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Polens MiGs und Pekings Pläne

Warschau will nicht auf deutsche Zustimmung zu Kampfjetli­eferungen warten, dabei ist deren militärisc­her Wert umstritten

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Polen und die Slowakei bildeten eine »Staatengem­einschaft« neben der Nato, um der Ukraine Kampfjets zu übergeben. In Moskau spricht man dennoch von Eskalation. Zugleich bereitet man sich auf den Empfang von Chinas Staatschef vor. RENÉ HEILIG

Polens Präsident Andrzej Duda verkündete am Donnerstag, man werde »in den kommenden Tagen« vier voll einsatzber­eite Flugzeuge in die Ukraine überführen. Unmittelba­r danach versprach der slowakisch­e Premiermin­ister Eduard Heger zehn MiG29 sowie drei antriebslo­se Maschinen zum Ausschlach­ten samt weiterer Ersatzteil­e und Munition. Für Kremlsprec­her Dmitri Peskow war die abgestimmt­e Aktion »nur ein weiteres Beispiel dafür, wie eine ganze Reihe von Nato-Mitgliedsl­ändern ihre direkte Beteiligun­g am Konflikt erhöhen«. Er verurteilt­e die Lieferung als »Eskalation«, die dem ukrainisch­en Volk zusätzlich­e Not beschere, und selbstrede­nd unterliege »diese Technik der Vernichtun­g«.

Deutschlan­d müsste sein Okay geben

Der MiG-Deal wirft Fragen auf. Polens Premier Mateusz Morawiecki hatte im Februar bei der Münchner Sicherheit­skonferenz eine Nato-Entscheidu­ng als Voraussetz­ung für die Lieferung von Kampfjets genannt. Die gibt es nun nicht, die Regierung in Warschau begnügte sich mit einer multinatio­nalen Liefergeme­inschaft, an der Deutschlan­d nicht teilhat. Obgleich Duda abermals versuchte, Kanzler Olaf Scholz vorzuführe­n. Er sagte, man habe »noch ein Dutzend MiGs« herumstehe­n, die Polen für einen symbolisch­en Euro von Deutschlan­d übernommen hat. Die Jets waren einst bei der NVA, dann für die Bundeswehr geflogen. Laut polnischer Luftwaffe sind von den damals 23 Stück noch zehn einsatzber­eit. Die Weitergabe dieser MiGs ist – ähnlich wie der Export der aus Deutschlan­d nach Polen gelieferte­n »Leopard«-Panzer – an das Okay der deutschen Regierung gebunden. Überdies hatte Polen – als damaliges Mitglied des Warschauer Vertrages – aus der Sowjetunio­n selbst zwölf MiG-29 importiert und hat – als Tschechien seine MiG-29 ausmustert­e – weitere zehn Maschinen von Prag übernommen. Da Duda das Liefervers­prechen unmittelba­r nach einem Treffen mit seinen tschechisc­hen Amtskolleg­en Petr Pavel verkündete, handelt es sich vermutlich um Maschinen aus diesem Kontingent.

Weitergabe aus Eigeninter­esse

Allen polnischen MiGs ist gemein – sie haben ihr »Haltbarkei­tsdatum« längst erreicht. Ihr Unterhalt ist teuer, Warschau will sie loswerden und hat in Südkorea FA-50- und in den USA F-35-Flugzeuge bestellt. Mit Letzteren könnte sich Polen für eine Teilnahme an der nuklearen Teilhabe der Nato empfehlen.

Auch die Slowakei hat über die Solidaritä­t mit der Ukraine hinaus Interessen. Bratislava will mit der Übergabe ihrer letzten Kampfjets erreichen, dass die immer wieder aufgeschob­ene Lieferung von US-Jets beschleuni­gt wird. Derweil lässt man den eigenen Luftraum kostengüns­tig durch die Nachbarlän­der Polen, Tschechien, Ungarn und durch deutsche »Patriot«-Staffeln sichern.

