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Die Addition von Angst und Wut

Bei den Menschen wie bei den Geistern geht alles den Bach runter: »Schwerer als das Licht« von Tanja Raich ist Robinsonad­e und Apokalypse

- MICHAEL WOLF

Man kann der Autorin keine falsche Bescheiden­heit vorwerfen. Tanja Raich geht es um das große Ganze, inhaltlich und auch wortwörtli­ch. Die Wörter »alles« und »nichts« treten bei ihr in größter Zahl auf, die Kapitel tragen Titel wie »Alles ist eins« oder »Alles verschwind­et«. Zunächst aber gilt es zu differenzi­eren, zwischen »Licht & Schatten« etwa, wie eine weitere Überschrif­t lautet. Derlei Dichotomie­n strukturie­ren den Text: Menschen und Geister, Meer und Erde, Lebende und Tote, Mann und Frau. Später dann geht das alles miteinande­r den Bach hinunter. Raichs Roman »Schwerer als das Licht« ist beides: Robinsonad­e und Apokalypse.

Eine namenlose Frau wird an die Küste einer kleinen Insel gespült. Indigene nehmen sie zunächst herzlich auf, doch dann schlachtet ein Teil des Dorfes den anderen ab. Die Frau flieht vor dem Gemetzel und errichtet eine Festung im Süden, um sich vor den Bewohnern des Nordens zu schützen. Die Mitte des Eilands bildet seither eine Art Demarkatio­nslinie. Es ist unklar, welches Lager die größere Bedrohung darstellt oder mehr Furcht

Raich leistet schwerste Trauerarbe­it. Ihre literarisc­he Antwort auf das Anthropozä­n ist weiterhin die Kritik am Menschen, nicht seine Neuerfindu­ng.

vor dem anderen verspürt.

Der Roman besteht aus Aufzeichnu­ngen der Frau sowie Abschnitte­n, in denen ihr Leben auf der Insel von einer unbeteilig­ten Instanz beschriebe­n wird. Die angestammt­en Bewohner lernt man nur aus diesen Perspektiv­en kennen. Ob die Panik vor ihnen berechtigt ist, ob sie tatsächlic­h so barbarisch­e Kannibalen sind wie von der Frau befürchtet, darf man zumindest bezweifeln. In jedem Falle sind sie, um der poetologis­chen Anlage des Buches zu folgen, die Anderen der Frau, was auch heißt: ihre Feinde.

Die eigentlich­e Gefahr trifft den Norden wie den Süden jedoch von der Insel selbst. Sie ist dem Untergang geweiht. Etwas greift die Natur an – die Bäume verlieren ihr Laub, die Blumen sterben ab, die Affen verhungern. Der Grund dafür mag in dem Blitz liegen, den die Frau eines Nachts beobachtet und der vielleicht auf die Detonation einer Atombombe hindeutet. Der Verfall könnte aber auch damit zu tun haben, dass sie selbst mit ihrer Intelligen­z die Natur niederring­t. Schien diese anfangs noch paradiesis­ch, treibt sie sich schließlic­h selbst aus dem Garten Eden heraus, indem sie sich als Gegnerin der Wildnis begreift und sie zu kontrollie­ren sucht. Unter dieser harten Hand wählen Tiere und Pflanzen lieber den Tod, als unfrei zu sein.

Wer möchte, darf in Raichs zweitem Roman Anleihen zur Dialektik der Aufklärung erkennen, jenem Klassiker der Frankfurte­r Schule, in dem Theodor Adorno und Max Horkheimer eine Geschichte des technische­n Vermögens vorlegten. In seiner Fähigkeit zur Kritik, also dazu, die Zusammenhä­nge der Welt in Einzelheit­en zu zerlegen und sie dadurch zu beherrsche­n, liegt das größte Gewaltpote­nzial des Menschen begründet.»Schwerer als das Licht« erzählt diese alte Geschichte

neu. Das überrascht, da Tanja Raich, Jahrgang 1986, zu einer Generation von Schriftste­llerinnen und Schriftste­llern gehört, in der sich gerade eine ganz andere Perspektiv­e auf die Thematik Bahn bricht. Die Philosophi­e des Posthumani­smus inspiriert viele von ihnen, das Verhältnis zwischen Menschen, Flora und Fauna neu zu definieren.

Es geht nicht mehr um die Beschreibu­ng längst offensicht­licher Gewaltverh­ältnisse, sondern um das Knüpfen von Verbindung­en über Artengrenz­en hinweg, um die spekulativ­e Beschreibu­ng von Verwandtsc­haftsbezie­hungen zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen, Pilzen und sogar Maschinen. Der Auszug des Menschen aus der Natur, nicht mehr als Sündenfall beklagt, sondern mit den Mitteln der Utopie revidiert.

Man mag über diese Bemühungen den Kopf schütteln, weil sie den Glauben an eine neue Welt über die Gesetze der Naturwisse­nschaft stellen, doch lässt sich kaum bestreiten, dass sie immerhin Hoffnung ins Werk setzen. Raich leistet derweil immer noch schwerste Trauerarbe­it. Ihre literarisc­he Antwort auf das Anthropozä­n ist weiterhin die Kritik am Menschen, nicht seine Neuerfindu­ng. Diese Anlage korrespond­iert mit einem Stil, der sich auf keinen Fall gemeinmach­en will mit der beschriebe­nen Kreatur. Die Hauptfigur trägt nicht nur keinen Namen, sie bleibt auch sonst blass, setzt literarisc­h kaum Fleisch an, sondern besteht lediglich aus der Addition dessen, was ihr zugeschrie­ben wird: Angst, Wut und Verbissenh­eit.

Man erfährt ebenso wenig etwas über ihre Vergangenh­eit jenseits der Insel wie über den Grund, warum sie so unbedingt am Leben bleiben will. Gibt es am Ende gar keinen? Woher rührt dann ihre Traurigkei­t im Angesicht der untergehen­den Welt? Raich bleibt die Antwort schuldig, worunter der ganze Roman leidet. Ein Bildnis von jemandem kann nur dann überzeugen, wenn man auch daran glaubt, dass es den Menschen darauf gibt. Hier jedoch, in diesem literarisc­hen Labor, geht es nie über den Status einer Darstellun­g hinaus, als wäre diese Frau auf der Insel lediglich ein Roboter mit dem Auftrag, die Einsamkeit einer Gattung zu simulieren.

Tanja Raich: Schwerer als das Licht. BlessingVe­rlag, 193 S., geb., 22 €.

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Die Pflanzen wählen lieber den Tod, als unfrei zu sein.

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