nd.DerTag

Bombenbast­ler mit Umsturzplä­nen

Prozess gegen mutmaßlich­en Rechtsterr­oristen Marvin E. fortgesetz­t

- JOACHIM F. TORNAU, FRANKFURT AM MAIN

In Frankfurt am Main wird seit sieben Monaten gegen ein Ex-CDU-Mitglied unter anderem wegen der Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat verhandelt.

Erst ist ein gleißend heller Lichtschei­n zu sehen, dann folgen ein orangefarb­ener Feuerball und eine mächtige Rauchwolke, Splitter fliegen durch die Luft. Es sieht nach Krieg aus, was in Zeitlupe über die Bildschirm­e im Gerichtsaa­l flimmert. So hatte sich das Marvin E., das darf man nach mehr als 30 Verhandlun­gstagen vor dem Frankfurte­r Oberlandes­gericht sagen, wohl vorgestell­t. Der 21-Jährige aus dem nordhessis­chen Spangenber­g war Fan der »Atomwaffen Division« (AWD). Die neonazisti­sche Terrortrup­pe stammt aus den USA, hat aber Anhänger in aller Welt, die einen Bürgerkrie­g herbeibomb­en wollen.

Marvin E. soll versucht haben, einen hessischen Ableger der rechten Untergrund­armee ins Leben zu rufen. Und: Er baute Bomben. Die Bundesanwa­ltschaft legt dem Schreinerl­ehrling die versuchte Gründung einer terroristi­schen Vereinigun­g und die Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat zur Last. Seit mehr als sieben Monaten wird gegen ihn vor dem Staatsschu­tzsenat in Frankfurt verhandelt. Die Bemühungen des Angeklagte­n um eine Karriere als hessischer AWD-Führer waren indes eher dilettanti­sch: Viel mehr als großsprech­erische Chats und das liebevolle Sticken von Abzeichen scheint E. in dieser Richtung nicht zustande gebracht zu haben. Von Sprengsätz­en verstand der junge Mann, der vor zwei Jahren noch für die CDU seines Heimatorts zur Kommunalwa­hl kandidiert hatte, offenbar umso mehr.

»Ich würde sagen: Da hat sich jemand Gedanken gemacht, wie so was herzustell­en ist, und kann das auch«, befindet am Freitag der oberste Bombenents­chärfer des hessischen Landeskrim­inalamts. Seine Kollegen vom Bundeskrim­inalamt haben die sechs größten von Marvin E. gebauten Sprengkörp­er nachgebaut und kontrollie­rt zur Explosion gebracht, um die Wirkung zu messen. Das Video, das im Gerichtssa­al abgespielt wird, ist bei diesen Versuchen entstanden. Was da in die Luft fliegt, sind 360 Gramm Schwefel-Magnesium-Mischung, verpackt in eine 25 Zentimeter lange Pappröhre. Dieser Sprengsatz gilt den Sachverstä­ndigen noch als vergleichs­weise harmloser »pyrotechni­scher Gegenstand«.

Buchstäbli­ch fatale Folgen dagegen hätte es haben können, wenn Marvin E. seine »unkonventi­onellen Spreng- und Brandvorri­chtungen« zum Einsatz gebracht hätte. So nennen die Sprengstof­fexperten die Bomben, bei denen Marvin E. den explosiven Kern auch noch mit acht Millimeter dicken Stahlkugel­n als »Splitterla­dung« ummantelt hatte. Beim größten seiner Sprengsätz­e waren das mehr als zwei Kilogramm Kugeln, die sich in tödliche Geschosse hätten verwandeln können. Noch in zwei Metern Entfernung, erklärt der Kölner Rechtsmedi­ziner Markus Rothschild, wäre ihre Wucht um ein Vielfaches größer gewesen, als nötig sei, um Knochen zu durchschla­gen. »Wenn eine Kugel den Kopf träfe, wäre das wie ein Kopfschuss. Mit entspreche­nden Folgen.« Aber auch bei Treffern am Oberkörper hätten lebenswich­tige Organe verletzt werden können.

Marvin E. hat sich offen dazu bekannt, der Ideologie der AWD angehangen zu haben. Er schaute sich Videos von Amokläufen und rechten Anschlägen an, malte sich aus, wie er selbst eine Schule angreifen könnte – oder auch den Bundestag. Ein »politische­s Zeichen« habe er setzen und so viele »Feinde« wie möglich töten wollen, sagte er: »Alles, was so Juden, Schwarze, Ausländer sind. Vielleicht auch aus dem linken Spektrum.«

Aber, so beteuerte er, das seien bloß Gedankensp­iele gewesen. Seine Bomben habe er auch nicht für einen konkreten Anschlag gebaut, sondern »auf Vorrat«, für den Tag, an dem der von der AWD ersehnte Bürgerkrie­g losbrechen würde. Heute, sagte E., schäme er sich für das alles. Mit Hilfe des hessischen Aussteiger­programms Ikarus will er den Absprung schaffen. Doch selbst vor Gericht lässt der 21-Jährige seine rassistisc­hen und vor allem antisemiti­schen Ressentime­nts immer wieder durchschei­nen. Für den Prozess sind noch Termine bis zum 8. Mai angesetzt.

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