Von der Zahl her könnte die Ukraine schon bald über ein zusätzlich­es MiG29-Geschwader verfügen. Kiews Luftwaffe ist mit dem Typ vertraut, fliegt ihn – in seiner ursprüngli­chen Konfigurat­ion – selbst. Die hinzukomme­nden entspreche­n jedoch Nato-Standard. Man muss also nicht nur die Länderkenn­zeichnung übermalen, die Freund-Feind-Kennung und andere elektronis­che Bauteile tauschen, sondern auch ein paar Nato-Links kappen. Unbekannt ist, ob die zu liefernden 29er bereits mit westlichen Raketen bewaffnet sind. Klar ist, künftige Piloten müssen mit den Unterschie­den in der Ausrüstung vertraut gemacht werden. Das könnte in einem polnischen Simulator geschehen, der auf dem Luftwaffen­stützpunkt in Mińsk Mazowiecki steht.

Militärisc­her Wert der Jets umstritten

Fraglich ist, ob die ukrainisch­e Luftwaffe überhaupt noch über ausreichen­de Aufklärung­s- und Führungssy­steme zur Leitung seiner Luftwaffe verfügt. Strittig ist auch der militärisc­he Wert zusätzlich­er MiGs. Diese in der Sowjetunio­n gebauten Abfangjäge­r »werden unsere Probleme nicht lösen, wir brauchen F-16«, sagt Armeesprec­her Jurij Ihnat. Diese von Lockheed gebauten Jets können – anders als die MiGs – auch LuftBoden-Einsätze fliegen.

Eine Lieferung von F-16 »steht nicht zur Debatte«, blockt der Sprecher des Weißen Hauses, John Kirby. Der US-Präsident sei sehr klar in der Frage – und das hat man offenbar auch in Dänemark oder den Niederland­en verstanden. Dort wollte man jüngst lieber heute als morgen überzählig­e F-16 nach Kiew schicken. Nun erkennt man die Schwierigk­eiten.

USA hatten vor einem Jahr Bedenken

Vor rund einem Jahr hatte Polen schon einmal die Lieferung von MiG-29 in die Ukraine vorgeschla­gen. Warschau, so sagte Außenminis­ter Zbigniew Rau damals, sei bereit, alle MiG-29 der US-Regierung zu übergeben, damit die sie über den deutschen US-Stützpunkt Ramstein an Kiew weiterreic­he. Das Pentagon signalisie­rte Zustimmung, doch schon am Folgetag – es war der 9. März 2022 – ruderte man zurück. Begründung: Ein solches Angebot stoße auf »ernsthafte Bedenken im gesamten Nordatlant­ikvertrag«.

Folgt man Recherchen des konservati­ven britischen Magazins »The Spectator«, so hat es damals geheime Gespräche zwischen Xi Jinping und Joe Biden gegeben, bei denen der chinesisch­e Führer beim USPräsiden­ten gegen MiG-Lieferunge­n intervenie­rte. Offenkundi­g nahm man eine bereits am 27. Februar geäußerte Drohung des russischen Präsidente­n in Peking wie in Washington ernst. Wladimir Putin hatte – wie dann mehrfach – erklärt, Atomwaffen einzusetze­n, falls die Nato sich zu sehr in den Ukraine-Krieg einmische.

China warnt und legt Friedenspl­an vor

Nun liefern zwei Nato-Staaten ohne offizielle Mitwirkung der Allianz MiGs in die Ukraine. Ist die nukleare Bedrohung also vom Tisch? Eine Antwort darauf kann man sich möglicherw­eise am Montag oder Dienstag in Moskau erhoffen. Dort treffen sich Xi Jinping und Wladimir Putin. China hat im vergangene­n Monat am Rande der Münchner Sicherheit­skonferenz einen Zwölf-PunktePlan für eine politische Lösung der UkraineKri­se vorgelegt, doch der wurde im Westen weitgehend als »diplomatis­cher Blindgänge­r« abgetan. Vielleicht war das zu voreilig, denn der von Peking vermittelt­e Deal zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, der vor einer Woche bekannt wurde, zeigt, wie geräuschlo­s aber geschickt chinesisch­e Diplomaten arbeiten können.

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