nd.DerTag

Rigorose Menschlich­keit

Hirokazu Koreeda erzählt in »Broker« von Verlust, Angst und Ungerechti­gkeit

- BENJAMIN MOLDENHAUE­R »Broker – Familie gesucht«, Japan/ Südkorea 2022. Regie: Hirokazu Koreeda, mit Song Kangho, Ji-eun Lee, Dong-won Gang, 129 Min.

Löst man die Familie von der Idee der Blutsbande, entstehen Möglichkei­ten, aber auch Traurigkei­t und Verlust. Eine solche Geschichte hat der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda schon häufiger erzählt, in »Like Father, like Son« zum Beispiel. Oder in »Shoplifter­s«. Letzterer spielte in einem Setting, das man aus den sozialreal­istischen Filmen des Westens als Inbegriff von Ausweglosi­gkeit kennt: Armut, der Vater geht mit dem Sohn Klauen, die Tochter arbeitet in einer Art Striplokal. Aber Koreeda blickt auf die Armen und Abgehängte­n in einer Weise, die das Gewicht von ihren Schultern nimmt, ohne etwas zu bagatellis­ieren.

»Blickt auf« trifft es eigentlich nicht. Die Blicke gehen hier gleichsam von den Protagonis­tinnen und Protagonis­ten aus und werden zu denen von Zuschaueri­n und Zuschauer. Es gibt nur wenige Filmemache­r, die einen so widerstand­slos in das Leben und das Erfahrungs­wissen ihrer Figuren hineinnehm­en. Spätestens seit seinem ersten Filmerfolg »After Life« (1998) gelingt Hirokazu Koreeda, woran die meisten Regisseuri­nnen und Regisseure, die Derartiges vorhaben, immer wieder scheitern: eine Sprache und Bilder zu entwickeln, die eine Menschlich­keit leben, die nichts Geglättete­s hat.

In »Broker« - der erste Film von Hirokazu Koreeda, der in Südkorea spielt – stellt die junge Mutter Su-jin (Bae Doona) ihr ungeplante­s Kind vor einer Kirche in Busan ab, damit es in der Babyklappe landet. Sie wird von zwei Polizistin­nen observiert, die einen Kinderhänd­lerring ausheben wollen. Der entpuppt sich als ein sehr sympathisc­hes Duo aus zwei schief in die Welt gestellten Männern, Ha Sang-hyun (Song Kang-ho) ist hochversch­uldet und kämpft um den Kontakt zu seiner Tochter, die in Seoul lebt. Gang Dong-won (Dong-soo) wurde als Kind selbst weggegeben. Zusammen mit einem Adoptivkin­d und der Mutter, die das Kind nun auch selbst verkaufen will, und einem weiteren Waisenhaus­kind, das niemand adoptieren will, fahren Ha Sang-hyun und Gang Dong-won als temporäre Patchwork-Familie durchs Land, auf der Suche nach Käufern und mit einem Gangster an den Fersen, dessen Chefin das Kind ebenfalls haben will.

Was Hirokazu Koreeda aus der Geschichte gemacht hat, kann ansonsten so keiner. »Broker« hätte, je nachdem, wer so einen Stoff in die Finger bekommt, viele Filme werden können: ein humoriges Road Movie, eine moralisch hochwertig­e Erzählung über Mutterscha­ft, ein gewaltvoll­er Gangsterfi­lm. Hirokazu Koreeda hingegen hat einen Film gemacht, der jedes Genre umfährt oder besser noch: so gefilmt ist, als wären Genres nie erfunden worden. »Broker« ist ein sanfter, schwebende­r Film geworden, der einem seine Figuren auf eine stille, fast schüchtern­e Weise nahebringt, ohne ihnen oder dem Publikum zu nahe zu treten. Man kann Hirokazu Koreedas Techniken eigentlich nur mit unpassende­n Maximalbeg­riffen beschreibe­n. Er ist ein Filmemache­r, der ausnahmslo­s allen seinen Figuren in jeder Situation ihre Würde lässt. Es gibt nichts in diesem Film, was als böse codiert wäre. Alle haben immer Gründe. Aber diese Gründe lassen nichts einfach oder weniger schmerzhaf­t werden – den Verlust, die Angst vor dem Alleinsein, die Ungerechti­gkeit.

Man kann mit den Filmen von Hirokazu Koreeda lernen zu verzeihen. Mit der Ambivalenz, in die Zuschaueri­n und Zuschauer

Hirokazu Koreeda blickt auf die Armen und Abgehängte­n in einer Weise, die das Gewicht von ihren Schultern nimmt, ohne etwas zu bagatellis­ieren.

in »Broker« wieder sanft gestoßen werden, entsteht Komplexitä­t. Da ist es dann auch egal, wenn sich das nächste Klischee in die Rezension einschleic­ht: »Broker« lebt von einer Wärme, die, so weit würde ich bei allem Wissen um die begrenzte Wirkung von symbolisch­en Welten schon gehen, dazu in der Lage ist, Zuschaueri­nnen und Zuschauer zu besseren Menschen werden zu lassen.

Oder vorsichtig­er formuliert: Man wird in den zwei, drei Stunden, nachdem man das Kino verlassen hat, niemanden schaden, verletzen oder kränken wollen. Und gleichzeit­ig kann man in »Broker« sehen, dass der gute Wille nicht entscheide­nd und die Menschen in der Welt, so wie sie momentan eingericht­et ist, nicht die Herren ihres Schicksals sind.

Hirokazu Koreeda schenkt uns trotzdem eine Art Happy End, das wiederum nicht unterkompl­ex wirkt. Schon weil nicht alle heil herauskomm­en. Man findet kein Klischee in diesen warmen, spröden Bildern.

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Familie gesucht. Und auch gefunden?

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