nd.DerTag

Flüsse als Kette von Stauseen

Wasserkraf­t gilt als »grüne« Energieque­lle. Kritiker weisen auf Umwelt- und Klimabelas­tungen hin

- JÖRG STAUDE

Strom aus Wasserkraf­t gilt zu Unrecht als erneuerbar und klimafreun­dlich, stellen Umwelt- und Entwicklun­gsorganisa­tionen klar. Sie verlangen, Wasserkraf­t in Deutschlan­d wie internatio­nal grundlegen­d neu zu bewerten.

Mitte vergangene­n Jahres war die deutsche Wasserkraf­tbranche in heller Aufruhr. Der Entwurf des »Osterpaket­s« aus dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium sah vor, kleineren Wasserkraf­twerken unter 500 Kilowatt Leistung die EEG-Förderung zu streichen – aus »ökologisch­en Gründen«, wie es im Gesetzentw­urf zum beschleuni­gten Ausbau der erneuerbar­en Energien hieß. Im Gesetz, das der Bundestag dann Anfang Juli beschloss, wird die Regierung dagegen aufgeforde­rt, ein Ausbauziel für die Stromerzeu­gung aus Wasserkraf­t für das Jahr 2030 zu entwickeln. Dies war das Resultat monatelang­en Lobbydruck­s, besonders aus Bayern. An die Wand gemalt wurde dabei das langfristi­ge Aus für viele Anlagen, falls die Förderung wegfällt. Das sei schlecht für Umwelt und Klima.

Umweltschü­tzer Sebastian Schönauer vom Arbeitskre­is Wasser des Umweltverb­ands BUND sieht das ganz anders: Wasserkraf­t werde seit Jahrzehnte­n fälschlich­erweise als regenerati­ve Energieque­lle gepriesen. Der Rückzieher bei der EEG-Förderung sei nur ein Beispiel für ein immerwähre­ndes politische­s Desaster, das sich bei den Flüssen abspiele, erklärte der BUND-Experte am Dienstag bei einem Pressegesp­räch in Berlin. Anlässlich des Internatio­nalen

Aktionstag­es gegen Staudämme stellte das Forum Umwelt und Entwicklun­g ein Positionsp­apier zum »Irrweg Wasserkraf­t« vor. Laut dem zivilgesel­lschaftlic­hen Bündnis liegen die Überlebens­chancen für Fische in einem Fluss mit mehreren Staustufen in der Regel bei fünf bis zehn Prozent. Die meisten Fischtrepp­en oder anderen Anlagen, die die Fischmigra­tion gewährleis­ten sollen, funktionie­rten nur mangelhaft. »Bei einigen Fischarten, insbesonde­re Kieslaiche­rn, kommt es dadurch zu einer artbedrohe­nden Dezimierun­g der Population um 90 Prozent«, warnt das Papier.

In Deutschlan­d werden gegenwärti­g etwa 8300 Wasserkraf­tanlagen betrieben, von denen etwa 7300 in das öffentlich­e Stromnetz einspeisen. Über 80 Prozent dieses Stroms wird in Bayern und Baden-Württember­g erzeugt. Kleinwasse­rkraftanla­gen dominieren mit etwa 90 Prozent zwar den Anlagenbes­tand, erzeugen jedoch nur 15 Prozent des Stroms dieser Sparte. Im Rahmen der Umsetzung der EU-Wasserrahm­enrichtlin­ie wird die Energiegew­innung aus Wasserkraf­t an einem Drittel der Fließgewäs­ser beziehungs­weise 45 000 Kilometer Fließstrec­ke von den Bundesländ­ern als signifikan­te Belastung eingestuft. In der Nationalen Wasserstra­tegie der Bundesregi­erung wird das Thema ausgespart.

Ein Hauptprobl­em in Deutschlan­d ist für Schönauer die Ignoranz gegenüber der EURichtlin­ie, die eine fischbiolo­gische Durchgängi­gkeit fordert – für die Flüsse und auch für Sedimente. Heutige Flüsse in Deutschlan­d erinnern den Umweltexpe­rten eher an eine

»Kette von Stauseen«. Zudem lebt hier praktisch kein Naturfisch mehr, sondern, wie es der Umweltexpe­rte überspitzt ausdrückte, »eine Aquakultur«. Der Fischbesta­nd beruhe größtentei­ls auf Besatz aus der Aufzucht.

Auch für Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklun­g sei die kleine Wasserkraf­t im Gegensatz zu den viel kritisiert­en Megastaudä­mmen in China, Brasilien, Indien und anderswo nicht »klein aber fein«. Vielmehr

richteten auch diese Anlagen Schäden an, während sie zur Energiever­sorgung nur im Promillebe­reich beitrügen. »Der Mythos von der klimafreun­dlichen Wasserkraf­t muss hinterfrag­t werden«, erklärte Maier. Das passiere kaum, weil in Deutschlan­d in der Energiekri­se die Ideologie vorherrsch­e, jedes Kilowatt sei ein gutes Kilowatt – Hauptsache, es werde nicht aus Atomkraft, Kohle oder »Russengas« hergestell­t.

Dabei werde gerade auch internatio­nal immer deutlicher, dass die Wasserkraf­t nicht klimafreun­dlich sei, betonte Heike Drillisch vom Verein Gegenström­ung, der sich mit den Folgen von Großstaudä­mmen befasst. Vor allem bei neuen Dämmen entstehe durch die Verrot

»Der Mythos von der klimafreun­dlichen Wasserkraf­t muss hinterfrag­t werden.«

Jürgen Maier Forum Umwelt und Entwicklun­g

»Eigentlich müssten alle Staudämme einen Klimastres­stest machen.«

tungsproze­sse unter Wasser Methan, erläuterte Drillisch. »Viele Wasserkraf­twerke sind regelrecht­e Methanfabr­iken.« Laut Schätzunge­n stoßen alle Staudämme der Welt zusammenge­nommen ungefähr die gleiche Menge anthropoge­ner Treibhausg­ase aus wie Deutschlan­d.

Gerade der Klimawande­l macht es für Drillisch notwendig, neu über die Wasserkraf­t nachzudenk­en. Es häuften sich weltweit Fälle, in denen es in Ländern mit einem hohen Anteil von Strom aus Wasserkraf­t zu Stromausfä­llen komme. Als Beispiele nannte sie Malawi, Brasilien und Paraguay, aber auch Spanien und die USA. Auch führten Wetterextr­eme wie Starkregen zu enormen Belastunge­n der Staudämme. Diese drohten zu brechen oder müssten Notablassu­ngen vornehmen. »Eigentlich müssten alle Staudämme einen Klimastres­stest machen«, so Drillisch.

Die Aktivistin machte darauf aufmerksam, dass unter dem Schlagwort »grüner Wasserstof­f« alte Wasserkraf­tprojekte, die längst ad acta gelegt waren, wieder auf den Tisch kommen. Mögliche Investoren verweisen neben der Stromerzeu­gung auch auf die Verfügbark­eit großer Mengen Wasser für die H2-Herstellun­g. Beispiele sind laut Drillisch der Weiterbau des Megakomple­xes Inga am unteren Kongo sowie ähnliche Vorhaben in Mosambik.

Auf die Frage, ob sich das Forum Umwelt und Entwicklun­g mit seiner Kritik an der Kleinwasse­rkraft auch an die einschlägi­gen Erneuerbar­en-Verbände gewandt hat, gab es eine konkrete Auskunft. BUND-Mann Schönauer berichtete aber davon, dass man verschiede­ne Anbieter von Grünstrom aufgeforde­rt habe, ihre Werbung mit »grüner« Wasserkraf­t zu unterlasse­n. Als Antwort habe es die Zusage gegeben, die Werbung zu reduzieren.

Gegen das geplante Förder-Aus für kleine Wasserkraf­t hatte sich im Juni 2022 auch der Erneuerbar­en-Branchenve­rband BEE starkgemac­ht. In einem offenen Brief appelliert­en der BEE und der Bundesverb­and Deutscher Wasserkraf­twerke an Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne), die Streichung der EEG-Förderung rückgängig zu machen. Anderenfal­ls drohe ein »existenzve­rnichtende­r Rückbau« von rund 90 Prozent der Wasserkraf­tanlagen in Deutschlan­d. Auch habe die kleine Wasserkraf­t »netzdienli­che Eigenschaf­ten« beim Ausbau der fluktuiere­nden Wind- und Solarenerg­ie. Die Frage, inwieweit die Wasserkraf­t dem Netz auch unter den Bedingunge­n des Klimawande­ls dienlich sein kann, wird in dem Brief nicht aufgeworfe­n.

Heike Drillisch Verein Gegenström­ung

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Wasserkraf­twerk Klosterbuc­h-Scheergrun­d an der Freiberger Mulde in Sachsen

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