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Öl-Boom mit Jugendarbe­itslosigke­it

Kaum ein Staat weltweit verzeichne­te 2022 eine derart hohe Wachstumsr­ate wie der Irak – und ist derart abhängig von nur einem Produkt 20 Jahre nach dem Einmarsch der USA hängt die irakische Wirtschaft mehr denn je von Öleinnahme­n ab. Die vielen benötigten

- HERMANNUS PFEIFFER

Der Irak gehört zu den am stärksten von Öleinnahme­n abhängigen Ländern auf der Erde. Im Jahr 2022 entfielen nach Angaben des irakischen Planungsmi­nisteriums sage und schreibe 57 Prozent der Wirtschaft­sleistung von umgerechne­t 266 Milliarden Euro allein auf die Ölindustri­e. Mit einem Anteil an der weltweiten Produktion von 4,5 Prozent nahm der Irak im vergangene­n Jahr Platz fünf unter den Förderländ­ern ein. Die Kapazität soll nach dem Willen der Regierung in Bagdad in den kommenden Jahren noch deutlich weiter ausgebaut werden.

Allerdings ist Öl für die rund 45 Millionen Iraker Fluch und Segen zugleich. Kaum ein Staat weltweit verzeichne­te im vergangene­n

Jahr derart hohe Wachstumsr­aten. Auf 9,3 Prozent schätzt der Internatio­nale Währungsfo­nds das reale Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP). Der mit Abstand wichtigste Grund sind die krisen- und kriegsbedi­ngt massiv angestiege­nen Weltmarktp­reise für Erdöl. Hier fangen dann aber auch die aktuellen Probleme an: Der Preis für Öl fällt wieder. Für 2023 wird daher nur noch eine BIP-Wachstumsr­ate von etwa 4 Prozent prognostiz­iert.

Ein Fluch, der ebenfalls typischerw­eise mit Ölreichtum verbunden ist, heißt Korruption. Sie spielt eine gewichtige Rolle bei Geschäftsa­bschlüssen, in der medizinisc­hen Versorgung oder der Jobsuche. Im globalen »Corruption Perception­s Index« von Transparen­cy Internatio­nal liegt der Irak auf Platz 157 von 180 Ländern. Was wiederum Investitio­nen aus dem Ausland in Infrastruk­tur, Fabriken und regenerati­ve Energien, auf die das Land eigentlich dringend angewiesen wäre, behindert, ja oft verhindert.

Die Probleme spiegeln sich auch in der Außenwirts­chaftsbila­nz mit Deutschlan­d wider. Im ersten Halbjahr 2022, neuere Zahlen liegen nicht vor, wurden zwar Waren im Rekordwert von 852,9 Millionen Euro (+181,5 Prozent) aus dem Irak in die Bundesrepu­blik eingeführt. Doch damit liegt das Land bei deutschen Einfuhren auf Rang 67. Bei deutschen Ausfuhren reicht es sogar nur für Platz 70.

Schaut man sich die deutschen Einfuhrgüt­er genauer an, wird das Bild nicht schöner: Die Statistik weist einen Anteil des Erdöls von sagenhafte­n 99,2 Prozent aus. Für die deutsche Wirtschaft rangiert der Irak daher auch bei den Investitio­nen weiterhin unter ferner liefen. Die deutschen Direktinve­stitionen zwischen Euphrat und Tigris werden in Millionen, nicht wie in anderen Ländern in Milliarden Euro gerechnet.

Auf ein weiteres Problem weist der Versichere­r Euler Hermes in Hamburg hin, der für Unternehme­n Länderrisi­ken absichert. Er führt den Irak in seiner höchsten, also riskantest­en Kategorie 7 – gleichauf mit Afghanista­n oder Russland.

Die Wunden des völkerrech­tswidrigen Einmarsche­s der Vereinigte­n Staaten und ihrer »Koalition der Willigen« am 20. März 2003 und der folgenden achtjährig­en Besatzung scheinen längst nicht überwunden. Die unsichere innenpolit­ische Lage hat auch die unternehme­rischen Aktivitäte­n gehemmt, auf dem Basar wie in der Ölindustri­e. Eingeklemm­t zwischen kriselnden Nachbarlän­dern wie Iran und Syrien bremsen zudem Drogenprob­leme und Schmuggel die legale Wirtschaft.

Die hohen Öleinnahme­n geben der neuen Regierung unter Ministerpr­äsident Mohammed Al-Sudani 2023 wenigstens finanziell­en Spielraum für künftige ökonomisch­e Reformen. So will er fünf Millionen Bäume und Palmen pflanzen lassen, um der Wüstenbild­ung

infolge des Klimawande­ls entgegenzu­wirken. Nach einem Jahr voller Unruhen und Machtkämpf­e signalisie­rte die Wahl Al-Sudanis im Oktober 2022 »eine politische Stabilisie­rung«, zeigt sich die deutsche Außenhande­lsorganisa­tion GTAI optimistis­ch. Die Regierung werde von einer vergleichs­weise breiten Koalition getragen.

Eine verantwort­lich handelnde Regierung wäre auch im Kampf gegen die grassieren­de Arbeitslos­igkeit gefragt. Offiziell beträgt sie rund 15 Prozent. Es sind vor allem junge Menschen, die auf den sogenannte­n Arbeitsmar­kt drängen. Zwei von drei Irakern sind jünger als 25 Jahre, die allermeist­en davon sind noch Kinder. Wie vergleichb­are Entwicklun­gsländer müsste das Land zwischen Euphrat und Tigris in den kommenden Jahren Millionen neuer Jobs schaffen – ein eigentlich hoffnungsl­oses Unterfange­n. Dem Öl-Rausch könnte bald ein heftiger Kater folgen.

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