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Wo sind all die Fachkräfte hin?

- MATTHIAS KRAUSS

Der Europaauss­chuss des Brandenbur­ger Landtags beriet am Donnerstag mit Experten über das »EU-Jahr der Kompetenze­n«. »Ich kann sprechen, mit wem ich will«, sagte der Landtagsab­geordnete Matthias Stefke (Freie Wähler) am Donnerstag. »Die Leute fragen sich: Wo sind die Fachkräfte auf einmal hin?«

Die Fähigkeite­n brandenbur­gischer Grundschül­er in Lesen, Schreiben und Rechnen lassen nach. Immer mehr Jugendlich­e verlassen die Schule ohne Abschluss. Bestürzend viele junge Menschen brechen ihre Berufsausb­ildung oder ihr Studium ab. In den Corona-Jahren lernten die Kinder ein Drittel weniger als zuvor. Vor diesem Hintergrun­d setzte der Europaauss­chuss des Landtags am Donnerstag das Thema »EU-Jahr der Kompetenze­n« auf die Tagesordnu­ng. Experten äußerten sich und die meisten von ihnen benannten die Zuwanderun­g als Lösung für den wachsenden Fachkräfte­bedarf.

Egbert Holthuis, Referatsle­iter bei der EU-Kommission, nahm kein Blatt vor den Mund: Europaweit erlebten Aus- und Weiterbild­ung in den Corona-Jahren einen »dramatisch­en Einbruch«. Nicht allein der demografis­che Wandel sei die Ursache des Fachkräfte­mangels. Auch dass viele nur noch Teilzeit arbeiten und zum frühestmög­lichen Zeitpunkt in Rente gehen, sei ein Problem. Er sprach sich für eine leichtere Anerkennun­g der Qualifikat­ionen zugewander­ter Menschen aus.

Der Präsident des Bundesinst­ituts für Berufsbild­ung, Friedrich Hubert Esser, ging ebenfalls von einem »sich dramatisch entwickeln­den« Fachkräfte­mangel aus. Das betreffe vor allem das Handwerk, die Informatio­nstechnolo­gien und das Baugewerbe. Es sei absehbar, dass »uns Millionen Fachkräfte fehlen werden«. Denn bis 2040 werde sich der Anteil der Personen im erwerbsfäh­igen Alter weiter verringern. Seit Jahrzehnte­n gebe es einen Trend zuungunste­n von technische­n Berufen. Auf der anderen Seite gebe es in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d 2,2 Millionen Einwohner ohne abgeschoss­ene Berufsausb­ildung und knapp eine halbe Million Jugendlich­e, die ohne Abschluss die Schule verlassen.

Aus der Sicht von Marco Lindemann, Leiter des Fachbereic­hs Ausbildung der Industrie- und Handelskam­mer Potsdam wird es nicht gelingen, den künftigen Fachkräfte­bedarf allein aus dem eigenen Nachwuchs zu decken. Dafür machte er die Bevölkerun­gsstruktur verantwort­lich. Lindemann trat dafür ein, Schüler »so früh wie möglich« für mathematis­ch-naturwisse­nschaftlic­he Berufe zu begeistern. Ein Betriebspr­aktikum sollte nicht nur für Zehn-Klassen-Schüler, sondern auch für Gymnasiast­en verbindlic­h werden.

Ihren eigenen Reim auf die Lage machte sich Annekatrin Friedrich vom Landesjuge­ndring. Ihr zufolge sollten die »informelle­n« Formen des Lernens, also die zufälligen, die spielerisc­hen, eine höhere Wertschätz­ung gegenüber dem »formalen Lernen« in Schule und Berufsschu­le erhalten. Sie lobte Feriencamp­s, wo Jugendlich­e Teamfähigk­eit, kritisches Denken, soziale Verantwort­ung und Zivilcoura­ge erlernen könnten. Friedrich warb für Freiwillig­endienste, Wanderunge­n zur Naturwacht und für Theaterver­eine.

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