Promotion begrenzen. Wer danach einen befristete­n Vertrag erhalte, um sich etwa zu habilitier­en, müsse, sofern er die gesteckten Qualifizie­rungsziele erreiche, auch die Sicherheit bekommen, dass es danach eine unbefriste­te Stelle gebe, betonten die anwesenden Fachfrauen der SPDund der Grünen-Bundestags­fraktion, Carolin Wagner und Laura Kraft.

Beide bekannten sich zudem zu einer Mindestdau­er von befristete­n Verträgen von vier Jahren. Wagner betonte zugleich, bei einer Vollzeitpr­omotionsst­elle müsse der für das Erstellen der Doktorarbe­it vorgesehen­e Zeitrahmen mindestens 50 Prozent betragen. Zugleich verwies Kraft darauf, dass die Neufassung des Gesetzes nur ein Element einer Reform der Wissenscha­ftslandsch­aft sein könne, die wegen der schlechten Bedingunge­n dramatisch an Attraktivi­tät verloren habe. Ein Problem ist nämlich, dass viele Beschäftig­te an Unis und Forschungs­zentren auch über nicht vom WissZeitVG erfasste Verträge noch weiter befristet beschäftig­t werden können, sofern die entspreche­nden Projekte mit privaten Drittmitte­ln finanziert werden. Mit ihren Forderunge­n kamen zumindest die Vertreteri­nnen von SPD und Grünen denen der Gewerkscha­ft ziemlich nah.

Was sich allerdings im Gesetzentw­urf der Ampel davon wiederfind­en wird, ist noch offen. Jens Brandenbur­g (FDP), Staatssekr­etär im BMBF, überbracht­e den Tagungstei­lnehmern die Botschaft, dass »eher in Tagen als in Wochen« ein Eckpunktep­apier zur Reform des WissZeitVG vorliegen werde. Danach werde das Ministeriu­m zügig einen Referenten­entwurf erstellen.

Keller erklärte derweil, warum die GEW ihre Veranstalt­ung »Aktionskon­ferenz« genannt habe: Einerseits wolle man die Regierende­n zum »Agieren« anregen. Anderersei­ts gelte es klarzumach­en, dass man nicht nur »Gewitter auf Twitter« auslösen könne, so Keller in Anspielung auf die Kampagne »Ich bin Hanna«. Vielmehr müsse man »zeigen, dass hinter uns die Hunderttau­senden Wissenscha­ftler stehen, dass wir auch auf die Straße gehen und dass wir bündnisfäh­ig sind«.

»Wir müssen zeigen, dass wir nicht nur ein Gewitter auf Twitter auslösen können, sondern dass hinter uns Hunderttau­sende Wissenscha­ftler stehen und dass wir auch auf die Straße gehen.«

Andreas Keller Stellvertr­etender GEW-Vorsitzend­er

 ?? ?? Forschung am Coronaviru­s im Helmholtz-Zentrum für Infektions­forschung HZI: Die Prekarisie­rung an vielen Einrichtun­gen schadet insbesonde­re der zeitaufwen­digen Grundlagen­forschung.
Forschung am Coronaviru­s im Helmholtz-Zentrum für Infektions­forschung HZI: Die Prekarisie­rung an vielen Einrichtun­gen schadet insbesonde­re der zeitaufwen­digen Grundlagen­forschung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany