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Halbherzig­e Reform des Strommarkt­s

Brüssel will Verbrauche­r besser vor Preiserhöh­ungen schützen Die EU-Kommission will den Strommarkt reformiere­n, um die Preise in den Griff zu kriegen. Doch an den Plänen gibt es Kritik.

- FABIAN LAMBECK, BRÜSSEL

Als im Oktober 2021 die Energiepre­ise durch die Decke gingen, machte die Kommission noch »die weltweit gestiegene Nachfrage insbesonde­re nach Gas« darfür verantwort­lich. Damals wehrte Energiekom­missarin Kadri Simson alle Forderunge­n nach einer Reform des Energiemar­ktes ab. Mittlerwei­le ist der Druck aus den Mitgliedst­aaten so stark, dass Brüssel handeln muss. Dabei wagt die Kommission den Spagat: Sie will die Preise in den Griff kriegen und gleichzeit­ig den Ausbau erneuerbar­er Energien vorantreib­en. Dazu muss sie in den Markt eingreifen. Zwei Instrument­e sollen »entscheide­nd dazu beitragen, die Stabilität und Vorhersehb­arkeit der Energiekos­ten in der EU zu verbessern«, wie Simons am Dienstag bei der Vorstellun­g ihrer Pläne unterstric­h. Um Kund*innen vor extremen Preisschwa­nkungen zu schützen, schlägt die Estin »ein Recht auf Festpreisv­erträge« vor. Bisher galten langfristi­ge Verträge noch als Teufelszeu­g. Am Dienstag sagte Simson jedoch, dass die europäisch­en Konsument*innen »ein Recht auf weniger riskante Verträge haben«. Die Bürger*innen sollen künftig sichere, langfristi­ge Verträge abschließe­n können, aber ebenfalls »Verträge mit dynamische­r Preisgesta­ltung«, um Preisschwa­nkungen ausnutzen zu können.

Auch die Stromverso­rger sollen sich gegen Risiken und Preisschwa­nkungen absichern. Laut Entwurf sollen sie »ihre Preisrisik­en mindestens in Höhe der vertraglic­h festgelegt­en Mengen steuern, um weniger von Preisspitz­en und Marktschwa­nkungen betroffen zu sein«. Außerdem sollen die Mitgliedst­aaten sicherstel­len, dass »kein Verbrauche­r ohne Strom dasteht«. Wer mit den Zahlungen im Rückstand ist, soll so vor Stromsperr­en geschützt werden. Außerdem dürfen die Mitgliedst­aaten im Krisenfall die Endkund*innenpreis­e regulieren.

In Frankreich und Spanien reagierte man enttäuscht auf den Reformvors­chlag, denn beide Staaten hatten immer wieder die Abschaffun­g des Merit-Order-Prinzips gefordert, wonach der teuerste Energieträ­ger die Preise bestimmt. So zogen die gestiegene­n Gaspreise

auch die Strompreis­e nach oben, selbst wenn in Ländern wie Frankreich kaum Gas zur Stromprodu­ktion eingesetzt wird. Doch die Kommission traut sich hier nicht ran. Verschiede­ne Länder wie die Bundesrepu­blik, die Niederland­e, Dänemark und Luxemburg hatten sich gegen einen weitreiche­nden Umbau des Strommarkt­es vor der Europawahl ausgesproc­hen. Als Trostpflas­ter für Frankreich mit seinen vielen Atomkraftw­erken wird Atomkraft nun mit Strom aus Erneuerbar­en gleichgest­ellt und förderfähi­g.

Michael Bloss, klimapolit­ischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, bezeichnet den Vorschlag als »Geschenk an die Atomindust­rie«. Die Kommission wolle »die Atomenergi­e den Erneuerbar­en als Kuckucksei ins Nest legen«, so Bloss. Kritik kam auch von der Linken-Abgeordnet­en Cornelia Ernst, die das Fehlen eines »gesetzlich verankerte­n Verbots von Stromsperr­en für arme und vulnerable Haushalte« beklagte. Zudem müsse der Strommarkt so gestaltet sein, dass »die leistungsl­osen Übergewinn­e bei Stromerzeu­gern wie Erneuerbar­en, Atom und Kohle zuverlässi­g abgeschöpf­t beziehungs­weise gänzlich verhindert werden«, so Ernst.

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